Die Zahl der jungen Menschen, die sich inzwischen allein aus Deutschland auf den Weg in den Nahen Osten gemacht haben, um sich den Terroristen des sogenannten Islamischen Staates oder der Nusra-Front anzuschließen, liegt bei 700. Was treibt sie, wie Tausende andere aus Europa, zu den islamistischen Fundamentalisten, die massenhaft Unschuldige ermorden und Gefangenen vor laufender Kamera den Kopf abschneiden? Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage. Aber etliche Experten haben eine Reihe von Faktoren zusammengetragen, die dabei eine Rolle spielen.
Als Erstes fällt auf, dass die bislang identifizierten jungen Anhänger des IS oder von al-Qaida sehr unterschiedliche Hintergründe haben. Die Attentäter des 11. September 2001 etwa waren strenggläubige, gebildete Muslime fern ihrer Heimat. Attentäter aus Europa waren dagegen Kinder von Einwanderern aus islamisch geprägten Ländern und junge Menschen ohne Migrationshintergrund - christlich erzogen oder keiner Religion zugehörig -, die zum Islam konvertiert waren. Manche waren Studenten, manche Kleinkriminelle, einige nahmen Drogen, einige waren sozial benachteiligt, andere gehörten dem Mittelstand an und hatten Teil am gesellschaftlichen Leben. Eine Studie zu IS-Anhängern in den USA ist jüngst zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
Probleme bei der jugendlichen Identitätsfindung
Andererseits gibt es zumindest bei den Gotteskriegern aus dem Westen auch deutliche Gemeinsamkeiten. So handelt es sich offenbar eher um gescheiterte junge Leute mit Problemen bei der Identitätsfindung, berichtet der forensische Psychiater Norbert Leygraf, der etliche Terroristen begutachtet hat, im Fachmagazin Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie. Während dieser Identitätsfindung suchen Jugendliche ihre Rolle in der Gesellschaft. Meist passen sie sich - nach mancher Rebellion gegen Eltern und andere Autoritäten - mehr oder weniger an. Bei einigen kommt es jedoch zu starken Gefühlen der Entfremdung gegenüber der Gesellschaft.
Dem amerikanischen Sozialpsychologen Arie W. Kruglanski zufolge kann der Auslöser dafür ein Gefühl der Demütigung, der Hoffnungslosigkeit oder der Frustration sein, verursacht etwa durch Konflikte in der Familie, Diskriminierung, Trennungen, den Tod eines geliebten Menschen oder den Verlust des Jobs. Zurück bleiben junge, unsichere Menschen, die sich ohnmächtig, bedeutungslos, nicht respektiert und ausgegrenzt fühlen. Und einige von ihnen lehnen schließlich das Gesellschaftsmodell vollständig ab, in dem es ihnen so ergeht.