Roth: Interview zu Iran:"Unternehmen agieren nicht im rechtsfreien Raum"

Lesezeit: 4 min

Grünen-Chefin Claudia Roth über deutsche Unternehmen in Iran, ihre Verantwortung und das Schweigen der Bundesregierung.

Thorsten Denkler

sueddeutsche.de: Frau Roth, Nokia Siemens Networks, die gemeinsame Tochter des deutschen Technik-Konzern Siemens und des finnischen Mobiltelefonherstellers Nokia, hat offenbar Kommunikationstechnik an Iran verkauft, mit dem digitale Kommunikation sehr genau überwacht werden kann. Was halten Sie davon?

Grünen-Chefin Claudia Roth: "Ein Fall eklatanter unternehmerischer Verantwortungslosigkeit." (Foto: Foto: dpa)

Claudia Roth: Es ist haarsträubend, dass es eine solche Lieferung an ein ganz offensichtlich autoritäres Regime gegeben hat. Das ist ein Fall eklatanter unternehmerischer Verantwortungslosigkeit. Unternehmen agieren ja nicht in einem rechtsfreien Raum, wenn es darum geht, die Universalität der Menschenrechte zu schützen. Jedes Unternehmen, das solche Technik liefert, muss wissen, dass sie in solchen Ländern zur Unterdrückung und Repression eingesetzt wird.

sueddeutsche.de: Nokia Siemens Networks nimmt für sich in Anspruch, sich an Recht und Gesetz gehalten zu haben.

Roth: Natürlich ist ein Wirtschaftsunternehmen verpflichtet, auch daran zu denken, was mit der Technik gemacht wird, die es in so ein Land liefert. Es muss sich fragen, an wen wird geliefert und wofür wird die Technik vermutlich eingesetzt.

sueddeutsche.de: Der reine Appell scheint in diesem Fall nicht viel genutzt zu haben.

Roth: Bei Siemens zumindest zeigt sich auf besonders krasse Weise der Unterschied zwischen angeblichem Anspruch und Wirklichkeit. Das Unternehmen bekennt sich ja in Selbstlobhudeleien immer wieder feierlich zu seiner sozialen Verantwortung.

sueddeutsche.de: Das Münchner Unternehmen hält zwar 50 Prozent der Anteile an der gemeinsamen Tochter, doch Nokia führt die Geschäfte bei Nokia Siemens Networks. Was werfen Sie der Siemans AG vor?

Roth: Siemens ist Mitglied im Global Compact, einem Zusammenschluss großer Konzerne für nachhaltiges Wirtschaften. Die Unternehmen im Global Compact verpflichten sich, zur Stärkung von Menschenrechten im Rahmen ihres unternehmerischen Handelns beizutragen. Siemens ist unabhängig von der Art seiner Beteiligung an Nokia Siemens Networks seiner moralischen Verpflichtung nicht nachgekommen. Man müsste Siemens einfach aus dem Global Compact rausschmeißen.

sueddeutsche.de: Reicht es, mit dem Finger auf Siemens zu zeigen? National hätten Sie doch unter Rot-Grün die Zügel für solche Exporte straffen können.

Roth: Wir haben damals darüber gestritten, ob die Regeln für Unternehmensverantwortung verbindlich oder ob sie auf Freiwilligkeit beruhen sollen. Wir Grüne waren für eine verbindliche Lösung. Ich fordere dringend eine Ergänzung der Rüstungsexportrichtlinien, damit sogenannte Dual-Use-Güter, also Güter, die für zivile wie für militärisch-geheimdienstliche Zwecke genutzt werden können, nicht mehr ohne weiteres exportiert werden.

sueddeutsche.de: Angeblich haben deutsche Nachrichtendienste wie der BND ein Interesse daran, dass deutsche Unternehmen solche Techniken liefern. Der BND kann sich so Zugang zu den inneren Abläufen des iranischen Zensurapparates sichern.

