"Revolution Chemnitz":Probelauf für die rechtsextreme Revolution

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Die Gruppe "Revolution Chemnitz" fühlte sich offenbar ermutigt durch die Krawalle in der Stadt: Polizisten bei Protesten im August 2018. (Foto: Jan Woitas/dpa)
  • Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen acht Mitglieder der "Revolution Chemnitz".
  • Sie sieht in dem Zusammenschluss von Skinheads, Hooligans und Neonazis eine terroristische Vereinigung.
  • Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die Gruppe bewaffnete Anschläge auf Vertreter der Politik oder der Medien plante.

Von Lena Kampf, Sebastian Pittelkow, Katja Riedel und Annette Ramelsberger

Die Revolution sollte an einem See starten. Einem kleinen See, auf dem Kinder mit rosaroten Tretbooten in der Form von Flamingos übers Wasser schippern und Mütter am Ufer ihre Babys stillen. Ein Idyll, mitten in der Stadt, mit Eiscafé, mit Bootsverleih. Und auf der kleinen Insel im See picknicken Frauen mit Kopftuch und Studenten mit bunten Haaren und Bässen aus dem Handy. So schön kann Chemnitz sein, mitten in der Stadt, am Schlossteich.

Genau hier sollte der Probelauf für die Revolution stattfinden. Eine rechtsextreme Revolution, gegen den Staat, gegen die Demokratie, gegen die Gleichheit und Freiheit der Menschen, gegen die Frauen mit Kopftuch und die Studenten mit den bunten Haaren. Hier probte die mutmaßliche rechtsextreme Terrortruppe "Revolution Chemnitz" den Umsturz. Und wäre dieser erste Anlauf geglückt, hätte es weitergehen sollen, nach Berlin.

Dort sollte dann ein Attentat verübt werden, das die Rechten aus Chemnitz der linken Szene in die Schuhe schieben wollten - etwas in der Größenordnung der G-20-Krawalle von Hamburg. Und dann, so war der Plan, würde sich die Polizei mit den rechten Saubermännern solidarisieren, und möglicherweise würden auch normale Bürger zu den rechten Revolutionären überlaufen. "Die Bullen", so schrieb der Anführer der Truppe, würden "zu 88,88 Prozent" auf ihrer Seite sein. 88 steht als Zahl in der rechten Szene für Heil Hitler, H ist der achte Buchstabe im Alphabet.

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Acht Männern von "Revolution Chemnitz" wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben. Ziel sei der gewaltsame Sturz der Regierung gewesen, in Berlin sollte "so etwas wie ein Bürgerkrieg" entstehen.

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Der Anschlag müsse nur so aussehen, als hätten "die Parasiten" angefangen. Mit dem Wort Parasiten meinte der Anführer Andersdenkende, liberal eingestellte Menschen. Am 3. Oktober sollte das alles geschehen, am Nationalfeiertag.

Die Gruppe sah die Zeit reif für einen Umsturz

Die Bundesanwaltschaft erhebt nun Anklage gegen acht Mitglieder dieser "Revolution Chemnitz". Sie sieht in dem Zusammenschluss von Skinheads, Hooligans und Neonazis eine terroristische Vereinigung und geht davon aus, dass die Gruppe bewaffnete Anschläge auf Vertreter der Politik oder der Medien plante. Es ist nun schon die vierte Gruppe aus dem rechtsextremen Spektrum, gegen die die Bundesanwaltschaft in den vergangenen zehn Jahren Anklage wegen Terrorverdachts erhebt - nach dem NSU, der "Oldschool Society" und der "Gruppe Freital".

Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR hatten Einblick in die Ermittlungsakten. Diese zeichnen das Bild einer Terrorgruppe, die offensichtlich ermutigt war von den Krawallen von Chemnitz und sich getragen fühlte von der aufgeheizten Stimmung in der Stadt, wo Rechtsextremisten, Pegida und AfD im August und September 2018 Seite an Seite marschiert waren. Die Gruppe "Revolution Chemnitz" sah die Zeit reif für einen Umsturz, nicht nur in Chemnitz, sondern in ganz Deutschland. Und den wollte sie in Berlin auslösen. Man wolle eine Systemwende, den Ausbruch eines Bürgerkriegs und dann die Gesetze außer Kraft setzen, schrieben sie. Die Zeichen stünden auf Sturm. So redeten sie in ihrem internen Chatverkehr.

Die Gruppe war gezielt vorgegangen. In einem eigenen Chat auf dem Messenger-Dienst Telegram, der von Sicherheitsbehörden nur schwer mitzulesen ist, tauschten sich die acht Männer aus. Worüber, war von Anfang an klar. Der Chat hieß "Planung Revolution". Es ging um Aktionen gegen "Linksparasiten, Merkel-Zombies, Mediendiktatur und deren Sklaven". Es wurde die gemeinsame Ausrüstung mit Waffen organisiert, bevorzugt mit halb automatischen Waffen wie einer Walther P99 oder entsprechenden Modellen von Heckler & Koch. Und es wurden schon Preisverhandlungen geführt.

