Als er in der vergangenen Woche endlich unter Dach und Fach war, der Kompromiss zwischen der schwarz-gelben Regierung und den Energiekonzernen über eine längere Laufzeit von Atommeilern, da strahlte Norbert Röttgen noch und sprach von einem "energiepolitischen Gesamtkonzept (...), das in den westlichen Industrieländern noch nicht übertroffen worden ist".
Das Strahlen dürfte dem Umweltminister zusehends vergehen: Die Berliner Koalitionäre sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, Lobby-Politik zugunsten der Atomindustrie betrieben zu haben, die kommunalen Energieversorger fürchten Milliardeneinbußen und zudem können die Vereinbarungen am Bundesverfassungsgericht scheitern.
Nun will plötzlich auch der CDU-Politiker, der sich im Vorfeld als Gegner der Atomkraft positioniert und fast mit der eigenen Partei überworfen hätte, nichts mehr mit dem mühsam ausgehandelten Kompromiss zu tun gehabt haben: "Ich habe an dem Vertrag nicht mitgewirkt, und es hat auch kein Vertreter des Umweltministeriums teilgenommen", sagte der in Atomfragen eigentlich federführende Umweltminister nach Angaben von Teilnehmern einer Sondersitzung des Umweltausschusses.
Röttgen konnte bis auf einen Vertreter des Finanzministeriums demnach keinen Unterzeichner des tagelang unter Verschluss gehaltenen Vertrags nennen, der der Atomindustrie mehrere Schutzklauseln zubilligt.
In früheren Interviews hatte sich Röttgen gegen jegliche Form von "Deal-Politik" ausgesprochen - gerade bei einer so heiklen Entscheidung wie der Verlängerung von Atomlaufzeiten.
In dem Vertrag werden unter anderem die Nachrüstkosten pro Atomkraftwerk bei 500 Millionen Euro gedeckelt. Was darüber liegt, wird von den Ausgaben der Konzerne für den Ökoenergie-Fonds abgezogen.
Zugleich bestätigte Röttgen in dem Ausschuss, dass sich die Regierung in der Frage, ob die längeren Atomlaufzeiten ohne Zustimmung des Bundesrats beschlossen werden können, lediglich auf mündliche Stellungnahmen stützt. Diese hatten Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kurz vor der Entscheidung im Kanzleramt dargelegt. Die Grünen bewerten es aber als höchst zweifelhaft, dass sich die Regierung in einer so wichtigen Frage nur auf mündliche Aussagen stützt.
Kanzlerin Angela Merkel verteidigte bei der Aussprache über den Haushalt 2011 im Bundestag indes die Entscheidung für längere Atomlaufzeiten. Es habe keinen Sinn, aus ideologischen Gründen Atommeiler abzuschalten oder Kohlekraftwerke zu verhindern, sagte Merkel. Man habe sich das Laufzeit-Plus nicht abkaufen lassen.
Lammert kritisiert Umgehung des Bundesrats
In neuen Gutachten kommen allerdings immer mehr Verfassungsrechtler zu dem Schluss, dass das Laufzeit-Plus nur mit der Länderkammer beschlossen werden kann - hier hat Schwarz-Gelb aber keine Mehrheit mehr.
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, etwa hält die Verlängerung weiterhin nur mit Zustimmung des Bundesrats möglich. Dies schreibt Papier in einem Aufsatz für die Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ).
Röttgen betonte hingegen, auf Basis der Ministerempfehlungen halte man die Entscheidung für nicht zustimmungspflichtig.
Bundestagspräsident und CDU-Politiker Norbert Lammert kritisierte das Vorgehen der Koalition: "Ich halte die gefundene Lösung, die auch ohne eine Zustimmung des Bundesrats realisiert werden soll, nicht für einen Geniestreich", sagte Lammert. Der Alleingang berge nicht nur ein "beachtliches verfassungsrechtliches Risiko", Union und FDP verzichteten damit auch auf die Chance, das Energiekonzept auf die breite Basis zu stellen, die der lange Geltungszeitraum bis 2050 erfordere.
Der SPD-Politiker Matthias Miersch wertete die Aussagen Röttgens im Umweltausschuss als "deutliche Absetzbewegungen" von dem Vertrag. Dass Röttgen als zuständiger Minister nicht eingebunden gewesen sei, sei ein "verfassungsrechtlicher und sicherheitspolitischer Skandal". Röttgens Aussagen zu der Sicherheitsfrage seien "nebulös" gewesen.
Röttgen betonte am Rande der Sitzung: "Wir steigern die Sicherheit." Die Atomkraft sei als Brücke ins Ökoenergie-Zeitalter notwendig, "so kurz wie möglich, aber so lang wie nötig".