Russland:Politik mit einem toten Elch

Lesezeit: 3 min

Walerij Raschkin ist Erster Sekretär des Moskauer Stadtkomitees der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF). Seine Kritik am Kreml und ein toter Elch bringen ihn nun in Schwierigkeiten. (Foto: Sergei Fadeichev/Images/Itar-Tass)

Bislang hat der Kreml die Kritik des Moskauer Sekretärs der Kommunistischen Partei geduldet. Dass die staatlich kontrollierte Presse Walerij Raschkin nun als "Elchmörder" darstellt, kann man als Warnung an seine Partei verstehen.

Von Silke Bigalke, Moskau

Es war ein später Oktoberabend, die Landstraße stockfinster, als russische Polizisten einen weißen Lada anhielten. Am Steuer saß ein Abgeordneter der Staatsduma, in seinem Kofferraum lag ein toter Elch, säuberlich ausgeweidet. Walerij Raschkin wirkte angetrunken, als die Polizei ihn befragte, später tauchten Videoaufnahmen davon im Internet auf. Der 66-Jährige gibt seinen Namen, Geburtsdatum und Arbeitsplatz an, grimmig schaut er in die Kamera.

Den Elch habe er schon tot gefunden, wird er später behaupten, getrunken habe er nichts. Dem Langzeitabgeordneten drohen bis zu fünf Jahre Haft und eine Million Rubel Strafe wegen illegaler Jagd, außerdem eine Ordnungsstrafe, weil er den Alkoholtest verweigert hat.

Die Sache ist längst zum Politikum geworden. Walerij Raschkin ist nicht irgendwer, sondern Erster Sekretär des Moskauer Stadtkomitees der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF), seit bald 22 Jahren sitzt er ununterbrochen in der Staatsduma. Das allein müsste ihn eigentlich zum berechenbaren Bestandteil von Putins Machtsystem machen. Die Kommunisten sind eine System-Partei. Diese Parteien sollen politischen Wettbewerb im russischen Parlament simulieren, der Kreml duldet sie, weil er sie kontrollieren kann. Oder kontrollieren konnte?

Duma Wahl
:Russland: Staatsangestellte zum Abstimmen gezwungen

Bei der Duma-Wahl steht die Regierungspartei Einiges Russland erneut vor einem Sieg. Doch Wahlbeobachter sprechen von Manipulationen und Nötigung.

Von Silke Bigalke

Das Verhältnis der Kommunisten zur Präsidialverwaltung ist jedenfalls spürbar komplizierter geworden - das von Raschkin zum Kreml war ohnehin nie einfach. Er gehört zu denen, die trotz ihres Mandats nicht vor deutlicher Kritik zurückschrecken.

"Eine kolossale Fälschung"

Nach der Wahl zur Staatsduma im September warf Raschkin den Behörden "eine kolossale Fälschung" vor. Mehrere kommunistische Kandidaten hatten in ihren Moskauer Wahlkreisen verloren. Ein Teil der Moskauer hatten elektronisch gewählt, ihre Stimmen waren mit großer Verzögerung ausgezählt worden - und drehten dann das Wahlergebnis zugunsten von Kremlkandidaten um. Die Kremlpartei habe diese Mandate gestohlen, klagte Raschkin damals. "Die KPRF erkennt die Wahlen in Moskau nicht an." Er und andere Parteimitglieder riefen zum Protest auf - etwas, das unabhängige Oppositionelle seit Langem nicht mehr gewagt haben.

Schon vor der Duma-Wahl haben sich die Kommunisten verhalten, als wollten sie den Kreml ernsthaft herausfordern. Sie haben parteilose Kandidaten aufgestellt, waschechte Oppositionelle also, wie sie die Behörden eigentlich verhindern wollen. Zudem haben einige kommunistische Parteimitglieder die Freilassung von Alexej Nawalny gefordert. Von dessen Wahlkampfstrategie hat ihre Partei profitiert wie keine andere: Nawalny hatte Wählern empfohlen, in ihrem Wahlkreis für denjenigen Kandidaten zu stimmen, der die besten Chancen gegen die Kremlpartei hat, meistens war das ein Kandidat der Kommunisten. Nicht nur Linke, Sowjetnostalgiker und Lenin-Fans stimmten nun für sie - sondern auch viele Kreml-Gegner. Putin kann das nicht gefallen.

