Ungarn:Viktor Orbán lässt Geld regnen

Ungarn: Die Inflation ist hoch, die Wirtschaftsdaten sind schlecht: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán fehlen außerdem Themen, mit denen er Stimmung machen könnte.

Die Inflation ist hoch, die Wirtschaftsdaten sind schlecht: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán fehlen außerdem Themen, mit denen er Stimmung machen könnte.

(Foto: Beata Zawrzel /Imago Images)

Er fürchtet, am 3. April die Parlamentswahl zu verlieren. Deshalb will der Premier mit Steuergeschenken punkten. Außerdem werden die Preise von Nahrungsmitteln eingefroren - zum "Schutz der Geldbörsen von Familien".

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Am 3. April wird in Ungarn gewählt, und zum ersten Mal seit 2010 ist die Abwahl des rechtskonservativen Politikers Viktor Orbán in Reichweite. Der reagiert darauf zum einen, wie gewohnt, mit einer scharfen Attacke auf eine gesellschaftliche Gruppe; diesmal richtet sie sich gegen die LGTBQ-Community. Die Kampagne gipfelt - ebenfalls für den Tag der Parlamentswahl angesetzt - in einem Referendum über das 2021 erlassene und von der EU heftig kritisierte Kinderschutzgesetz samt dem Verbot, über LGBTQ-Themen zu informieren und Homosexualität als Schulstoff in die Sexualerziehung zu integrieren.

Aber das dürfte kaum reichen, um die Wähler an die Urnen zu treiben. András Bíró-Nagy, Sozialwissenschaftler und Leiter des Thinktanks Policy Solutions, ist überzeugt, dass Orbán diesmal das entscheidende Narrativ für seinen Wahlkampf fehle. 2018 habe er mit Migration, EU und dem Feindbild George Soros mobilisiert, 2014 mit der Senkung der Nebenkosten wie Heizung und Strom. Diesmal aber fürchteten die Wähler die hohe Inflation, die zuletzt bei mehr als sieben Prozent lag, und eine allgemeine Verschlechterung der Wirtschaftslage. Deshalb kündigte der Regierungschef am Mittwoch auf Facebook an, die Regierung werde die Preise für sechs Lebensmittel (Zucker, Mehl, Sonnenblumenöl, Schweinekeulen, Hähnchenbrust und Milch) festsetzen - und zwar auf dem Stand vom 15. Oktober. Im November war bereits der Benzinpreis reguliert worden. Die regierungskritische Nachrichtenseite Telex.hu verwies umgehend darauf, die Wahl stehe bevor und die Regierungspartei Fidesz befinde sich im Modus des "Schutzes der Geldbörsen der Familien".

Am Ende gilt eben doch: It's the money, stupid. Und weil die sechs seit einem Jahr vereint kämpfenden Oppositionsparteien mit Spitzenkandidat Péter Márki-Zay dem nervöser werdenden Amtsinhaber laut Umfragen dicht auf den Fersen sind, greift der nun zudem tief in die Staatsschatulle: Er macht Wahlkampf mit Steuergeldern. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, Steuergeschenke gehören zum Arsenal fast jeder Regierung, die um ihre Wiederwahl kämpft. Auch der Rechtspopulist Orbán, der stolz ist auf seine "illiberale Demokratie", hat davon, siehe 2014, schon Gebrauch gemacht. Aber nie so massiv wie jetzt, mit erheblichen Konsequenzen für die Regierung, die nach ihm kommt.

In den vergangenen zehn Jahren war die Fiskalpolitik auf die Reduzierung des Staatsdefizits ausgerichtet worden, wenn auch teils mit durchaus unkonventionellen Mitteln wie Sondersteuern für ausländische Konzerne oder der Auflösung privater Pensionsfonds. Die Beseitigung des Defizits war weitgehend gelungen, bis die Pandemie ausbrach. Nun hagelt es Steuergeschenke im Wochenrhythmus. Und das Defizit ist das zweite Jahr in Folge wieder turmhoch.

