CDU und FDP in Rheinland-Pfalz wollen gegen den dortigen SPD-Justizminister Ministeranklage erheben. Das ist das schwerste Geschütz, das in der Politik aufgefahren werden kann. Man mag das abtun mit dem Hinweis, dass halt Wahlkampf ist in Rheinland-Pfalz. Die Zweidrittelmehrheit im Landtag, die es nach der Landesverfassung braucht, um diese Anklage zu beschließen, kommt eh nicht zustande - der Minister gehört schließlich der Mehrheitspartei SPD an. Gleichwohl hat die Anklage ihre Berechtigung.
Anzuklagen ist aber nicht nur der Minister, sondern das in ganz Deutschland geltende Beförderungssystem, das die Unabhängigkeit der Justiz verhöhnt. Die Richter werden von der Exekutive, also vom Minister bestellt. Der Justizminister in Mainz hat sich dieses Beförderungssystem nur auf eine besonders plumpe Weise zunutze gemacht. Es funktioniert immer noch so, wie es der preußische Justizminister Leonhardt vor über 130 Jahren beschrieben hat: "Solange ich über die Beförderungen bestimmen kann, bin ich gern bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzedieren". Justizminister Heinz Georg Bamberger in Mainz ist ein Bruder im Geiste.
Schon vor 130 Jahren stritten die Richter in Deutschland gegen Minister und Kanzler wegen der Manipulationen bei der Besetzung von Richterstellen. Carl Tewes, Stadtrichter in Berlin, ließ Flugblätter drucken mit dem Titel: "Leute, jetzt ist Zeit zum Lärmen". Es ist wieder so weit; das lehrt der Fall in Rheinland-Pfalz auf besonders krasse Weise.
Was ist gehaltvoller als eine Spätlese? Was wertbeständiger als das beste Wertpapier? Und was wirksamer als jedes Arzneimittel? Es ist eine deutsche Beförderungsurkunde. Wenn sie dem Kandidaten einmal ausgehändigt wurde, dann ist das ihm damit verliehene Amt schier unentziehbar. Dann bleibt der Gerichtspräsident ein Gerichtspräsident, auch wenn der Minister bei dessen Beförderung die Regeln des Richterrechts nicht eingehalten hat. Da kann der Mitbewerber klagen wie er will: Er kriegt dann allenfalls, wenn es gut für ihn läuft, ein paar Euro Schadenersatz. Das Recht nennt diese Sekundenkleber-Wirkung der Beförderungsurkunde den "Grundsatz der Ämterstabilität".
Justizminister Bamberger in Mainz hat daher ganz schnell und in der Pause zwischen zwei Terminen einem parteinahen Mann eine Ernennungsurkunde übergeben, die ihn zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz beförderte. Das war nicht gerade elegant; üblicherweise laufen die Dinge subtiler. Dem Mitbewerber, der zwar ein CDU-Parteibuch hatte, aber auch für das Amt die bessere Qualifikation und die größere Erfahrung, blieb das Nachsehen - obwohl er angekündigt hatte, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Aber dann fällte das Bundesverwaltungsgericht eine unerwartete, ja sensationelle Entscheidung: Es machte bei diesem Spiel nicht mehr mit; es hob die Ernennung auf und verpflichtete den Minister, ein neues Bewerbungsverfahren durchzuführen. Seit kurzem liegt die Begründung dieses Urteils vor; sie liest sich wie eine Abwatschung des Justizministers. Diese Abreibung hat er verdient.
Das deutsche Justizsystem aber würde es verdienen, dass nicht nur ein dreister Missbrauch des Beförderungswesens angeprangert, sondern dass dieses ganze Beförderungsunwesen demokratisch und rechtsstaatlich renoviert wird. Mehr noch: Die Abhängigkeit der Justiz von einem Ministerium ist zu beenden. Die deutsche Justiz muss sich selbst verwalten, so wie das in vielen EU-Ländern längst Standard ist. Selbstverwaltung heißt: Die Justiz verhandelt mit den Finanzministern über ihren Haushalt und vertritt ihre Forderungen im Parlament; und ein Justizwahlausschuss (besetzt mit Richtern und Parlamentariern) hat die letzte Entscheidung in Personalfragen. Dann braucht man keinen Justizminister mehr; eine Anklage gegen ihn erübrigt sich dann auch.