Roth: Das macht es doch nicht besser. Die Technik wird genutzt als Teil eines brutalen Unterdrückungsmechanismus. Wenn da die Bundesregierung irgendwie die Hände mit im Spiel gehabt haben sollte, dann macht sie sich mitschuldig an dem, was im Moment in Iran passiert. Es muss dann alles absolut offen und transparent auf den Tisch gelegt werden. Das erwarte ich von den beteiligten Unternehmen und selbstverständlich auch von der Bundesregierung.

sueddeutsche.de: Sollen jetzt alle deutschen Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen nach Iran diese abbrechen?

Roth: Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner Irans. Ich erwarte vor allem von den Firmen Linde, BASF, Thyssen-Krupp, VW und Daimler, dass sie sich ganz laut und ganz deutlich gegen die Eskalation der Gewalt, gegen die Unterdrückung und gegen die Verletzung von Menschenrechten in Iran stellen.

sueddeutsche.de: Hat die Bundesregierung genug getan, auf die Missstände hinzuweisen? Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ja immerhin eine Neuauszählung der Stimmen verlangt.

Roth: Das war auch absolut überfällig. Darüber hinaus aber war bis auf eine kritische Bemerkung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der Bundesregierung nichts zu hören. Sie hat sehr, sehr laut geschwiegen. Das ist eine Schande, angesichts der Tausenden von Exil- und Deutsch-Iranern, die auch bei uns auf die Straße gehen. Ich würde auch erwarten, dass endlich die Europäische Union eine geschlossene Haltung zu den Vorgängen in Iran findet.

sueddeutsche.de: Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat am Montag von brutaler Gewalt gegen Demonstranten gesprochen. Sie verlangt von der iranischen Regierung, von willkürlichen Massenfestnahmen abzusehen und eine freie Berichterstattung über die Proteste zuzulassen.

Roth: Eine schlichte Erklärung reicht mir nicht. Fällig wäre, dass sich ein Sonderministerrat zusammensetzt. Die Europäische Union muss UN-Generalsekretär Ban Ki Moon auffordern, in Iran als Vermittler aktiv zu werden.

sueddeutsche.de: Eine weitere internationale Isolation Irans scheinen weder der Wächterrat noch Mahmud Ahmadinedschad zu fürchten. Welche Druckmittel hat der Rest der Welt?

Roth: Es stimmt, dass Ahmadinedschad wenig auf die internationale Staatengemeinschaft gibt. Aber was jetzt in Iran passiert, kann auch ihm nicht gefallen. Die Demokratiebewegung lässt sich nicht mehr so einfach wegsperren, weil sie sich als breites Bündnis aufgestellt hat. Hoffnung macht auch die Tatsache, dass der Klerus in Iran schweigt. Das darf als laute Kritik an den Verhältnissen gewertet werden. Hier muss angesetzt werden.

sueddeutsche.de: Vertrauen Sie Ahmadinedschads Gegenspieler Mussawi? Der war doch selber lange ein entscheidender Teil des Systems. Es heißt, er sei zumindest indirekt für den Tod von vielen Menschen verantwortlich.

Roth: Es würde sich nicht alles auf einen Schlag verändern in Iran, sollte Mussawi an die Macht kommen. Das iranische Atomprogramm wird auch von ihm nicht angegriffen. Aber er hat sich zur Wahl gestellt, um Iran zu demokratisieren. Sein Erfolg hat zur Delegitimation von Ahmadinedschad geführt. Es war ein Fehler, Iran immer nur unter dem - wenn auch wichtigen - Atomaspekt zu sehen. Genauso wichtig wäre es, die demokratischen Kräfte in Iran zu stärken.

sueddeutsche.de: In der USA gerät Präsident Barack Obama unter Druck, weil er nicht mit harter Rhetorik das Regime angreift. Ist Ihnen Obama zu soft?

Roth: Es wäre ein Riesenfehler, jetzt in cowboymäßiger Manier mit Intervention zu drohen, wie Bush es seinerzeit immer getan hat. Das würde sofort die Opposition in Iran in eine Art Zwangssolidarität des ganzen iranischen Volkes gegen den Westen drücken und die Bewegung schwächen.

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