Rumänien:Verharmloser des Holocaust

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Wütende Demonstranten bei einer gegen die Regierung gerichteten Kundgebung der rechtsextremen Partei AUR in Bukarest im Herbst 2021. (Foto: Vadim Ghirda/AP)

Die rechtsextreme Partei AUR provoziert mit antisemitischem Gedankengut eine politische Krise in Bukarest. Die Regierung reagiert planlos, jüdische Organisationen und NS-Forscher protestieren.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

In der Nacht zum Freitag hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York im Beisein einer Gruppe Überlebender des NS-Regimes eine von Israel und Deutschland gemeinsam verfasste Resolution angenommen, welche die Leugnung des Holocaust und eine verzerrte Darstellung des millionenfachen Mordes verurteilt. Aktueller Anlass war der 80. Jahrestag der Wannseekonferenz, auf der die Auslöschung der Juden und die Einrichtung der Todeslager von NS-Bürokraten beschlossen worden war.

Nur Iran enthielt sich der Stimme in New York. Der israelische UN-Botschafter würdigte den symbolischen Beschluss, der bitter nötig sei in einer Zeit, in der "Fiktion als Fakten" gewertet würden und der Holocaust zu einer fernen Erinnerung werde. "Holocaust-Leugnung verbreitet sich wie ein Krebs - und das unter unser aller Augen", sagte Gilad Erdan.

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Nicht nur auf Corona-Leugner-Demonstrationen lässt sich dies allwöchentlich überall in Europa besichtigen. In Rumänien hat das Thema Holocaust-Leugnung durch die erst 2019 gegründete, aufstrebende Parlamentspartei AUR (Allianz für die Union der Rumänen) jetzt zu einer veritablen politischen Krise geführt. AUR hatte aus dem Stand bei den letzten Parlamentswahlen im Winter 2020 neun Prozentpunkte geholt; seither hat die rechtsextreme Partei ihren Stimmenanteil in Umfragen verdoppelt. Anfang Januar machte die Partei, die immer wieder antisemitische Vorurteile bedient, mit einer heftigen Provokation auf sich aufmerksam: Der Holocaust sei eine "unwichtige Sache", die keinesfalls an Schulen gelehrt werden dürfe.

Der Hintergrund: Im vergangenen Herbst hatte das Parlament mit großer Mehrheit beschlossen, den Holocaust und die Geschichte der jüdischen Minderheit auf den Lehrplan der rumänischen Oberstufen zu setzen. AUR wütete umgehend, die Regierung soll ihre "ideologischen Experimente an Kindern" stoppen. Unterrichtsfächer wie Sexualaufklärung oder eben die Geschichte des Holocaust seien "nebensächlich, untergeordnete Themen" für Schüler, hieß es. Der Lehrplan müsse sich stärker an rumänischer Literatur und nationaler Geschichte orientieren, in Rumänien werde auf diese Weise seit Jahren systematisch die "Qualität der Bildung untergraben".

Lob für rumänische Kriegsverbrecher

Nun ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft wegen Verharmlosung des Holocaust. Die AUR wehrt sich, man habe den Holocaust nicht kleingeredet, "wir sind Christen, wir können gar nicht antisemitisch sein", so Vizeparteichef Claudiu Tarziu. Allerdings weist die kurze Geschichte der AUR bereits eine Vielzahl von rechtsradikalen und antisemitischen Vorfällen auf: Laut Medienberichten lobten Parteimitglieder von der Tribüne des Parlaments herab rumänische Kriegsverbrecher, beschmutzten das Gedenken an Holocaust-Opfer oder malten ein Hakenkreuz auf die EU-Flagge im Hof ​​des Parlaments. Zahlreiche Anhänger der AUR outeten sich als Anhänger der Eisernen Garde, zeitweilig eine der größten faschistischen Bewegungen vor dem Zweiten Weltkrieg, die von radikalem Antisemitismus und Ultranationalismus geprägt war.

Zahlreiche jüdische Organisationen und Holocaust-Forscher haben sich bereits protestierend zu Wort gemeldet, aber die Regierung reagiert bislang eher planlos. Nach einer langen Regierungskrise führt seit November eine Koalition aus der liberalkonservativen PNL und den nationalistischen, russlandfreundlichen Sozialdemokraten (PSD) das Land. Der Regierungsbeauftragte für die Bekämpfung von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit von der PNL, Alexandru Muraru, brachte immerhin ein Verbot der rechtsextremen Partei ins Spiel, aber die PSD hält sich demonstrativ zurück.

Oliver Jens Schmitt vom Institut für Osteuropäische Geschichte in Wien erklärt das auf der Rechercheplattform "Balkan Insight" damit, dass die Sozialdemokraten die Rechtsextremen als potenzielle politische Partner ansähen und abwarteten, wie sich die Partei in den Umfragen weiter entwickele. AUR mobilisiere, so Schmitt, mit seinen antisemitischen Provokationen, aber auch mit Corona-Leugnung und Impfgegnerschaft ein Protestwählerpotenzial, das auch für die PSD interessant sein könne, daher verhindere "die Politik eine robuste Reaktion".

Kommentatoren rumänischer Zeitungen gehen davon aus, dass die Nationalisten, die starken Rückhalt bei der Kirche und bei Auslandsrumänen haben, bald schon die zweitstärkste Partei des Landes sein könnten. AUR sei, heißt es, zum Sammelbecken für jene Rumänen geworden, die sich von der Politik abwendeten, von Corona genervt seien und die Nase davon voll hätten, im Ausland arbeiten zu müssen, weil es in ihrer Heimat kaum Jobchancen gebe.

Zudem ist Antisemitismus ein lange verdrängtes Thema im Land. Erst viele Jahre nach dem Tod von Diktator Nicolae Ceaușescu setzte der damalige rumänische Präsident Ion Iliescu, der sich zuvor selbst mit der Leugnung des Holocaust in Rumänien unrühmlich hervorgetan hatte, 2003 eine von dem Friedensnobelpreisträger Eli Wiesel geleitete Kommission ein. Sie sollte die Judenvernichtung in Rumänien, das 1941 an der Seite von Hitler-Deutschland in den Krieg eingetreten war, auf der Grundlage neuer historischer Erkenntnisse erforschen.

Die rumänische Regierung erkannte die Ergebnisse nach längerem Ringen 2004 an und attestierte, dass sich Rumänien unter dem Regime von Ion Antonescu vorsätzlich am Holocaust während des Zweiten Weltkrieges beteiligt habe. Vor wenigen Jahren legte dann der Nationale Antidiskriminierungsrat von Rumänien (CNCD) eine Umfrage vor, laut der 46 Prozent der Befragten erklärten, sie hätten kein Vertrauen zu Juden.

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