Sicherheitskräfte und Rechtsextremismus:Im Sog der Parolen

Chemnitz

Die Polizei sichert eine Demonstration von Pegida und AfD in Chemnitz.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
  • Immer wieder werden Fälle öffentlich, in denen Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden mit rechtem Gedankengut auffallen.
  • In der Wissenschaft ist eine konservative Tendenz bei Soldaten und Polizisten unbestritten, auch der Führungsapparat ist rigoroser geworden.
  • Es fehlen bei Polizei wie Bundeswehr allerdings wissenschaftliche Untersuchungen zu den politischen Einstellungen - ebenso wie ausreichend politische Bildung.

Von Thomas Jordan und Rainer Stadler

Der Ausbilder, der die Polizeischüler wegen der "vielen Gäste" in Deutschland dazu motiviert, gut schießen zu lernen. Der Mitschüler, der auf der Stube Nazi-Lieder singt. Die Klassen-Chatgruppe, in der gegen Afrikaner gehetzt wird. Für Simon Neumeyer waren es zu viele Erlebnisse dieser Art, um sie als schlechten Humor oder bedauerliche Einzelfälle abzutun. Was ihn besonders verstörte: Keiner der angehenden Polizisten in seiner Klasse habe damals gegen Rassismus und Gewaltfantasien protestiert, sagt Neumeyer. Auch er hielt sich in Chatgruppen zurück. "Es schien mir aussichtslos." Nach neun Monaten an der Polizeischule in Leipzig brach er die Ausbildung ab, jetzt studiert er Immobilienmanagement in Köln.

Der Geist, der den Polizeischüler vertrieb, weht offensichtlich landauf landab durch Dienststuben und Revieren. Ob in Frankfurt, wo die Anwältin Seda Basay-Yildiz ein Fax mit Morddrohungen erhielt, das sich auf interne Daten aus einem Polizeicomputer stützte. Oder in Berlin, wo zwei Polizisten aus Sachsen einen Kollegen unter dem Namen des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt in eine Einsatzliste eintrugen. Oder in Schwerin, wo kürzlich der LKA-Beamte Marko G. verhaftet wurde. Er soll andere Polizisten um sich geschart und Waffen gehortet haben, um sich auf den Tag X vorzubereiten, etwa wenn Islamisten Deutschland angreifen. Ermittlungen zufolge soll die Gruppe Todeslisten mit politischen Gegnern angefertigt und geplant haben, 200 Leichensäcke sowie Ätzkalk zu bestellen. Auch Soldaten hätten sich der Vereinigung "Nordkreuz" angeschlossen, die Bundeswehr scheint ebenso anfällig zu sein für rechtsnationalistische Umtriebe. Vor wenigen Tagen äußerte der CDU-Politiker Friedrich Merz die Sorge, seine Partei verliere "Teile von Bundespolizei und Bundeswehr an die AfD". Ist die Stimmung tatsächlich umgeschlagen, bei den Frauen und Männern in Uniform?

Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden sind tendenziell konservativ

"Sie würden sich wundern, was da alles zum Vorschein kommt, wenn man auf einer x-beliebigen Polizeidienststelle die Privathandys einsammeln würde", sagt Rafael Behr, Professor an der Polizeiakademie Hamburg. Laut Behr gibt es Polizeimilieus mit "deutlich antidemokratischen Einstellungen". Natürlich fühlten sich von der Bundeswehr auch Rechtsextremisten angezogen, sagt Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags.

Tendenziell seien Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden eher konservativ. Als Repräsentanten des Staates sähen sie es als ihre Pflicht, die bestehende Ordnung zu bewahren, das bedinge eine Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen. Dieser Befund ist seit langem Konsens unter Forschern. Der Berliner Kriminalkommissar Oliver von Dobrowolski, Chef der Vereinigung Polizeigrün, ergänzt, das linksliberale Spektrum sei bekanntlich polizeikritisch. Viele seiner Berufskollegen verorteten sich eben dort, "wo sie am meisten Zuspruch bekommen". Die AfD nutze das etwa in Thüringen "knallhart" aus: Unter den ersten 20 Kandidaten für die Landtagswahl finden sich vier Polizisten. "So geben die sich den Anstrich einer ernsthaften, bürgerlichen Partei."

Gefahr, in Stereotype abzurutschen

Immerhin habe sich die Gewerkschaft der Polizei deutlich von der AfD distanziert, lobt der Berliner Politikwissenschaftler Christoph Kopke. Trotzdem vermisst er eine Diskussion darüber, dass von Rechtsextremisten wiederholt "erkennbar Gewalt gegen die Polizei" ausgegangen sei. Sechs Polizistenmorde seien in den vergangenen 20 Jahren auf ihr Konto gegangen, kein einziger auf das von Linksextremisten. Aber diese Erkenntnis dringe kaum ein in einen Apparat, "in dem traditionell eher die Ansicht vorherrscht: Der Feind steht links." Von Dobrowolski sagt, die Mehrheit seiner Kollegenschaft sei weder rechtsnational noch extremistisch eingestellt. "Aber sie schweigt zu den hässlichen Vorfällen der vergangenen Monate."

