Bündnisoptionen:Träumchen, wechsle dich

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Wer tut sich mit wem zusammen? Plakate zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt von den Linken, der SPD, der FDP, der CDU und den Grünen in Magdeburg. (Foto: Ronny Hartmann/AFP)

In Sachsen-Anhalt sind viele Koalitionsmodelle denkbar. Wer könnte mit wem?

Von Ulrike Nimz und Cornelius Pollmer

Wohl selten erschienen vor einer Landtagswahl so viele Bündnisvarianten möglich wie diesmal in Sachsen-Anhalt. Ein Überblick über die denkbaren Optionen:

Kenia-Koalition

Nach Lage der Umfragen scheint eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses aus CDU, SPD und Grünen möglich zu sein - inhaltlich dafür aber spricht ähnlich wenig wie schon 2016 für die Erstauflage. Die drei Partner entschieden sich weniger füreinander, als sie sich in furchtsamer Staatsräson gegen einen vierten zusammentaten, nämlich die plötzlich stimmenstarke AfD. Die Sorge vor dieser AfD und später auch die Sorge vor Führungslosigkeit mitten in der Pandemie hielten Kenia trotz größerer Zerwürfnisse vor allem zwischen CDU und Grünen zusammen. Geklappt hat das auch, weil sich die Partner mit teuren Projekten immer wieder Sichtbarkeit und Ruhe bei den eigenen Leuten kauften. Wenigstens dieses Instrument dürfte Kenia bei einer Fortsetzung trotz der Gelder aus dem Kohleausstieg nicht mehr so sehr zur Verfügung stehen.

Deutschland-Koalition

Vielen Christdemokraten dürfte diese Regierungsoption sympathischer sein, nicht nur wegen des schmissigen Namens. CDU und Grüne sind in den vergangenen fünf Jahren immer wieder fundamental aneinandergerasselt, auch - jedoch seltener - SPD und Union. Im Wahlkampf wetterte die CDU-Fraktion gegen die Ausweisung weiterer Naturschutzgebiete. Sachsen-Anhalt sei "kein Land der Naturschutz- und Schönwettergebiete", hieß es. Eine mindestens eigenwillige Schwerpunktsetzung, droht doch der Wahlsieg einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei. Damit die Grünen in die Opposition verbannt werden können, muss aber die FDP erst einmal den Sprung in den Landtag schaffen. Sie immerhin profitiert derzeit vom Aufschwung der Bundespartei.

Jamaika-Koalition

Auf den ersten Blick mag es unsinnig wirken, die regierende SPD ausgerechnet gegen die FDP auszutauschen. Die regierungsleiderfahrene Sozialdemokratie hat, teils unter weiteren Schmerzen, zwischen CDU und Grünen gepuffert - mit der FDP käme nach Spitzenkandidatin Lydia Hüskens eine weitgehend politikunerfahrene neue Mannschaft ins Spiel. Aus Sicht einer geschwächten CDU hätte ein Partnerwechsel allerdings Sinn, wenn er - wie es sich zuletzt andeutete - rechnerisch möglich sein sollte. Der Wechsel von Rot auf Gelb wäre ein Angebot an den konservativen Teil der Partei, der auf der Liste zur Landtagswahl wieder gute Plätze bekommen hat. Die FDP will ohnehin erkennbar lieber irgendwie mitregieren als gar nicht regieren, sie hat eine Zusammenarbeit lediglich mit Linken und AfD ausgeschlossen.

Simbabwe-Koalition

Sollte nach der Wahl am Sonntag der innenpolitische Flaggenatlas um das Modell Simbabwe erweitert werden, wäre das nur aus sehr demokratietheoretischer Sicht ein Gewinn. Ein Viererbündnis aus den bisherigen Kenia-Partnern und der FDP wäre zwangsweise eines, das über konkrete Projekte fallweise pragmatisch regieren müsste, statt über Ideologiefragen zu streiten und in Stillstand zu erstarren. Dass dies gelingen könnte, ist auch deswegen unwahrscheinlich, weil eine Simbabwe-Koalition von vornherein ein Bündnis der Schwäche wäre. Schon Kenia hatte als letztes Aufgebot der erweiterten demokratischen Mitte gegen die AfD gegolten.

