Regierungserklärung des Vizekanzlers:Gabriel streicht sein Ministerium rot

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Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) hält im Bundestag eine Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht. (Foto: dpa)

Vizekanzler Gabriel trimmt sein liberal geprägtes Wirtschaftsministerium auf Genossen-Kurs - und ist darauf im Bundestag mächtig stolz. Der Linken Sahra Wagenknecht reicht das hinten und vorne nicht. Den Grünen Anton Hofreiter erinnert das alles an die Pappschachteln aus dem SPD-Wahlkampf.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Sigmar Gabriel freut sich über das Getuschel im Bundestag. Er hat ja auch gerade Bedeutsames verkündet. Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, den er gerade in seiner Regierungserklärung vor dem Parlament vorstellt, sei wohl der erste, in dem ein Bundeswirtschaftsminister "den Mindestlohn richtig findet".

Damit wäre Gabriel wohl jetzt schon ein großer Mann der Geschichte. Zumindest sieht es so aus, als ob ihm das in diesem Moment selbst so vorkommt. Er scherzt: "Protokollvermerk: Unruhe im Saal." Und grinst. Nichts geht doch über eine gelungene Pointe. Es ist Bundestagspräsident Norbert Lammert, der den SPD-Chef wieder zurück auf den Boden holt. "Das hatten wir schon mal schlimmer, Herr Gabriel." Lacher im Saal. Gabriel lacht dann lieber mal mit.

Gabriel hat den Jahreswirtschaftsbericht ein paar Wochen zurückgehalten. Den Entwurf seiner Beamten, deren Dienstherr bis vor kurzem noch Ex-FDP-Chef Philipp Rösler war, ließ er umschreiben. Weniger FDP - mehr SPD sollte rein. Und ein Bekenntnis zum Mindestlohn, auf den sich die große Koalition verständigt hat.

Das dürften auch die Passagen sein, die den Beamten nicht so leicht gefallen sind. Bisher bestand ihr Job ja eher darin, Mindestlöhne abzuwehren. Wie gut, dass Gabriel inzwischen einen Haufen Argumente dafür sammeln konnte. Es gehe im Kern darum, dass "Arbeit und Leistung ihren Wert haben müssen", klärt Gabriel im Bundestag auf. Der Mindestlohn sei die Abkehr davon, dass Menschen arbeiten gingen "und dann noch zum Sozialamt gehen müssen".

"Der tapfere Oppositionspolitiker ist heute Wirtschaftsminister"

Gabriel hat als gerade erst ernannter Minister noch den Vorteil, dass er die Lage nicht in den schillerndsten Farben darstellen muss. Regiert wird das Land ja erst seit Januar wieder halbwegs. Da kann er ohne Probleme vom gespaltenen Arbeitsmarkt mit Minijobbern, von Werkverträgen und prekärer Beschäftigung sprechen. Vieles davon ist zwar auf die Agenda-Reformen von Gerhard Schröder zurückzuführen. Aber die SPD sagt ja, sie habe die Fehlentwicklungen inzwischen erkannt.

Sahra Wagenknecht, Fraktionsvize der Linken, scheint das nicht ganz so zu sehen. Vor einem Jahr noch habe ein "tapferer Oppositionspolitiker" an diesem Pult die Zustände am Arbeitsmarkt massiv kritisiert. Sachgrundlose Befristungen, Altersarmut, prekäre Beschäftigung. "Der tapfere Oppositionspolitiker ist heute Wirtschaftsminister" - und nichts werde sich ändern, prophezeit Wagenknecht. Ihr Urteil ist gefällt, bevor es mit der großen Koalition überhaupt richtig losgeht. Gabriels Politik sei "jämmerlich" und "vollkommen unglaubwürdig". Dass der Mindestlohn jetzt kommen soll, reicht ihr auch nicht. Statt 8,50 Euro will sie zehn Euro pro Stunde. Und das sofort und flächendeckend.