Polizei wie Bundeswehr bemühen sich, die Truppe mit politischer Bildung auf dem Boden des Grundgesetzes zu verankern - wo die allermeisten ohnehin fest stünden, wie der Wehrbeauftragte Bartels betont. Die Schulungen verfingen auch bei der Mehrheit. Die Bundeswehr werde immer älter, und die meisten der 250 000 uniformierten und zivilen Angehörigen verrichteten ihren Dienst am Schreibtisch. "Das sind Mütter und Väter auf allen Ebenen, erwachsene Menschen." Aber in der Kampftruppe, die etwa 35 000 Soldaten umfasst, sei der Ton nicht selten ruppiger, da müsse man "eher mal genau hinschauen", sagt Bartels. Der Politikwissenschaftler Kopke sieht auch bei der Polizei weniger Probleme in den Stuben als auf der Straße: Wer in seinem Alltag immer mit bestimmten Tätergruppen zu tun habe, laufe Gefahr, "in Stereotype abzurutschen".

Skandale nicht in einen Topf werfen

Ein "Trigger" sei die Zuwanderung im Jahr 2015 gewesen, sagt Kriminalkommissar von Dobrowolski. Tausende Bundespolizisten waren monatelang an die Grenzen versetzt, was auch bedeutete, "dass sie ihre Lebensplanung komplett umwerfen mussten". Mit ihrem Frust, den der Einsatz mit sich brachte, seien sie allein geblieben. Mehr Betreuung und Supervision könnten verhindern, dass die Betroffenen allzu empfänglich würden für Botschaften von Rechtsaußen, da sind sich die Experten einig. Sie mahnen auch, die Skandale der jüngsten Vergangenheit nicht in einen Topf zu werfen. Rassistische Bemerkungen seien nicht tolerierbar, aber auch nicht vergleichbar mit Netzwerken, die schwere Straftaten planen. Solche Gruppenbildungen seien nach bisherigen Erkenntnissen die Ausnahme. Man müsse "zwischen Haltung und Handlung unterscheiden", fordert der Hamburger Polizeiforscher Behr.

Dabei ist den Fachleuten bewusst, dass auch die Gesinnung der Polizisten beeinflusst, wie sie ihren Dienst verrichten: Ob sie gewisse Personengruppen diskriminieren oder über Jahre Verbrechen nicht aufklären, weil sie einseitig ermitteln - wie etwa bei den NSU-Morden. Für den früheren Polizeischüler Neumeyer vertragen sich antidemokratische Einstellungen nicht mit Polizeiarbeit: "Wer gegen Flüchtlinge hetzt, kann sie nicht gleichzeitig beschützen."

Wandel im Selbstbild der Polizei

Um rechten Tendenzen in der Polizei entgegenzusteuern, könnte eine bessere Ausbildung des Nachwuchses helfen, sagt Rafael Behr. In Zeiten, in denen autoritäre Denkmuster wieder an Anziehungskraft gewinnen, komme die politische Bildung zu aktuellen Themen in den Polizeischulen viel zu kurz, kritisiert Behr, der selbst an der Polizeiakademie Hamburg lehrt. Er nennt das "Bildungsversagen" und fordert: "Man müsste viel mehr über die Gefahren durch die neue Rechte und über Reichsbürger sprechen." Ähnliches ist von der Bundeswehr zu hören: Staatsbürgerkunde gehört zwar zur Ausbildung, gilt aber häufig nur als lästiges Pflichtfach.

Michael Sturm, Historiker aus Münster, der Polizisten zum Thema Rechtsextremismus schult, beobachtet seit Jahren einen grundsätzlichen Wandel im Selbstbild der Polizei: Nach heftigen Zusammenstößen von Polizisten und Demonstranten während der Anti-Atomkraft-Proteste setzte sich in den Führungsebenen die Einsicht durch, dass es Aufgabe der Polizei sei, die Ausübung von Grundrechten zu gewährleisten - und nicht zu verhindern. Bürgerpolizei statt Staatspolizei, lautete die Devise. Mittlerweile würden Bürger von der Polizei wieder skeptischer beäugt, sagt Sturm. Er macht das an Werbevideos der Bundespolizei fest, die unter anderem auf Youtube kursieren: Sie zeigen schwer bewaffnete Einsatztruppen, deren vorwiegende Aufgabe es zu sein scheint, Bürgern mit Härte, Handschellen und Pfefferspray zu begegnen. In einem Papier aus dem Innenministerium von Nordrhein-Westfalen von Anfang 2018 hieß es: Angesichts eskalierender Gewalt in Teilen der Gesellschaft sei die Polizei gefordert, mehr "körperliche Robustheit, Präsenz und Durchsetzungskraft" zu zeigen. Der Führungsapparat der Polizei sei im Vergleich zu den Neunzigerjahren "rigoroser" geworden, sagt der Polizeiforscher Behr.

Wie genau solche Botschaften bei den Bediensteten ankommen, wie sie über Politik denken, welche Partei sie bevorzugen, kann niemand genau sagen. Es fehlen bei Polizei wie Bundeswehr aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen. Dies lasse der Apparat nicht zu, moniert der Historiker Sturm. Deshalb können Politiker und Vertreter der Institutionen nach jedem Skandal behaupten, es handle sich nur um einen bedauerlichen Einzelfall. Und die Kritiker können den Sicherheitsbehörden weiter flächendeckenden institutionellen Rassismus vorwerfen. Obwohl beide Feststellungen unbewiesen sind.

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