Rot-Rot-Grün

Inhaltlich würden Linke, SPD und Grüne sicher vergleichsweise zügig zusammenfinden. Aus Sicht der Linken haben die Grünen trotz Fortschritten zum Beispiel beim Ausbau ökologischer Landwirtschaft nicht genug für die Umwelt getan, für mehr soziale Gerechtigkeit wiederum regt sie etwa einen Mindestlohn von 13 Euro in der Stunde an. Schnittmengen gäbe es also einige, nur droht der Linken, die zeitweise gar versuchte, sich als Hauptkonkurrent der CDU zu inszenieren, nach Umfragen ein starker Verlust an Stimmen, der eine Regierungsbeteiligung sehr unwahrscheinlich machen würde.

Schwarz-Blau

Die CDU-Parteispitze in Sachsen-Anhalt wird nicht müde zu beteuern: Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben - keine Duldung und schon gar keine Koalition. Die Frage, wie nahe sich CDU und AfD kommen dürfen, kam in der zurückliegenden Legislatur immer wieder auf, zum Beispiel im Rundfunkstreit, als CDU und AfD sich gegen eine Beitragserhöhung stemmten und so den Koalitionsbruch provozierten. Immer wieder haben auch hochrangige Abgeordnete mit der AfD geliebäugelt. Reiner Haseloff gilt in dieser Hinsicht als absolut unverdächtig. Die Frage ist, wie gut er seine Fraktion im Griff hat, sollte das Wahlergebnis der CDU schlechter ausfallen als erwartet. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident hatte eigentlich gar kein weiteres Mal antreten wollen, musste jedoch seinen designierten Nachfolger Holger Stahlknecht feuern, nachdem dieser öffentlich über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachgedacht hatte. Auch Stahlknecht tritt zur Landtagswahl wieder an. Einige vermuten, er lauere nur darauf, den geschwächten Haseloff zu entmachten. Abgeordnete haben ihm deshalb einen inoffiziellen Spitznamen verpasst: das U-Boot.

Schwarz-Blau durch die Hintertür

Eine offene Zusammenarbeit von CDU und AfD ist in Sachsen-Anhalt nahezu auszuschließen. Nicht nur wegen der zahlreichen Dementis der Parteiführung, sondern auch wegen der katastrophalen Folgen für die Bundespartei. Jede Annäherung an die AfD vor der Bundestagswahl wäre für Armin Laschet ein Szenario, das nicht nur erneut seine Eignung als Vorsitzender infrage stellen würde, sondern die Integrität der gesamten Partei. Einige Christdemokraten in Sachsen-Anhalt sind trotzdem in Sorge, dass es nach der Wahl über Umwegen so weit kommen könnte. Denn auch wenn die Kenia-Koalition oder ein anderes Bündnis jenseits der AfD eine Mehrheit bekommt: Das letzte Wort haben die Mitglieder. Sie stimmen über einen möglichen Koalitionsvertrag ab, können diesen also auch verhindern. Einige Abgeordnete könnten ein solches Veto als Auftrag werten, doch das Modell einer Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die AfD anzustreben. So das Szenario, das die "Plattform Neue CDU" in einem offenen Brief an die Parteispitze skizzierte. Darin forderte die Gruppe CDU-Landeschef Sven Schulze und den Landesvorstand auf, künftig weder Anträgen der AfD zuzustimmen, noch die Partei als Mehrheitsbeschafferin zu akzeptieren. Die Reaktion der Parteispitze fiel kühl aus: Man habe zu dem Thema bereits alles gesagt.

Magdeburger Modelle

Sachsen-Anhalt ist nicht nur das Land der fruchtbaren Böden, auch politisch wuchs hier immer mal etwas Neues. Zum Beispiel das "Magdeburger Modell": Von 1994 bis 2002 ließ Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) seine rot-grüne Minderheitsregierung von der PDS stützen. Ob Linke oder FDP heute dazu bereit wären, eine CDU-geführte Minderheitsregierung zu tolerieren, ist fraglich. Rechnerisch ist eine Dreier- oder Viererkonstellation wahrscheinlich. Hilfreich bei der Entscheidungsfindung könnte gegebenenfalls der Blick nach Thüringen sein. Dort regiert eine rot-rot-grüne Minderheitskoalition mit temporärer Unterstützung der oppositionellen CDU. Duldung oder Tolerierung will das natürlich niemand nennen, und Streit gibt es auch genug.

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