Außenpolitik:Willkommen in der Weltpolitik

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Frankreichs Präsident Macron (rechts) sucht Verbündete und Neu-Bundeskanzler Olaf Scholz will sicher einer sein. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Kanzler Scholz reist zu Antrittsbesuchen nach Paris und Brüssel - und steckt mittendrin in den Krisen. Von internationalen Erwartungen und heimischen Zwängen.

Von Daniel Brössler, Paris, Brüssel

Am Freitag um 11.18 Uhr, knapp 48 Stunden nach dem Amtseid, ist es soweit. Die Bundeswehr-Maschine Theodor Heuss mit Olaf Scholz an Bord ist auf dem Flughafen Paris-Orly gelandet. Der neue Bundeskanzler wird von freundlichem Wetter und einer kleinen Ehrenformation empfangen. Soeben hat er sein erstes Wahlversprechen eingelöst. Scholz hatte schon Monate vor der Wahl angekündigt, dass ihn seine erste Reise als Kanzler nach Frankreich führen würde. Der Antrittsbesuch in Paris ist feste Tradition deutscher Kanzler und spricht für deutsch-französische Beziehungen, auf die Verlass sein soll in einer Welt, in der auf sonst eigentlich nichts Verlass ist. "Es geht darum, wie wir Europa stark machen können", wird Scholz später im Élysée-Palast sagen.

Gastgeber Emmanuel Macron hört das gern. Der französische Präsident verantwortet die EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Halbjahr, im April stellt er sich der Wiederwahl. Erneut greift die rechte EU-Feindin Marine Le Pen nach der Macht. Europa steht, wieder einmal, ein Schicksalsmoment bevor.

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Macron sucht deshalb Verbündete und Scholz will gewiss einer sein. Der EU-Aufbaufonds, Flexibilität bei den Schuldenregeln, das sind Themen, die Macron helfen können. Aber schon jetzt, an Tag drei der Kanzlerschaft Scholz, diktiert die Weltpolitik brutal die Agenda. Im Osten Europas droht Krieg. Über die Köpfe der Europäer hinweg verhandelt US-Präsident Joe Biden mit Kremlchef Wladimir Putin. Olaf Scholz muss tun, was er nicht liebt. Er muss sich positionieren, möglichst schnell.

Den neuen deutschen Kanzler führt das alles direkt in die Sphäre aus internationalen Erwartungen und heimischen Zwängen. In der Finanzpolitik muss er Rücksicht nehmen auf die FDP und Finanzminister Christian Lindner, im Widerstreit zwischen Weltlage und Wertefundament auf die Grünen und Außenministerin Annalena Baerbock.

Biden soll in Europa nicht das Feld überlassen werden

Es sei gut, dass Biden mit Putin gesprochen habe, sagt Scholz nach dem Mittagessen. Da könnten nun weitere Aktivitäten entfaltet werden. Die Frage aber, ob es jetzt eine Art Gipfel mit Putin geben könnte und was dabei zu erwarten wäre, lässt er offen. Stattdessen verweist Scholz auf die "gute Grundlage" bestehender Formate. Da ist die Vierer-Gruppe aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine gemeint. Dieses Normandie-Format sei "nach wie vor sehr wichtig", betont auch Macron und man ahnt, worauf sich beide bei Lamm und Kartoffeln verständigt haben. Biden soll in Europa nicht das Feld überlassen werden, da funktioniert die Einigkeit schon mal. Wenn auch tastend.

Ungewohnt ist die Lage schon. 16 Jahre lang musste sich Angela Merkel an wechselnde Präsidenten in Paris gewöhnen. Erst an Jacques Chirac, dann Nicolas Sarkozy, François Hollande und schließlich Macron. Eigentlich immer war es am Anfang schwierig, wurde dann besser und manchmal gut.

Nun ist es Macron, der sich auf einen neuen Kanzler einstellen muss. Dem Sozialdemokraten schlägt in Paris viel Sympathie entgegen. Vergessen, dass er 2018 laut darüber nachgedacht hatte, den französischen Sitz im UN-Sicherheitsrat "mittelfristig" in einen europäischen zu verwandeln. Vergeben auch sein Diktum, ein deutscher Finanzminister sei ein deutscher Finanzminister, als es um die Lockerung der Schuldenregeln ging. Der gemeinsam auf den Weg gebrachte Corona-Aufbaufonds hat alles überlagert. Und er begründet die Hoffnung, dass mit Scholz noch mehr möglich sein könnte.

Allerdings lernt Macron seinen Gast gerade da von seiner vorsichtigen Seite kennen. Als er nach einer Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts gefragt wird, sucht Scholz Halt im Ungefähren. "Ich bin sicher, dass wir die Aufgaben, die vor uns stehen, auch gemeinschaftlich lösen können", sagt er. Das Ziel seien sowohl Wachstum als auch solide Finanzen. "Das ist, was uns eint." Macron hört höflich zu, dann widerspricht er elegant. Nach der Pandemie werde es darum gehen, "Wachstum zu sichern und auf Vollbeschäftigung in Europa hinzuarbeiten", Innovationen zu fördern und sich zugleich um Haushaltsdisziplin zu bemühen. Aber eben mit "massiven Innovationen" und "neuen Mechanismen".

Es fügt sich an diesem Tag, dass Scholz nach nicht einmal vier Stunden in Paris weiterreist nach Brüssel. Eine alte Bekannte, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, interessiert sich nicht zuletzt für die Schuldenfrage. In zwei Kabinetten habe sie mit Scholz zusammengesessen, erinnert von der Leyen. "Das hilft für die Aufgaben, die wir zusammen haben", sagt sie. Scholz gelobt, die neue Regierung sei "wirklich eine sehr pro-europäische". Als dann eine griechische Journalistin wissen will, was das für ihr Land bedeutet, antwortet zum wahrscheinlich ersten Mal seit Helmut Schmidt ein Kanzler ausführlich und fließend auf Englisch. In Griechenland gebe es einen "guten Prozess des Wachstums", lobt Scholz. Zur eigentlichen Frage sagt er aber auch auf Englisch nichts.

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