Nur mit Bargeld sollten die Waffen bezahlt werden, absolutes Stillschweigen war vereinbart. Man wollte die Waffen nicht, um sie sich unters Kopfkissen zu legen, sagte eines der Mitglieder später der Polizei. Klar war: Es ging um Mord. Und um Opfer in der Zivilbevölkerung. Gegen sie, so chatteten die Revolutionäre, würde sich der NSU ausmachen wie eine "Kindergarten-Vorschulgruppe". Der NSU hat zehn Menschen getötet.

Die acht Männer im Revolutionschat galten als Anführer in ihren jeweiligen Gruppen, altgediente Kämpfer mit Szene-Erfahrung - so betonte es der mutmaßliche Kopf der Vereinigung, Christian K. Der eine hatte Kontakt zu Fans von Hansa Rostock, der andere zu Hooligans aus Dresden. In den Akten finden sich darum viele weitere Chats. Der eine versprach, zehn Leute auf die Beine zu stellen, der andere, dass er einen ganzen Bus mit 50 Hooligans aus Rostock organisieren könne.

Zum ersten Mal zuschlagen wollten sie in Chemnitz, am Abend des 14. September 2018. Sie hatten sich, zumindest verbal, generalstabsmäßig vorbereitet. "Nur gewaltbereite Leute" sollten kommen, gab der Anführer als Losung aus, niemand, der Bedenken trägt. Auf das Stichwort "Die Wölfe sind los" sollten sie losschlagen. Ihre Waffen sammelten sie zuvor ein und versteckten sie in der Nähe des Tatorts, damit sie nicht vorher von der Polizei konfisziert würden. Dann ging es zur Sache und auf die Insel im Schlossteich - diesmal noch ohne todbringende Waffen.

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Angst und Schrecken verbreiteten sie allerdings bereits bei diesem Probelauf. Allesamt schwarz gekleidet, von Kopf bis Fuß, mit abgebrochenen Bierflaschen im Anschlag, einem Elektroschocker und schweren Quarzhandschuhen bewaffnet, marschierten etwa zehn Männer der Gruppe zur Schlossteichinsel auf der Suche nach Opfern. Zuvor hatten sie sich im nahen Edeka Bier gekauft. Ein junges Paar, das auf einer Bank am See saß, fragten sie, ob sie Deutsche seien. Als sie mit Ja antworteten, muss die Revolutionsgarde enttäuscht gewesen sein. Als die jungen Leute auch nicht wussten, ob "Linke" auf der Insel seien, versetzte einer der selbsternannten Revolutionäre dem jungen Mann eine harte Ohrfeige.

Dann rannten sie hinüber auf die Insel und kreisten eine Gruppe junger Leute ein, die einen 17. Geburtstag feierten. Die Angreifer erklärten, sie seien eine Bürgerwehr, und kontrollierten mehrere Jugendliche. Dann stürmten sie laut schreiend auf die Gruppe zu. Die Jugendlichen flüchteten.

Der Probelauf endete für mehrere Männer aus der Gruppe mit der Festnahme

Dann fanden die rechten Revolutionäre doch noch passende Opfer: eine Gruppe aus sieben Leuten, die friedlich grillten, darunter auch ausländisch aussehende Menschen. Obwohl bereits die Polizeisirenen heulten, warfen sie noch Bierflaschen und Scherben auf die jungen Menschen, ein Iraner wurde am Hinterkopf getroffen und rannte blutend davon. Das war der Probelauf. Er endete für mehrere Männer aus der Gruppe mit der Festnahme.

Bei der Auswertung der Mobiltelefone stießen die Fahnder dann auf die viel weiter reichenden Planungen für den 3. Oktober. Und auf ein Netz von Rechtsradikalen, die offenbar auf alte, längst verbotene Strukturen aufbauen können. Allein vier Männer aus der Gruppe gehörten zur 2007 verbotenen Gruppe "Sturm 34", einer rechtsradikalen, kriminellen Vereinigung in Sachsen. Die Gruppe war zwar längst verboten, aber die Leute, die mitgemacht hatten, gab es immer noch. Und ihre Überzeugungen hatten sich nicht geändert. Tom W., Christian K. , Maximilian V. und Hardy W. aus der "Revolution Chemnitz" gehörten allesamt einmal zum "Sturm 34". Nach Informationen von SZ, NDR und WDR waren Tom W. und Christian K. sogar unter deren Anführern.

Christian K. ist auch der Kopf der neuen mutmaßlichen Terrorgruppe, sein Vertrauter Sven W. war für die Organisation zuständig. Die Fahnder beunruhigte vor allem, wie schnell sich die Männer zu einer gewalttätigen Gruppe zusammenfanden. Am 10. September abends um 20.30 Uhr hatte Christian K. laut den Akten die Gruppe "Planung Revolution" eröffnet, am nächsten Morgen um 11.18 Uhr waren schon die übrigen dabei. Alles Führungskräfte aus der Szene, die ihre Truppen dirigieren sollten. Quasi auf Knopfdruck hatte sich demnach eine terroristische Vereinigung gebildet. Erst nur virtuell, vier Tage später aber im wirklichen Leben.

© SZ vom 26.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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