Bücher über Russland:Wie tickt Putin?

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Im Palast: Wladimir Putin auf dem Weg zu einem Empfang im Kreml am 26. April. Während in der Ukraine Bomben fallen, ehrt der Präsident die russischen Gewinner bei den Paralympics. (Foto: Natalia Kolesnikova/AFP)

Welche Ziele verfolgt der Machthaber im Kreml? Wie hat er das Land seit seinem Amtsantritt 2000 verändert? Fünf Bücher, die sich in klugen Analysen mit Putins Russland befassen.

Von Robert Probst

Was treibt Wladimir Putin an? Wie hat der Präsident im Kreml Russland seit dem Jahr 2000 verändert? Was hat er sonst noch vor mit diesem Riesenreich? Auf diese und andere Fragen möchten viele Menschen spätestens seit dem 24. Februar, dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine, eine Antwort. Schon lange vor dem Krieg, den sich niemand vorstellen konnte oder wollte, haben Wissenschaftler, Historiker und Journalisten sich mit Moskaus Politik befasst und kluge Analysen darüber verfasst (einige vielleicht nicht so kluge Analysen waren natürlich auch dabei - von sogenannten Putin-Verstehern gab es nicht nur unter Politikern eine ganze Menge, auch Publizisten waren unter ihnen).

Auf der Seite "Das Politische Buch" der Süddeutschen Zeitung wurden in den vergangenen fünf Jahren viele dieser Bücher rezensiert, an dieser Stelle wollen wir die sechs empfehlenswertesten noch mal vorstellen. Ganz konkrete Antworten wird man auch hier nicht finden, aber viele Mosaiksteinchen, aus denen man ein Bild zusammensetzen kann - um zumindest zu erahnen, was im Kreml vorgeht.

Catherine Belton, Putins Netz (Harper Collins, 2022)

Catherine Belton: Putins Netz - Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste. Aus dem Englischen von Elisabeth Schmalen und Johanna Wais. Harper Collins, Hamburg 2022. 704 Seiten, 26 Euro. (Foto: N/A)

Aufklärung im besten Sinne verspricht die fundierte Analyse der britischen Finanzexpertin Catherine Belton, deren Buch "Putins Netz" gerade das Werk der Russland-Exegese darstellt - und seit Wochen zurecht in den Bestsellerlisten steht. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der Financial Times zeigt auf, wie Geheimdienstler rund um Wladimir Putin seit Jahrzehnten daran arbeiteten, sich den Staat und sein Kapital untertan zu machen - und letztlich eine Art Kleptokratie erschufen. Und wie der Westen daran gut verdiente, weil man lieber nicht so genau hinsah, was in Russland passierte. Diese Geschichte spielt nicht nur in Moskau, nicht nur in Kiew, sondern auch in London, New York, Berlin und Schwerin. Dafür muss man sich durch komplexe Zusammenhänge wühlen, aber danach sind alle Leser klüger.

Ein augenöffnendes Werk über Putins Welt und die Schuld des Westens.

Joshua Yaffa, Die Überlebenskünstler (Econ, 2021)

Joshua Yaffa: Die Überlebenskünstler. Menschen in Putins Russland zwischen Wahrheit, Selbstbetrug und Kompromissen. Aus dem Englischen übersetzt von Anselm Bühling. Econ-Verlag, Berlin 2021. 560 Seiten, 24,99 Euro. (Foto: N/A)

Der US-Journalist Joshua Yaffa hat kein analytisches Russland-Erklärbuch geschrieben, sondern sieben Bücher in einem ganz großen. Der Reporter hat sieben Persönlichkeiten porträtiert - "ungemein stolze, brillante Männer und Frauen, die überzeugt waren, das Einvernehmen mit dem Staat sei die beste oder einzige Möglichkeit, ihre Visionen umzusetzen". Es geht um Menschen, die sich keine Illusion über die wahre Natur des Staates machen, lieber mit dem Strom als gegen ihn schwimmen, nach Freiräumen und Schlupflöchern suchen, die Regeln zu nutzen und sie gleichzeitig zu umgehen wissen. Kurzum: Viele balancieren zwischen ihren eigenen Zielen und den Anforderungen eines repressiven Staates, ein Aufstand gegen das System ist eher nicht zu erwarten.

Eine Groß-Reportage über Land, Politik und Leute, und das farbig und packend erzählt.

Angela Stent, Putins Russland (Rowohlt, 2019)

Angela Stent: Putins Russland. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Jens Hagestedt, Thomas Pfeiffer, Ursula Pesch, Andreas Thomsen und Karsten Petersen. Rowohlt, Hamburg 2019. 576 Seiten, 25 Euro (Foto: N/A)

Angela Stent, amerikanische Politologin und ehemalige Beraterin der US-Regierung, hat ein klassisches Analysebuch der Außenpolitik Russlands seit dem Ende der Sowjetunion vorgelegt. Präsentiert wird ein breit angelegter Überblick über Russlands Beziehungen zu Europa, zur Nato, zur Ukraine, China, Japan, dem Nahen Osten und schließlich den Vereinigten Staaten von Amerika. Stent erklärt auch, wie die Konstruktion eines äußeren Feindes - seien es die USA, die Nato oder die Ukraine - stets zur Konsolidierung von Putins Herrschaft im Inneren diente. Zudem attestiert Stent Russland einen stets virulenten "Drang" zu expandieren und behauptet, dass Russland nie in der Geschichte "Gebietsverluste akzeptiert" habe.

Ein guter Einstieg aus US-Sicht, mit starkem Fokus auf die Außenpolitik des Kreml. Land und Leute kommen kaum vor.

Masha Gessen, Die Zukunft ist Geschichte (Suhrkamp, 2018)

Masha Gessen: Die Zukunft ist Geschichte - Wie Russland die Freiheit gewann und verlor. Aus dem Englischen von Anselm Bühling. Suhrkamp, Berlin 2018. 639 Seiten, 26 Euro. E-Book: 21,99 Euro. (Foto: N/A)

Die russisch-amerikanische Publizistin Masha Gessen versucht, zwei Stränge der Geschichte zusammenzubinden. Ihr Buch folgt vordergründig den Lebensgeschichten von vier jungen Russen, die zur Welt kamen, als dem Land ein demokratischer Aufschwung prophezeit wurde, und deren Hoffnungen dann später enttäuscht wurden. Unterlegt ist die Erzählung mit der Theorie, Putin habe in Russland schon lange ein Regime etabliert, das hier als Totalitarismus klassifiziert wird. Im englischen Original lautet der Titel daher auch: "The Future Is History: How Totalitarianism Reclaimed Russia". Obwohl dieses Modell am Ende vage bleibt, wird hier fast nebenbei eine Diskussion zentraler sozial- und geisteswissenschaftlicher Erklärungsmodelle für die Entwicklung Russlands der vergangenen Jahrzehnte geliefert. Gessen erhielt für das Buch 2019 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.

Starke Analyse einer echten Putin-Versteherin - und brillant erzählt.

Manfred Quiring, Putins russische Welt (Ch. Links, 2017)

Manfred Quiring: Putins russische Welt. Wie der Kreml Europa spaltet. Ch.-Links-Verlag, Berlin 2017. 264 Seiten, 18 Euro. E-Book: 9,99 Euro. (Foto: N/A)

Manfred Quiring, langjähriger Moskau-Korrespondent der Welt und exzellenter Russlandkenner, hat schon vor fünf Jahren ein sehr hässliches Bild von Putins Welt gezeichnet. Nach der Annexion der Krim 2014 beschrieb er den Präsidenten als Herrscher eines Geheimdienststaates, in dem Macht und Mafia unentwirrbar verstrickt sind, als zielstrebigen Zerstörer der Demokratie im eigenen Land, der mit den Mitteln von Angst und Gewalt nach innen und außen den Plan verfolgt, Russlands imperiale Macht wiederherzustellen. Eine zentrale Rolle spielt bei Quiring auch die Nato-Osterweiterung - hier wird besonders deutlich, wie falsch Putin mit seinen Behauptungen liegt.

Eine präzise Analyse mit klarer Haltung.

Reinhard Krumm, Russlands Traum (J.H.W. Dietz Nf. 2020)

Reinhard Krumm: Russlands Traum. Anleitung zum Verständnis einer anderen Gesellschaft. Verlag J.H.W Dietz Nachf., Bonn 2020. 133 Seiten, 16,90 Euro. (Foto: N/A)

Reinhard Krumm, Osteuropa-Historiker und ehemaliger Russland-Korrespondent, versucht in seinem Essay, die russische Gesellschaft seit dem Zarenreich in den Mittelpunkt zu stellen. Überzeugend gegen das Klischee einer stets passiven russischen Gesellschaft argumentierend, zeigt Krumm, wie diese sich zu unterschiedlichen Zeiten - etwa gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zarenreich oder während der "Tauwetter"-Periode unter Chruschtschow - immer wieder Freiräume erkämpfte.

Ein feines Büchlein, das Russlands Bürger nicht auf die hohen Zustimmungswerte für Putin reduziert.

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