Grundsatzrede:Scholz fordert handlungsfähige EU

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Ehrwürdiger Ort, wichtige Worte zur Europäischen Union: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag vor Studenten der Prager Karls-Universität. (Foto: AFP)

Der Kanzler schließt eine Lücke: Lange hat er sich nicht klar zur Zukunft Europas geäußert. In Prag holt er das nach und spricht sich für ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips aus.

Von Daniel Brössler, Prag

Es ist ein Ort, der den Worten des Kanzlers zusätzlich Gewicht verleihen soll. An der Prager Karls-Universität, einer der ältesten Hochschulen des Kontinents, hat Olaf Scholz am Montag in einer Grundsatzrede zur Selbstbehauptung Europas und zu Reformen der Europäischen Union aufgerufen. "Putins Russland definiert sich auf absehbare Zeit in Gegnerschaft zur Europäischen Union. Jede Uneinigkeit zwischen uns, jede Schwäche wird Putin ausnutzen", sagte Scholz vor Studierenden der Universität.

Die Rede war als großer Wurf angelegt und sollte die vom Kanzler nach dem russischen Überfall auf die Ukraine proklamierte "Zeitenwende" in einen europäischen Kontext stellen. "Zeitenwende, das muss für die europäische Politik heißen: Brücken zu bauen, statt Gräben aufzureißen", sagte Scholz. In der 50-minütigen Rede präsentierte Scholz in diesem Geist keine weitreichenden europapolitischen Visionen, sondern unterbreitete eher punktuelle Reformvorschläge für die Zukunft der EU.

Scholz: Deutschland kann besondere Verantwortung übernehmen

"Wir nehmen Russlands Angriff auf den Frieden in Europa nicht hin! Wir sehen nicht einfach zu, wie Frauen, Männer und Kinder umgebracht, wie freie Länder von der Landkarte getilgt werden und hinter Mauern oder eisernen Vorhängen verschwinden", sagte Scholz und verwies auf die Waffenhilfe für das überfallene Land. Er könne sich "vorstellen, dass Deutschland besondere Verantwortung beim Aufbau der ukrainischen Artillerie und Luftverteidigung" übernehme.

Als seine zentralen Anliegen für die EU nannte Scholz die Verringerung von äußeren Abhängigkeiten und inneren Blockaden. Letzteres sei nötig, damit die EU ihr Versprechen einlösen könne, die Länder des westlichen Balkan, aber auch die Ukraine und Moldau aufzunehmen. Wo heute noch Einstimmigkeit erforderlich sei, wachse "mit jedem weiteren Mitgliedstaat auch das Risiko, dass ein einzelnes Land mit seinem Veto alle anderen am Vorankommen hindert", warnte Scholz. Ohne Reform drohe "ein Vorangehen in immer unterschiedlicheren Gruppen" und "ein Dschungel verschiedener Regeln" . Das sei eine "Einladung an alle, die gegen ein geeintes geopolitisches Europa wetten und uns gegeneinander ausspielen wollen".

Tschechiens Premierminister Petr Fiala reagierte später "sehr zurückhaltend" auf den Vorschlag. Vor allem im Osten der EU ist die Sorge groß, überstimmt zu werden. Er nehme das ernst, sagte Scholz und mahnte Kompromisse an. So könne man mit Mehrheitsentscheidungen erst einmal in Bereichen beginnen, "in denen es ganz besonders darauf ankommt, dass wir mit einer Stimme sprechen". Das gelte für die Sanktionspolitik oder für Fragen der Menschenrechte.

Scholz fordert ein gemeinsames Luftverteidigungssystem der EU

Scholz nutzte die Rede auch für Antworten an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der ein "souveränes" Europa fordert. Souveräner werde die EU, indem sie einseitige Abhängigkeiten bei Rohstoffen und für die Industrie wichtigen seltenen Erden "schnellstmöglich" beende, sagte Scholz. Zurückhaltend äußerte er sich zu Macrons Forderung nach einer politischen europäischen Gemeinschaft über die EU hinaus. Sinnvoll sei ein "Forum, in dem wir Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU und unsere europäischen Partner ein- oder zweimal jährlich die zentralen Themen besprechen, die unseren Kontinent als Ganzes betreffen". Das gelte für "Sicherheit, Energie, Klima oder Konnektivität". Keinesfalls sollte das aber als Ersatz für die EU-Erweiterung missverstanden werden.

Auch militärisch müsse Europa stärker zusammenwachsen. "Wir brauchen in Europa ein besseres Zusammenspiel unserer Verteidigungsanstrengungen", forderte er. So solle die geplante schnelle Eingreiftruppe der EU 2025 einsatzfähig sein. Deutschland werde dabei den "Kern" stellen. Sinnvoll sei auch ein gemeinsames Luftverteidigungssystem . Überdies forderte er eine ständige "EU-Kommandozentrale und mittelfristig ein echtes EU-Hauptquartier". Die Nato bleibe zwar der "Garant unserer Sicherheit". Richtig sei aber auch: "Jede Verbesserung, jede Vereinheitlichung europäischer Verteidigungsstrukturen im EU-Rahmen stärkt die Nato."

Tschechien erhält im Ringtausch weitere Panzer aus Deutschland

Scholz warb dafür, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU zu sichern. Es gelte, "Zahlungen konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen". Es bereite ihm "Sorgen, wenn mitten in Europa von 'illiberaler Demokratie' geredet wird - so als wäre das nicht ein Widerspruch in sich". Damit richtete er sich an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dem Rechtspopulisten werden sowohl die Aushöhlung der Demokratie in seinem Land vorgeworfen als auch mangelnde Solidarität angesichts des russischen Angriffskrieges.

Tschechiens Ministerpräsident Fiala mahnte nach einem Treffen mit Scholz "gesamteuropäische Lösungen" gegen die rasant steigenden Energiepreise an. Die Preise hätten ein Ausmaß erreicht, das sich nicht rechtfertigen lasse, sagte Scholz. "Wir werden da schnell miteinander handeln", betonte er. Was die Gasversorgung angehe, werde man durch die bisherigen Maßnahmen "besser durch den Winter kommen, als einige uns vorhergesagt haben". Scholz gab zudem einen Ringtausch zur weiteren Unterstützung der Ukraine mit Waffen bekannt. Tschechien erhält demnach 14 deutsche Leopard-2-Kampfpanzer und einen Bergepanzer Büffel als Ausgleich für an die Ukraine gelieferte T72-Kampfpanzer sowjetischer Bauart.

Unmittelbar vor der an diesem Dienstag beginnenden Kabinettsklausur in Meseberg trat der Bundeskanzler dem Eindruck großer Spannungen in der Koalition entgegen. "Wir arbeiten sehr eng und sehr gut zusammen", sagte er. Das gelte auch für die unmittelbar bevorstehenden Entscheidungen zu weiteren Entlastungen für die Bürger. "Das wird sich in dieser Woche bei vielen Gelegenheiten noch mal neu zeigen", gab er sich überzeugt.

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