Russland:Nawalnys Team bestätigt Tod des Regimekritikers - mehrere Hundert Festnahmen

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Trauerbekundung in Berlin: Eine Frau zeigt ein Bild des verstorbenen Alexej Nawalny vor der russischen Botschaft. Nach dem Tod des Kremlkritikers gibt es noch viele offene Fragen. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Seine Mutter sei zu dem Straflager gereist, in dem der Oppositionspolitiker am Freitag gestorben sei, schreibt seine Sprecherin. Zahlreiche Menschen gedenken des Kremlgegners, Russland reagiert mit vielen Festnahmen.

Das Team des Regimekritikers Alexej Nawalny hat dessen Tod bestätigt. Das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch auf der Plattform X unter Berufung auf Nawalnys Mutter mit. Diese sei in das Straflager im Norden Russlands gereist und habe dort die Nachricht vom Tod ihres Sohnes erhalten.

Nawalny sei ermordet worden, schreibt Jarmysch. Er sei am Freitag um 14.17 Uhr Ortszeit gestorben - das habe man seiner Mutter mitgeteilt. Ein Mitarbeiter des Straflagers habe gesagt, dass sich der Leichnam nun in Salechard in Nordsibirien befinde. "Wir fordern die sofortige Übergabe des Leichnams von Alexej Nawalny an seine Familie", schreibt Jarmysch.

Das sei derzeit aber noch nicht absehbar. Nach einer ersten Untersuchung des Leichnams sollen laut Behörden die Ergebnisse einer zweiten Untersuchung "angeblich" in der kommenden Woche vorliegen, ergänzte Jarmysch mittlerweile auf X. Derzeit würden russische Behörden als Ursache des Todes Nawalnys ein "plötzliches Todessyndrom" anführen, so Iwan Schdanow, ein Vertrauter des Verstorbenen, auf X. Das sei Nawalnys Mutter bei ihrem Besuch im Straflager mitgeteilt worden.

Von dem Toten fehle derweil jede Spur. Das Leichenschauhaus der Stadt Salechard sei geschlossen, und über die Kontakt-Telefonnummer sei Nawalnys Anwalt gesagt worden, "dass er bereits der siebte Anrufer an diesem Tag sei", schrieb Jarmysch. "Und der Leichnam Alexejs befinde sich nicht bei ihnen im Leichenschauhaus."

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Die Nachricht vom Tod des Kremlgegners hatte bereits vor der Bestätigung durch die Familie Nawalnys weltweit Entsetzen ausgelöst. Viele Beobachter machten Präsident Wladimir Putin direkt für den Tod des 47-jährigen Oppositionellen verantwortlich, über den am Freitag zuerst russische Staatsmedien unter Berufung auf den Strafvollzug berichtet hatten.

US-Präsident Biden wählte scharfe Worte. Man wisse zwar nicht genau, was passiert sei, aber es gebe keinen Zweifel daran, dass der Tod Nawalnys eine Folge von Putins Handeln und dem seiner Verbrecher sei, sagte Biden im Weißen Haus. "Putin ist verantwortlich." Biden sagte, er sei schockiert, aber nicht überrascht. Putin habe Nawalny vergiftet, ihn verhaften und wegen erfundener Verbrechen anklagen lassen, sagte der US-Präsident. Er habe ihn in Isolationshaft gesteckt. Doch all das habe Nawalny nicht davon abgehalten, Lügen anzuprangern, sogar im Gefängnis. "Er war eine mächtige Stimme für die Wahrheit".

Immer mehr Festnahmen in Russland

Auch viele europäische Politiker reagierten entsetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte mit Blick auf Russland: "Wir wissen aber nun auch ganz genau, was das für ein Regime ist."

Polizisten nehmen einen Mann in St. Petersburg fest, als dieser Blumen für Kremlgegner Alexej Nawalny am Denkmal niederlegen will. (Foto: dpa)

Bei Versammlungen zum Gedenken an Alexej Nawalny sind in Russland mittlerweile mehr als 400 Menschen in 36 Städten festgenommen worden, berichtet die Online-Bürgerrechtsplattform OVD-Info am Samstag. Pro Stunde würden immer mehr Menschen festgesetzt. Das wäre die größte Festnahmewelle in Russland seit der Arrestierung von mehr als 1300 Personen bei Demonstrationen gegen die Teilmobilisierung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine im September 2022. Allein in St. Petersburg hätten die Behörden inzwischen mindestens 109 und in Moskau mindestens 39 Menschen festgenommen, teilt OVD-Info mit.

"Wie groß doch selbst die Angst des Machtapparates vor einem Toten ist, wenn sogar das Ablegen von Blumen zu seinem Andenken als Verbrechen angesehen wird", schrieb der russische Friedensnobelpreisträger und Gründer der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta, Dmitri Muratow, am Morgen im Nachrichtenkanal Telegram.

Hunderte Blumen, die am Freitag im Zentrum Moskaus von Trauernden niedergelegt worden waren, waren einem Reuters-Reporter zufolge bis Samstagmorgen entfernt worden. Medien in vielen Teilen Russlands berichteten am Vormittag, dass trotzdem weiter frische Blumen niedergelegt, Kerzen angezündet und Bilder zur Erinnerung an Nawalny aufgestellt wurden. Bürgerrechtler veröffentlichten juristische Hinweise für das Niederlegen von Blumen und veröffentlichten die Nummer einer Telefon-Hotline für anwaltliche Hilfe.

Neuer Prozess gegen weiteren Oppositionellen

Überschattet von der Meldung über den Tod Nawalnys hat am Golowinski-Bezirksgericht in Moskau derweil ein neuer Prozess gegen einen weiteren Kriegsgegner begonnen: Oleg Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial. "Der Tod von Alexej Nawalny ist eine Tragödie (...) für alle, die wollen, dass Russland ein demokratisches Land wird", teilte die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation am Samstag mit.

Oleg Orlow an der Seite seiner Anwältin Katerina Tertuchina in einem Verhandlungssaal des Moskauer Golowinski-Bezirksgerichts. (Foto: Hannah Wagner/dpa)

Der frühere Memorial-Leiter Orlow hatte sich im Jahr 2022 in einem Artikel deutlich gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine positioniert. Die russische Justiz wirft dem 70-Jährigen unter anderem die "Diskreditierung" der russischen Armee vor; dafür drohen ihm nun drei Jahre Lagerhaft. Orlow und seine Unterstützer hingegen sprechen von einem politisch motivierten Prozess. Memorial ist in Russland bereits verboten. Dennoch gelte es jetzt, nach folgenden berühmten Worten Nawalnys zu handeln, fügten die Menschenrechtler in ihrer Mitteilung hinzu: "Gebt nicht auf!"

Auch die Anhänger von Alexej Nawalny wollen dessen Sprecherin Kira Jarmysch zufolge den Widerstand gegen die russische Staatsführung fortsetzen. "Wir haben unseren Anführer verloren, aber nicht unsere Ideen und Überzeugungen", sagt Jarmysch zur Nachrichtenagentur Reuters in einem Videotelefonat, das sie von einem ungenannten Ort aus führte.

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