Populismus:Eine Frage der Wahrnehmung

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Eine deutsche Flagge auf einer Kundgebung (Symbolbild) (Foto: Max Kovalenko/imago images; Bearbeitung SZ)

Mehr Menschen begeben sich wieder in die politische Mitte, besagt eine Studie. Klingt beruhigend. Nur: Die AfD in den Parlamenten, der Hass im Netz, die geifernden Vorstellungen von einem feindlichen Staat - all das ist ja nicht eingebildet.

Kommentar von Ralf Wiegand

Die Nachricht kommt, mit den so frischen Bildern der Berliner Corona-Demonstrationen vom vergangenen Wochenende im Kopf, etwas überraschend: Populistische Ideen, sagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, finden in Deutschland viel weniger Anerkennung als noch vor zwei Jahren.

Das klingt im ersten Moment beruhigend. Die einfachen Wahrheiten, die nach der Sehnsucht von Populisten das ganze Volk glauben soll, weil das ganze Volk betroffen sei, würden demnach nicht mehr ohne Weiteres verfangen. Politiker sind alle korrupt; Kompromisse sind nur Verrat von Idealen; Normalos wären die besseren Politiker; Politik weiß eh nicht mehr, was die Bürgerinnen und Bürger da draußen wollen: Solchen Sätzen, solchen Stimmungen folgt der Studie nach nicht mehr jeder Dritte wie 2018, sondern nur noch jeder Fünfte.

Demokratie
:Studie: Populistische Einstellungen in Deutschland nehmen deutlich ab

Einer Umfrage zufolge ist nur noch jeder fünfte Wahlberechtigte populistisch eingestellt - zwei Jahre zuvor war es noch jeder dritte. Allerdings, so warnen die Studienautoren, könnten sich die verbliebenen Populisten nun radikalisieren.

Grundsätzlich ist es immer eine gute Sache, wenn es Indizien dafür gibt, dass die Einerseits-andererseits-Kultur noch nicht ausgestorben ist. Denn das Abwägen von Argumenten, die anstrengende Suche nach dem zweiten Gedanken hinter dem naheliegenden ersten, die Bereitschaft, sich selbst hin und wieder zu hinterfragen - das ist das Gegenteil von Populismus.

Wenn also nun das Bertelsmann-"Populismusbarometer" - so heißt das wirklich - ein Tief misst, darf man das gut finden wie ein Hochdruckgebiet in den Ferien. Zumal es im fünften Jahr nach dem großen Flüchtlings-Herbst, der hohen Zeit für Populisten, als Zeichen nachhaltiger Vernunft der Mehrheit dienen kann.

Die Frage ist allerdings: Was hilft es, wenn die Wahrnehmung doch eine ganz andere ist? Die AfD, hierzulande der parlamentarische rechte Arm des Populismus, ist noch immer da und sitzt unverändert im Bundestag und allen Landtagen. Der oft auf populistischer Vereinfachung basierende Hass im Netz, der erbarmungslose Kampf zwischen Idealisten und Ideologen, die scheinbar um sich greifende und unter dem Hashtag #b2908 nachzulesende Vorstellung von einem Staat, der seine Bürger als Feinde betrachtet - all das ist ja nicht eingebildet.

Vom Rand aus muss man laut brüllen, um gehört zu werden

Folgt man der Bertelsmann-Studie, so steigt zwar die Bereitschaft der Menschen, sich wieder in die politische Mitte zu begeben, in der man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, ohne sich feindlich gegenüberzustehen. Gleichzeitig aber, das haben die Forscher ebenso ermittelt, radikalisieren sich diejenigen, die diese "Mitte" nach wie vor ablehnen.

Ihnen mag sie vorkommen wie ein Ort treudoofer Gefolgsamkeit und staatlich verordneter Manipulation, als Heimat des verhassten "Mainstreams". Ob man sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt oder sich selbst ausschließt, weil man nicht "wie alle" sein will, läuft im Ergebnis aufs Selbe hinaus - man ist halt irgendwie raus.

Vom Rand aus aber muss man laut brüllen, um gehört zu werden, und je weiter der Rand nach außen rückt, umso lauter muss er werden, damit ihn die wachsende Mitte noch wahrnehmen kann. Das könnte sein, was gerade passiert.

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