Sachverständige der CSU:Entweder Betreuungsgeld - oder eure Kinder werden krank

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Die CSU hat offenbar erhebliche Schwierigkeiten, Fachleute zu finden, die das Betreuungsgeld im Familienausschuss verteidigen. Jedenfalls verwundern manche Betreuungsgeld-Kenner, die die Partei für eine Expertenanhörung berufen hat, mit gewagten Ideen und "Einzelmeinungen".

Thorsten Denkler, Berlin

Die Sommerpause ist gerade vorbei, da werden wieder die Messer gewetzt im Streit um das geplante Betreuungsgeld. Dabei ist die Ausgangslage ziemlich eindeutig. Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt das Lieblingsprojekt von CSU-Chef Horst Seehofer ab. Und Experten, die das Betreuungsgeld verteidigen würden, sind auf weiter Flur kaum zu entdecken. Oder doch?

Kinder in einer Tagesstätte in Frankfurt (Oder): Die CSU bietet im Streit um das Betreuungsgeld skurrile Experten auf. (Foto: dpa)

Im Bundestag findet an diesem Freitag die öffentliche Expertenanhörung zum Betreuungsgeld statt. Im Sitzungssaal 3.101 kommen Deutschlands fähigste Fachleute zusammen, um den Abgeordneten ihre Sicht auf das Betreuungsgeld zu offenbaren. Jede Fraktion hat dabei das Recht, eigene, im Zweifel natürlich ihr genehme Experten zu bestellen.

In Sachen Betreuungsgeld dürfte es den Gegnern leichtgefallen sein, die Stühle zu besetzen. Erziehungswissenschaftler, Soziologen, ehemalige Familienministerinnen, Verbände, Gewerkschaften, alle sehen das Betreuungsgeld als wahres Teufelswerk. Von der anderen Seite ist da wenig zu hören.

Kampf für die "neue Frau"

Und doch scheint es der CSU irgendwie gelungen zu sein, Streiter für die gute Sache zu finden. Auf der Sachverständigen-Liste für die Anhörung stehen vier Namen, die nach Auskunft des Büros von Dorothee Bär von Unionsseite eingeladen wurden. Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin, ist so etwas wie die Betreuungsgeld-Speerspitze Seehofers in Berlin. ( Dass sie die umstrittene Prämie 2007 noch strikt ablehnte, hält sie nicht davon ab.)

Ganz besonderen Sachverstand scheint eine gewisse Birgit Kelle zu haben. Sie ist Vorsitzende des Vereins " Frau 2000plus" mit Sitz in Tönisvorst zwischen Düsseldorf und niederländischer Grenze. Kelle, Jahrgang 1975, nennt sich auf der Website des Vereins Journalistin, Verlegerin und Publizistin. Außerdem ist sie verheiratet und Mutter von vier Kindern.

Ganz in der Tradition von Familienministerin Kristina Schröder ( "Danke, emanzipiert sind wir selber") kämpft der Verein für die postfeministische Frau, für die "neue Frau", für die "Frau 2000plus". Ihr reicht die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. Kinderbetreuung müsse nicht sein. Denn Frauen, die Karriere machen wollten, die würden das auch so schaffen. "Unaufhaltsam" strebten sie nach oben.

Auf alles eine Antwort

Kelle also ist eine der Fachkräfte in der Expertenanhörung des Familienausschusses und natürlich heißen Herzens pro Betreuungsgeld. Dafür hat sie wie die drei anderen Sachverständigen eine umfangreiche Stellungnahme verfasst, in der sie auf einen umfänglichen Fragenkatalog der Parlamentarier antwortet. Es geht um verfassungsrechtliche, medizinische, entwicklungspsychologische und gesellschaftliche Fragen.

Die meisten Experten passen bei Fragen, die sie aus ihrer fachlichen Expertise heraus nicht beantworten können. Juristen lassen den psychologischen Teil aus, Mediziner den juristischen Teil. Verlegerin Kelle aber weiß auf alles eine Antwort. Sie klärt schon im ersten Satz auf: "Der Gesetzesentwurf zum Betreuungsgeld verstößt gegen keinerlei verfassungsrechtliche Vorgaben."

Dann spricht die Psychologin in ihr, weil nämlich "gerade diese extrem jungen Kinder durch zu frühe Fremdbetreuung in ihrer Entwicklung eher Schaden nehmen können, was sicher langfristig auf ihren Schulverlauf gravierende Auswirkungen haben wird". Jetzt die Pädagogin: Kita-Kindern würden "Bildungschancen genommen, die es durch eine liebevolle Erziehung zu Hause hätte haben können". Kelle zweifelt an, "dass es überhaupt nötig ist, flächendeckend Kinderbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zu schaffen".