Ausgerechnet CDU-Mittelstandsmann Michael Fuchs nimmt Gabriel danach in Schutz und verhaut Wagenknecht, die solle mal bitte mit dem "kommunistischen Gelabere" aufhören. "Wenn ich mir diesen Quatsch anhören muss, das tut körperlich weh." Gut, dass die Debatte nicht auf diesem Niveau weitergeht.

Gabriel hatte versucht zu erklären, dass der gespaltene Arbeitsmarkt und der damit einhergehende Lohnverfall der vergangenen zehn Jahre komplett "gegen die Idee der sozialen Marktwirtschaft" stünde. Er zitiert den ordoliberalen Walter Eucken: Lohnverfall sei eine "Anomalie des Arbeitsmarktes", habe der mal geschrieben. Und im Fall einer solchen Anomalie sei "die Festsetzung von Mindestlöhnen akut". Das wolle er, Gabriel, auch denen mit auf den Weg geben, die zwar das Buch des Erfinders der sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, hochhalten, "aber nur die Klappentexte gelesen haben".

Der Wirtschafts- und Energieminister justiert die Politik seines liberal geprägten Hauses neu. Freier Markt war bisher selbst unter SPD-Wirtschaftsministern - von Ausnahmen abgesehen - ein gängiges Credo. Jetzt erinnert sich Gabriel daran, was er einst im "Funktionärslehrgang I" der IG Metall über Lohnforderungen der Gewerkschaften gelernt habe. Die orientiere sich an der Produktivität und an der Inflationsrate. "Plus Umverteilung, wenn die Gewerkschaft Kraft hat", sagt Gabriel. Die Lohnentwicklung an Produktivität und Inflation auszurichten, das steht jetzt auch im Jahreswirtschaftsbericht. Er klingt ein wenig so, als wäre er jetzt der Leiter des Funktionärslehrgangs und die Abgeordneten sind die Teilnehmer.

Gabriel dreht sich zur Linken: "Zwei Drittel der IG-Metall-Forderungen, wie man Löhne macht, stehen im Jahreswirtschaftsbericht - und sie kritisieren es immer noch."

1,8 Prozent Wirtschaftswachstum werden für 2014 prognostiziert. Die Exporte werden dabei "nicht alleine das Wachstum treiben", sagt Gabriel. Ein erheblicher Teil davon werde durch die steigende Binnennachfrage gestemmt. Gabriel geht davon aus, dass auch die Rentenerhöhungen die Haushaltseinkommen in Deutschland steigen lassen werden.

Rot angemalte Pappschachteln

Gabriel fordert mehr Investitionen und kündigt eine Investitionsoffensive an. Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter rechnet später vor, was es damit auf sich hat: Die Industriestaaten verwenden im Schnitt etwa 20 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung auf Investitionen. In Deutschland seien es nur etwa 17 Prozent. Die etwas über eine Milliarde Euro, die für Investitionen des Bundes in den Straßenbau zusätzlich bereitstünden, erhöhten die Quote auf 17,1 Prozent. Notwendig seien mehr als sieben Milliarden Euro, um den Investitionsstau im Straßenbau zu beheben.

Hofreiter sagt, er habe dabei an die Pappschachteln von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gedacht. Steinbrück hatte Kanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf vorgeworfen, den Bürgern nur leere Schachteln ins Schaufenster zu stellen. "Die Pappschachteln werden nicht schöner, weil man sie rot anmalt", scherzt Hofreiter.

Wohl keine Pappschachtel wird das geplante Freihandelsabkommen mit den USA bleiben. Gabriel jedenfalls verteidigt es vehement gegen Versuche, das Abkommen wegen der NSA-Enthüllungen zu Fall zu bringen. Das sei kein "Freihandelsabkommen für amerikanische Spionage", versichert er. Und weder dürfe es zu einem "Dumpingabkommen" werden, noch wolle die Bundesregierung eine "neue Runde der blinden Privatisierung" einläuten. Ihm gehe es um die Chance, "den größten Freihandelsmarkt der Welt zu erzeugen". Das werde neue Arbeitsplätze schaffen. Er verspricht, eine "transparente Debatte" über das Abkommen zu führen.

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