Es profitieren vor allem jene mit Jobs und Einkommen. Nicht, wer Unterstützung am meisten bräuchte

Mittelklassefamilien, die ohnehin satte Steuernachlässe bei drei und mehr Kindern und Zuschüsse für Eigenheime und Anschaffungen erhalten, sollen zusätzlich profitieren von einer Rückzahlung der Einkommensteuern im Umfang von etwa 1,6 Milliarden Euro.

Auch Rentner dürften Freude am Wahlkampf haben, bringt er ihnen doch neben drei inflationsbedingten Erhöhungen im Jahr 2021 auch eine 13. Rente. Von ihr soll ein Teil bereits zum Jahresbeginn, der Rest kurz vor der Wahl ausgezahlt werden. Zusätzlich gibt es eine einmalige Sonderzahlung für Rentner von 223 Euro. Ebenfalls in den Genuss von Steuergeschenken kommen junge Ungarn unter 25 Jahren, die von diesem Jahr an keine Einkommensteuer zahlen müssen. Angekündigt hat die Regierung außerdem Steuerrückzahlungen für selbständige Bauern und Unternehmer.

Neu ist das im Prinzip nicht, aber der Einsatz steigt. Schon vor der vorigen Wahl beklagte die Friedrich-Ebert-Stiftung eine "Sozialpolitik für die Wohlhabenden" unter Orbán; wer habe, dem werde gegeben. Die aktuellen Wohltaten begründet Orbán mit der florierenden Wirtschaft, die im vergangenen Jahr, trotz Covid, um sechs Prozent gewachsen sei.

Der Wirtschaftsdienst Bloomberg nennt Orbáns Taktik "einen 7,5-Milliarden-Dollar-U-Turn", der helfen solle, die Wahl zu gewinnen. Regierungssprecher Zoltán Kovács teilt hingegen auf der englischsprachigen Regierungswebsite mit, die Zahlen sprächen für sich. Man handele so, weil man es sich leisten könne: Ungarn sei ökonomisch extrem erfolgreich, und bei allen ideologischen Differenzen könne ja wohl niemand etwas dagegen haben, dass man Löhne erhöhe, Steuern senke und die Wirtschaft ankurbele.

Aber die Sache ist natürlich komplizierter. Aktuell sorgt sich etwa die linke Zeitung Népszava um die Folgen für die nächste Legislaturperiode, wenn radikale Budgetkürzungen nötig würden, um das galoppierende Defizit einzufangen. Mancher Oppositionspolitiker frage sich, ob man Fidesz und Orbán nicht gewinnen - und ihr "eigenes Chaos aufräumen lassen" solle.

Wegen des Streits mit der EU fehlt auch das Geld aus dem Wiederaufbau-Fonds

Der Politikwissenschaftler Péter Krekó von Political Capital erinnert daran, dass Orbán jahrelang über die Sozialisten und ihre "Umverteilungspolitik" vor Wahlen hergezogen sei, nun tue er es selbst. Dabei, so Krekó, fehlten ihm schon jetzt viele Millionen aus dem Norway Grant, mit dem Norwegen, Liechtenstein und Island die Zivilgesellschaft unterstützen; die Geberländer hatten die Zahlungen an Budapest gestoppt. Vor allem: Es fehlten auch Milliarden aus den gestoppten Covid-Hilfen des Wiederaufbauprogramms der EU.

Tatsächlich dürfte Ungarn kein Geld aus dem milliardenschweren Fonds bekommen, solange es EU-Recht missachtet; zudem droht nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Streit um das Rechtsstaatsverfahren der EU demnächst die Kürzung weiterer Mittel. Investitionen, die Ungarn mit diesen Geldern bereits geplant hatte, müssen daher vom Staat teils vorfinanziert, teils verschoben werden.

Der Spitzenkandidat der vereinten Opposition, Péter Márki-Zay, gibt sich unbeeindruckt. "Wir wissen doch alle, dass Fidesz absolut leere Staatsschatullen hinterlassen wird", sagte er laut Bloomberg. Man werde das aber mit eigenen Programmen und Konzepten auszugleichen wissen.

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