Pränataldiagnostik:Recht auf Wissen

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Viele Eltern wollen die Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnostik nutzen. (Foto: Peter Endig/picture alliance/dpa)

Schwangere Frauen werden immer noch zu stark bevormundet, wenn es um Abtreibung oder vorgeburtliche Diagnostik geht. Sie müssen erfahren, was auf sie zukommt - und dann selbst entscheiden dürfen.

Kommentar von Christina Berndt

Nach allem, was wahrscheinlich ist, ist es recht dunkel im Mutterleib. Aber eine Black Box ist er schon lange nicht mehr. Medizin und Naturwissenschaft ermöglichen Einblicke in die vorgeburtliche Welt. Ultraschall, Gewebeuntersuchungen und Bluttests erlauben detaillierte Erkenntnisse über das Leben, das da heranwächst. Schon früh können Herzfehler des Kindes entdeckt werden, ein offener Rücken und immer mehr auch Anomalitäten in den Genen, die zu Krankheit oder Behinderung führen.

Die Gesellschaft hat sich längst entschieden, wie sie mit diesen technischen Möglichkeiten umgehen will: Viele Eltern wollen die Methoden nutzen. Der Blick in den Mutterleib gehört zur Schwangerschaft wie der Geburtsvorbereitungskurs und der Kauf des Kinderwagens. Und, ja, häufig entscheiden sich Eltern dann dafür, ein Kind mit einer schwerer Krankheit oder einer Behinderung abzutreiben. Sie trauen sich ein krankes Kind nicht zu, sie glauben, dass ihnen die Kraft fehlt. Das ist ihr gutes Recht. Dass es nicht zur Selektion von Kindern mit hohem IQ oder blauen Augen kommt, regeln Gesetze.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Debatte um einen Bluttest auf das Down-Syndrom anachronistisch, weil sie Erkenntnis und Selbstbestimmung infrage stellt. Der Gemeinsame Bundesausschuss berät derzeit darüber, ob der rund 250 Euro teure Test künftig allen Schwangeren als Kassenleistung angeboten wird. Gegen eine mögliche Kostenerstattung haben sich bereits Kirchen, Politiker und Elternverbände in Stellung gebracht.

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Die neuen Methoden der Pränataldiagnostik sind oft arm an medizinischen Komplikationen. Doch für die Gesellschaft sind sie nicht nebenwirkungsfrei. Wenn der Test auf das Down-Syndrom für alle Frauen zur Regel wird, kann dies zur Folge haben, dass der Blick auf die oft zufriedenen und fröhlichen Menschen mit Down-Syndrom - und auf Menschen mit Behinderung allgemein - negativer wird. Dass von Frauen erwartet wird, bei einem positiven Testergebnis eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Und dass Familien mit einem behinderten Kind noch weniger Anerkennung erfahren.

Doch diese Sorge darf nicht dazu führen, dass Menschen der Zugang zum Wissen um das eigene Kind verwehrt wird. Menschen mit Behinderung sind eine Bereicherung für die an Toleranz nicht gerade zunehmende Gesellschaft. Die Akzeptanz von Krankheit und Einschränkungen lässt sich aber nicht erhöhen, indem man Menschen dazu zwingt, mit einer Behinderung zurechtzukommen. Man erhöht sie durch Hilfe und Unterstützung für Eltern, auch in finanzieller Form. Und indem man ein aktuelles, ein informiertes, ein aufgeklärtes Bild von Krankheit, Behinderung, Anderssein - oder schöner ausgedrückt: Originalität - zeigt.

Wichtig ist es deshalb, an Abtreibungen und Gentests eine gute Beratung zu knüpfen. Und werdenden Eltern deutlich zu machen, dass ein positives Testergebnis keineswegs zwangsläufig zu einer Abtreibung führen muss. Dass eine Abtreibung nicht für jeden der bessere Weg ist, und dass sich immer wieder Eltern anders entschieden haben und glücklich und dankbar für ihr Kind sind.

Aber es gibt auch die anderen. Diejenigen, die mit ihrem Schicksal hadern. Deren Ehe an der Belastung mit einem kranken Kind zerbrochen ist. Die selbst krank geworden sind oder aus Sorge um die Zukunft ihres behinderten Kindes sagen: Stünde ich noch einmal vor der Entscheidung, würde ich abtreiben.

Die wenigsten Frauen handeln leichtfertig

Der Umgang mit Krankheit und Behinderung ist hochindividuell und darf das auch sein. Deshalb gibt es neben dem Recht auf Nichtwissen auch ein Recht auf Wissen. In der frühen Phase einer Schwangerschaft von einer Krankheit oder Behinderung zu erfahren, heißt auch: sich vorbereiten zu können, das Wesen, das da entsteht, mit all seinen Besonderheiten in die eigene Welt zu integrieren. Und manchmal heißt es auch: festzustellen, dass einem das nicht gelingen wird. Dass die Liebe dazu fehlt, oder die Kraft, die familiäre Unterstützung, die staatliche Hilfe.

Schwangere Frauen werden nach wie vor zu stark bevormundet. Ob es um den Abtreibungsparagrafen geht, um die Präimplantationsdiagnostik oder um vorgeburtliche Diagnostik: Viel zu oft hat der Gesetzgeber hohe Hürden gelegt, weil er meinte, es besser zu wissen, klügere Entscheidungen zu treffen. Und stets wurde Frauen unterstellt, sie würden gewissenlos ungeborenes Leben beenden. "Das Bild der egoistischen Frau ist das Zerrbild einer individualistischen Ethik in der Schwangerschaft", sagt die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann. Doch die wenigsten Frauen handeln leichtfertig. Sie sorgen sich Studien zufolge in der Regel nicht um sich selbst, sondern um das Kind, dem sie Leid ersparen wollen.

Ein Kind so zu nehmen, wie es ist. Oder sich gegen ein solches Kind zu entscheiden - beide Entscheidungen verdienen Respekt, wenn sie nach reiflicher Überlegung getroffen wurden.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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