Die Empfehlung ist eindeutig

Als weiteren Experten sieht Bärs Liste Rainer Böhm vor, den Leitenden Arzt am Sozialpädiatrischen Zentrum in Bielefeld vor. Böhm hat sich mit einer "Bielefelder Empfehlung" hervorgetan, mit der er seit einiger Zeit durch die Medien geistert. Die Empfehlung ist eindeutig: "Verzicht auf Gruppenbetreuung für unter 2-jährige sowie eine maximal halbtägige Betreuung für 2-jährige Kinder."

Böhm zeichnet ein Schreckensbild der Kita-Betreuung, um seine Empfehlung zu untermauern: Kinder stünden dort "unter erheblichem chronischen Stress, den man heute relativ einfach labortechnisch nachweisen kann. Dieser führt sowohl zu anhaltend aggressiv-impulsiven Verhaltensänderungen als auch zu somatischen Symptomen wie Infektionen, Neurodermitis und Kopfschmerzen".

Was er mit "labortechnischem Nachweis" meint, erklärt er im nächsten Absatz seiner Stellungnahme: Es geht um den angeblich erhöhten Spiegel des Stresshormons Cortisol im Gehirn des Kita-Kindes. Der sei, sagt Böhm, neurotoxisch, führe zu Zellschädigungen speziell im limbischen System, das für die Affekt- und Impulskontrolle verantwortlich sei, und erhöhe "das Risiko für psychische Störungen im Erwachsenenalter, insbesondere für Depression, jedoch auch für Angst- und Schmerzstörungen".

Um es mal zusammenzufassen: Eltern, die ihre Kinder in die Kita bringen, sollten sich von deren Fröhlichkeit nicht täuschen lassen. Die Kleinen erleiden in Wahrheit Höllenqualen. Wolfram Hartmann, Chef des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, hält Böhms Cortisol-Theorie übrigens für eine "Einzelmeinung".

Als weiterer Experte auf dem Unions-Ticket ist Prof. Dr. Johannes Schroeter geladen, Landesvorsitzender des Familienbundes der Katholiken in Bayern. Auch er ist jetzt nicht im engeren Sinne Experte für das Thema Betreuungsgeld. Schroeter lehrt Kunstofftechnik an der Uni Rosenheim. Aber er ist Katholik und Familienmensch.

Erdbeermarmelade oder karierte Krawatten

Eine echte Hilfe aber dürfte Schroeter für die Betreuungsgeld-Fraktion nicht sein. In seiner Stellungnahme etwa antwortet er auf die wohl eher rhetorisch gemeinte Frage: "Werden Kindern Bildungschancen vorenthalten, wenn sie nicht mit zwölf Monaten in die Krippe gegeben werden?" - "Ja, selbstverständlich." Und als es um die möglichen "negativen Effekte" infolge der Einführung des Betreuungsgeldes geht, antwortet er: "Weitere geringschätzige Äußerungen über Familienarbeit und Eltern mit Tätigkeitsschwerpunkt in der Familienarbeit."

Wie Expertin Kelle glaubt auch Schroeter nicht an einen "Bedarf" für neue Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren. "Es ist eine Fiktion planwirtschaftlichen Denkens, dass es einen objektiv feststellbaren, feststehenden Bedarf gäbe. Auf dieser Annahme beruhten beispielsweise die Versuche der Wirtschaftsplanung der DDR, den objektiven Bedarf der Republik an Erdbeermarmelade oder an karierten Krawatten vorherzusagen und ihn auch zu erfüllen."

Der katholischer Familienverband, dessen Vorsitzender Schroeter ist, empfiehlt übrigens unter anderem die Abschaffung der Schulpflicht.

In den Reihen der vier Unions-Fachleute bildet einzig Winfried Kluth von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Ausnahme. Kluth hat dort einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht. Er hält das Betreuungsgeld für verfassungskonform. Zu allen anderen Fragen äußert er sich nicht. Dem gegenüber stehen schon eine Reihe anderer Gutachten von nicht weniger namhaften Juristen, die beim Punkt der Verfassungsmäßigkeit das Gegenteil behaupten.

Diesen Rechtsstreit aber wird am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht klären müssen. SPD und Grüne jedenfalls stellen sich schon auf Klagen ein.

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