Hassbotschaften:Angriff der Angstmacher

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)
  • Die rechtsextremistische Szene ist unübersichtlich geworden, weder Verfassungsschutz noch Polizei können sicher sein, alle Entwicklungen auf dem Schirm zu haben.
  • Im vergangenen Jahr wurden Politiker und Behördenvertreter 1256-mal Opfer politisch motivierter Straftaten.
  • Neben der Gefahr eines tatsächlichen Attentats treibt die Sicherheitsbehörden um, dass ein Klima der Einschüchterung entstehen könnte.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke

In den USA hat die Neonazigruppe "Atomwaffen Division" einen mörderischen Ruf, etwa 80 Mitglieder soll sie dort haben, mehrere von ihnen sind in Haft, insgesamt fünf Morde werden ihren Anhängern zugeschrieben. Seit Monaten bereits machen Meldungen die Runde, dass die Gruppierung nun auch in Deutschland unterwegs ist, ein selbsternannter Vertreter eines deutschen Ablegers hatte sich vermummt in einem Video gezeigt. "Die Messer werden schon gewetzt", sagte er mit verzerrter Computerstimme. Seit dem vergangenen Wochenende ist klar, dass die Gruppe Politiker bedroht. Dem Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir (Grüne) schrieb sie per E-Mail: "Zurzeit sind wir am Planen wie und wann wir Sie hinrichten werden", und dass gleich hinter ihm auf Platz zwei ihrer "Todesliste" eine Parteifreundin stehe, die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth.

Wie ernst das wirklich zu nehmen ist, weiß in den deutschen Sicherheitsbehörden derzeit niemand, es könnten Terroristen sein - oder auch Trittbrettfahrer, die einzig Aufmerksamkeit wollen. Über den deutschen Ableger der Atomwaffendivision ist wenig bekannt. Aber nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) kann und will man sich darauf nicht verlassen. Die Szene ist unübersichtlich geworden, weder Verfassungsschutz noch Polizei können sicher sein, alle Entwicklungen auf dem Schirm zu haben. Der Mord war eine Mahnung. Die Tat in Halle, wo ein bislang völlig unbekannter Rechtsradikaler die Synagoge zu stürmen versuchte, ebenso.

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Politisch motivierte Straftaten werden immer häufiger

Drohungen gegen Politiker - oft auch auf lokaler Ebene - sind epidemisch geworden. Manches findet nur im Netz statt, in anderen Fällen gehen Briefe ein. Schon 2018 schrieb das Bundeskriminalamt (BKA) in einem Lagebild "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung", dass neben Attacken auf Asylunterkünfte und Flüchtlinge auch "weiterhin rechtsmotivierte Straftaten gegen Politiker und sonstige als politisch verantwortlich empfundene Personen zu erwarten" seien. Dass es so schlimm kommen würde, hatte man allerdings nicht erwartet. Im vergangenen Jahr wurden Politiker und Behördenvertreter 1256-mal Opfer politisch motivierter Straftaten, wie BKA-Präsident Holger Münch und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Mai mitteilten. Und die Tendenz weist nach oben, allein im ersten Quartal dieses Jahres zählte man 372 neue Fälle.

Neben der Gefahr eines tatsächlichen Attentats treibt die Sicherheitsbehörden um, dass ein Klima der Einschüchterung entstehen könnte. Wenn Bedrohungen folgenlos blieben, müsse man damit rechnen, dass sich Politiker zurückziehen, vor allem auf kommunaler Ebene, hieß es jüngst warnend beim wöchentlichen Treffen der Geheimdienstchefs im Kanzleramt. An der Basis kann das demokratische System ziemlich wehrlos erscheinen. Personenschutz - wie für Özdemir oder hochrangige Bundespolitiker - gibt es auf kommunaler Ebene kaum. Dabei gab es gerade hier die Opfer: 2015 traf es die spätere Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, sie überlebte die Attacke eines Rechtsextremen nur dank einer Notoperation. Am 27. November 2017 setzte ein arbeitsloser Maurer in einem Dönerimbiss im sauerländischen Altena dem Bürgermeister ein Messer an den Hals. "Ich stech' dich ab", rief er, "du lässt mich verdursten und holst 200 Ausländer in die Stadt!"

Die Behörden setzen, wo möglich, auf Personenschutz, aber vor allem auf Abschreckung, mit großem Aufwand und unter Einschaltung von Verfassungsschutz und BKA werden die Absender von E-Mail-Drohungen gesucht - neben der Atomwaffendivision sind dies auch die "Nationalsozialistische Offensive" und das "Staatsstreichorchester". Der einzige bisher gefasste Verdächtige aber ist André M. aus Halstenbek, 30 Jahre alt, seit April sitzt er in Schleswig-Holstein in Untersuchungshaft. Der Mann, der zahlreiche Drohungen gegen Politiker, aber auch Bombendrohungen gegen Gerichte und Bahnhöfe mit "Nationalsozialistische Offensive" unterzeichnet haben soll, hat in seinem Leben nicht nur Staatsanwälte, sondern auch Psychiater schon oft beschäftigt.

Vermutlich steht hinter dem "Staatsstreichorchester" nur ein einzelner Täter

Bei dem anderen Absender, "Staatsstreichorchester", gehen die Ermittler bislang von einem versierten Täter aus, der mit allen IT-Wassern gewaschen sei. Dank ausgefeilter Verschlüsselungstechnik hält er die Polizei auf Abstand, obwohl er schon an die 200 Politiker, Anwälte und Journalisten per Mail bedroht haben soll, manche von ihnen auch mehrmals. Ob es wirklich nur ein Einzelner ist, der sich hinter Mails verbirgt, in denen von "Genickschüssen" die Rede ist und von der endgültigen "Auslöschung" jüdischen und muslimischen Lebens, lässt sich nicht sicher sagen. Die Diktion in den Mails, die einer forensischen Sprachanalyse unterzogen worden sind, scheint aber dafür zu sprechen.

Wie im Fall der Atomwaffendivision, so stehen die Ermittler auch hier vor einem besonderen Problem. Wer immer es ist, der das "Staatsstreichorchester" dirigiert: Er genießt die Aufmerksamkeit. Er sucht die Öffentlichkeit. Gerne setzt er Journalisten in Kopie. Das Ziel der Ermittler ist es, solchen Drohungen hart und sichtbar entgegenzutreten - ohne aber das Ego der Täter noch unnötig zu füttern.

© SZ vom 05.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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