Raschkin selbst balanciert schon seit Jahren auf einem schmalen Grat. Bereits 2019 hat er zahlreichen Nawalny-Unterstützern geholfen, sich bei der Wahl zur Moskauer Stadtduma als Beobachter zu registrieren. Als Putin Anfang 2020 beschloss, die Verfassung zu ändern, kritisierte Raschkin das Vorgehen lautstark. Jetzt wetterte er nicht nur gegen Wahlfälschung, sondern auch gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung.

Dass Raschkin nun seit Wochen als "Elchmörder" durch die staatlich kontrollierte Presse gejagt wird, kann man als Warnung verstehen - an ihn und die Partei. Schließlich wäre er nicht der erste Duma-Abgeordnete, der beim Jagen die Regeln nicht einhält. Niemand weiß, wie viele russische Politiker nach deutlich schlimmeren Vergehen straffrei davongekommen sind. In Raschkins Fall waren russische Journalisten verdächtig schnell am Ort des Verbrechens, die Sache wirkte von Anfang an inszeniert.

SZ PlusRussland
:Die Frau, die Nein zu Putin sagte

Sardana Awxentjewa ist eine der eigenwilligsten und bekanntesten Politikerinnen des Landes. Nun will sie ins Parlament einziehen. Sie kandidiert ausdrücklich nicht mit dem Segen des Kremlchefs - und möchte doch nicht als dessen Gegnerin gelten.

Von Silke Bigalke

Raschkin selbst verteidigte sich in Interviews, veröffentliche eine Stellungnahme per Video. Er hat sich sicher keinen Gefallen damit getan, dass er seine Geschichte immer wieder änderte: Erst wollte er gar nicht geschossen haben. Dann hielt er den Elch angeblich für ein Wildschwein und drückte ab. Überhaupt sei ihm gesagt worden, in der Region Saratow sei die Jagd erlaubt. Er habe seinem Freund geglaubt, der ihn eingeladen und angeblich eine Lizenz zum Elche schießen hatte.

Die unabhängige Opposition ist bereits gründlich zerlegt

Ende November beschäftigte sich die Staatsduma mit dem Elch, diskutierte mehr als eine Stunde lang. Noch nie seien so viele Worte über einen Paarhufer verloren worden, klagte Raschkin, "zuletzt habe ich so viel Aufhebens gesehen, nachdem Kennedy ermordet wurde". Am Ende stimmte eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten dafür, Raschkins Immunität aufzuheben. Zwar schloss sich keiner der Kommunisten diesem Votum an. Ihre Fraktion besetzt aber weniger als ein Zehntel der Duma-Sitze.

Um die unabhängige Opposition muss sich der Kreml kaum noch Sorgen machen; sein Machtapparat hat sie gründlich zerlegt, Kritiker vor Gericht gestellt, eingesperrt, aus dem Land gescheucht. Jetzt scheint es so, als wolle der Kreml die aufmüpfige System-Opposition an ihren Platz erinnern. "Zuerst haben sie die Nationalisten zerschlagen, dann Nawalnys Team, jetzt kommen sie für die Kommunisten", sagte Sergej Obuchow der Nachrichtenseite Meduza, er ist Sekretär des Zentralkomitees der Partei.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Außer Raschkin ist zuletzt auch der Millionär Pawel Grudinin unter Druck geraten, 2018 noch Kandidat bei der Präsidentschaftswahl. Bei der Duma-Wahl im September durfte er nicht mal antreten. Der Kommunist Nikolaj Bondarenko nahm an einer Demonstration für Nawalny teil und wurde festgenommen; er wollte den einflussreichen Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin in dessen Wahlkreis herausfordern. Auch andere Fraktionen trifft es: 2020 wurde Sergej Furgal, Gouverneur der nationalistischen LDPR, in Chabarowsk festgenommen. Dem Kreml war der beliebte Regionalchef schon seit seinem Wahlsieg unbequem.

Die System-Parteien hätten nun zwei Optionen, schreibt die russische Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja: Entweder müsse sie sich "völlig der Präsidialadministration unterwerfen", oder sich auf dasselbe Schicksal einstellen wie die Unabhängigen. Da nützt es auch nichts, dass Raschkin nun angeboten hat, den Elch zu ersetzen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWahlkampf in Russland
:Allein gegen Putins Machtapparat

Der Kreml lässt Oppositionelle vor der Wahl anklagen, einsperren und ausschließen. Kirill Gontscharow stellt sich trotzdem in dunkle Hinterhöfe und macht Wahlkampf - wenn man das so nennen kann.

Von Silke Bigalke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: