Privatsphäre im Netz:Seht! Mich! An!

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Der Wunsch, wahrgenommen zu werden, bringt einen dazu, ständig Statusmeldungen upzudaten, Urlaubsfotos zu teilen und Babybilder ebenfalls. (Foto: REUTERS)

Im Internet wird belohnt, wer Intimes preisgibt. Schleichend gibt die Gesellschaft hier ein Menschenrecht auf: das Recht auf Privatsphäre. Nur wer unbeobachtet ist, ist wirklich selbstbestimmt.

Kommentar von Karin Janker

Die Teilhabe an einem der spannendsten, demokratischsten und revolutionärsten Projekte in der Geschichte der Menschheit ist teuer erkauft: Wer im Internet mitmachen will, zahlt mit seinen Daten. Ständig gibt man im Netz etwas von sich preis, je intimer, desto wertvoller. Dass Konzerne wie Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft im Hintergrund das Nutzerverhalten mitschneiden können, ist das eine, der fahrlässige Umgang vieler Menschen mit dem Rechtsgut der Privatsphäre das andere. Es braucht gar keinen Big Brother, damit das Innerste öffentlich wird: Der Wunsch, wahrgenommen zu werden, bringt einen dazu, ständig Statusmeldungen upzudaten, Urlaubsfotos zu teilen und Babybilder ebenfalls. Hier! Seht! Mich! An!

Die Privatsphäre ist ein gefährdetes Menschenrecht in den hoch technisierten, digitalisierten Gesellschaften geworden. Artikel 12 der Menschenrechtserklärung fordert den Schutz von Privatheit, Familie, Zuhause und Korrespondenzen; doch dieser Artikel erodiert. Im Netz wird "Privatsphäre" zu einem Reiter in den Profileinstellungen. Es setzt sich die fatale Vorstellung durch, man könne das Recht auf den Schutz privater Daten per Klick abtreten. Das geschieht täglich, indem man AGBs und Cookies akzeptiert, Apps installiert, ein Smartphone nutzt.

Menschenrechte aber sind unveräußerlich. Selbst wenn jemand, aus welchen Gründen auch immer, auf sie verzichtet, sich etwa einem Kannibalen zum Fraß anbietet, so ist das Aufessen eines Menschen dennoch ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Im Netz aber werfen Nutzer ihre Daten den Konzernen zum Fraß vor. Die Selbstentblößung geschieht unfreiwillig freiwillig. Man hat auf "OK" geklickt und lässt sich das erpresserische Gebaren tagtäglich gefallen.

Dieses stille Einverständnis geht zulasten der freiheitlichen Gesellschaft. Die Kanzlerin warnte beim Digitalgipfel vor der "Vernichtung der Individualität". Besser hätte sie vor der Vernichtung der Privatheit gewarnt. Erst Privatheit macht Individualität möglich. Nur wer sich unbeobachtet wissen kann, ist wirklich selbstbestimmt.

Es gilt um das Recht zu ringen, allein und also offline zu sein

Man kann sich dem Internet nicht verweigern. Aber einfach hinnehmen darf man nicht, dass gerade eine Post-Privacy-Gesellschaft entsteht. Es gibt historische Beispiele dafür, dass man sich nicht gefallen lassen muss, wenn nur eine Seite die Regeln macht, denen sich alle Beteiligten zu fügen haben: Vor 170 Jahren begann sich die Arbeiterschaft in Gewerkschaften zu organisieren, um den Arbeitgebern den Chor der Gegenstimmen entgegenzusetzen. Heute braucht es nicht weniger als eine neue Menschenrechtsbewegung.

In den kommenden Jahren muss ein neues Rechtsbewusstsein in Sachen Datenschutz wachsen. Das Prinzip der Offenheit und der fluiden Daten im Netz macht es notwendig, das Private neu zu definieren. Im historischen Ringen um die Demokratie erkämpfte sich das Volk den Zugang zur öffentlichen Sphäre; jetzt muss es die Privatsphäre verteidigen, damit die Demokratie lebenswert bleibt.

Das Private ist nicht mehr einfach gegeben und sakrosankt, es muss aktiv erzeugt und gesichert werden, durch Selbstkontrolle der Nutzer, aber auch durch einen wachsamen Gesetzgeber. Es geht um das Recht, allein und also offline zu sein. Die Würde des Menschen ist auch daran geknüpft, dass er unbeobachtet Mensch sein darf. Damit nicht das Internet der Dinge die Menschen zu Dingen im Internet macht.

© SZ vom 11.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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