Skandinavien:Russlands bedrohte Nachbarn

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Ein schwedischer Panzer auf der Insel Gotland. (Foto: Karl Melander/imago images)

Schweden und Finnland haben eine lange Tradition der Neutralität zwischen Nato und Russland. Doch jetzt debattieren sie, ob sie näher an die westliche Allianz rücken sollen. Anlass sind Briefe aus Moskau.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Bei den beiden bündnisfreien Staaten Finnland und Schweden hat die Debatte über das Verhältnis zu Russland und zur Nato in dieser Woche wieder an Fahrt aufgenommen. Befeuert wurde sie durch die am Dienstag bekannt gewordenen Briefe des russischen Außenministeriums: Die russische Regierung wiederholt darin ihre Forderungen, die sie schon im Dezember der Nato mitgeteilt hatte, und verlangt "Sicherheitsgarantien" nun auch von Schweden und Finnland.

Die Briefe lösten in beiden Ländern scharfe Reaktionen aus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte bei einem Besuch in Helsinki am Donnerstag, Finnland habe die "volle Solidarität der EU". Die EU wolle die Reaktion auf die Briefe an ihre Mitgliedsländer koordinieren.

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Schon am Mittwochnachmittag hatten sich in Stockholm die Außen- und die Verteidigungsminister Finnlands und Schwedens getroffen. Nach den Gesprächen sagte der schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist der Zeitung Dagens Nyheter, weder der Inhalt noch der bedrohliche Unterton des russischen Briefes seien neu. "Russland hat nicht das Recht, Forderungen zu stellen, die unsere sicherheitspolitischen Entscheidungen beeinträchtigen oder wie wir unsere sicherheitspolitischen Netzwerke gestalten." Dass die Sicherheitslage bedrohlicher geworden sei, liege vor allem "am aggressiven Verhalten Russlands".

Ein möglicher Nato-Beitritt ist jetzt auch Wahlkampfthema in Schweden

Sowohl in Finnland als auch in Schweden war die Debatte schon in vollem Gange, als sich die Minister trafen. Beide sind zwar Mitglieder der EU, anders als ihre nordischen Nachbarn Norwegen und Dänemark aber nicht Mitglied der Nato. Zwar kooperierten Finnland und Schweden in den vergangenen Jahren eng mit der Allianz, haben aber eine lange Tradition der Bündnisfreiheit, die nun zunehmend infrage gestellt wird. "Schweden wird wohl der Nato beitreten", erklärte etwa am Mittwoch Ulf Kristersson, der Vorsitzende der bürgerlichen Moderaten in einem großen Interview mit dem Boulevardblatt Expressen: "Wir werden die Tür zu einer Nato-Mitgliedschaft aufstoßen, wenn es im Herbst zu einem Machtwechsel kommt."

(Foto: Ilona Burgarth)

Die Haltung Kristerssons zur Nato ist nicht neu, die Aussagen des Oppositionsführers zum jetzigen Zeitpunkt sind aber von Bedeutung, denn es ist gut möglich, dass er nach den Wahlen im September tatsächlich an die Macht kommt. Mit dem Interview hat er nun die Nato-Frage zum Wahlkampfthema gemacht. Offensichtlich glaubt er, damit punkten zu können gegenüber der sozialdemokratischen Regierungschefin Magdalena Andersson. Andersson hatte zwar im Januar erst eine "Vertiefung der Partnerschaft zwischen Schweden und der Nato" angekündigt, bleibt aber gleichzeitig bei der traditionellen strategischen Ambivalenz der schwedischen Sozialdemokraten: Man hält sich die Option auf eine Nato-Mitgliedschaft offen und erklärt gleichzeitig, dass sie im Moment nicht infrage kommt.

In der schwedischen Öffentlichkeit halten sich Nato-Mitgliedschaftsbefürworter und -gegner im Moment die Waage mit je einem knappen Drittel bei Umfragen - das Lager der Befürworter legt aber stetig zu. Das ist in Finnland ähnlich. Auch in Helsinki war die russische Aggressivität nach Bekanntwerden der Briefe wieder großes Thema. Präsident Sauli Niinistö, der in seiner Neujahrsansprache schon klare Töne Richtung Moskau gesandt hatte, erklärte am Mittwoch erneut, Russlands Forderungen zielten ab auf "eine fundamentale Änderung der europäischen Sicherheitsordnung".

Teija Tiilikainen, eine Expertin für hybride Kriegsführung, wies im staatlichen Rundfunk YLE darauf hin, dass die russischen Briefe Teil einer größeren "hybriden Bedrohungsoperation" seien: Russlands Strategie sei es, den Westen zu verwirren und zu spalten, auch mit Desinformation. Präsident Niinistö sagte denn auch, die erste Verteidigungslinie der Finnen sei "zwischen ihren Ohren": "Wir müssen einander vertrauen können."

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