Polen nach der Wahl:Zeit schinden in Warschau

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Brüssel hat klar gemacht, wen man lieber hätte: Kommissionspräsidentin von der Leyen mit dem polnischen Oppositionsführer Tusk. (Foto: JOHANNA GERON/REUTERS)

In Polen will die bisherige Opposition um Donald Tusk nun so schnell wie möglich die Regierung des Landes übernehmen. Die PiS aber will noch nicht aufgeben. Was führt sie im Schilde?

Von Viktoria Großmann, Warschau

Donald Tusk flog am Mittwoch nach Brüssel. Noch ist er nur Vorsitzender seiner Partei Bürgerplattform, doch drei Parteien sind bereit, ihn zum neuen Ministerpräsidenten Polens zu wählen - sobald man sie lässt. Tusk traf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die er noch aus seiner Zeit als Chef der Europäischen Volkspartei kennt, und sagte, er wolle nun das Geld retten, das Polen zustehe.

In Brüssel freut man sich offenbar bereits auf den neuen Partner. Von der Leyen lobte die hohe Wahlbeteiligung von fast 75 Prozent, diese zeige, "wie stark die Polinnen und Polen der Demokratie verbunden sind". In Warschau aber scheint der Präsident noch nicht bereit zu sein, den Auftrag zur Regierungsbildung an Tusk zu vergeben.

Am Dienstag hatte sich der polnische Präsident Andrzej Duda zunächst mit der seit acht Jahren regierenden PiS-Partei getroffen, die auch ihn groß gemacht hat und in deren Sinne er stets arbeitete. Die PiS ist bei der Wahl am 15. Oktober erneut stärkste Kraft geworden, hat aber ihre Mehrheit verloren und findet keinen Koalitionspartner. Danach traf sich Duda mit Tusks Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO), zu dem neben der Bürgerplattform (PO) auch die Grünen und zwei weitere Kleinstparteien gehören. Am Mittwoch sprach der Präsident mit den anderen in den Sejm gewählten Parteien.

"Viele Koalitionen sind möglich", sagt Morawiecki

"Wir sind bereit" und "Wir haben keine Zeit zu verlieren", heißt es aus den drei Oppositionsparteien, die eine Regierung bilden wollen. Die konservativ-liberale Bürgerkoalition, das Mitte-rechts Bündnis Dritter Weg und die Linke gaben am Dienstag eine gemeinsame Presseerklärung ab: Man könne sofort die Regierungsarbeit aufnehmen. Sie riefen Duda auf, noch vor dem polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November den neuen Sejm einzuberufen. Der Präsident hat damit bis zu 30 Tage nach der Wahl Zeit, dann erhält ein designierter Premier den Auftrag, eine Regierung zu bilden, wozu er nochmals 14 Tage Zeit hat.

Doch die PiS gibt noch nicht auf. Seit Tagen erweckt sie den Eindruck, sie könne eine Koalition mit der Bauernpartei PSL bilden. Diese ist Teil des Wahlbündnisses Dritter Weg und hat der PiS mehrmals öffentlich Absagen erteilt. Doch die Rechtsnationalen wollen das offenbar nicht hören. "Viele Koalitionen sind möglich", sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Mittwoch. "Wir sind bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten, dem das Wohl Polens am Herzen liegt."

Nach der Wahl war es zunächst sehr still im PiS-Lager. Nun ist Morawiecki wieder aktiv, äußert sich zur Haushaltsplanung, nimmt den Wahlkampfmodus wieder auf, betont die großen Erfolge der PiS. Andere erneuern die Wahlkampfvorwürfe, Tusk wolle unbegrenzt illegale Zuwanderer ins Land lassen. "Tusk ist gar nicht in der Lage, die polnischen Interessen in Brüssel zu vertreten", sagte ein PiS-Abgeordneter am Mittwoch.

Dutzende Aktenschredder wurden schon bestellt

Es wirkt alles ein wenig verzweifelt. Die drei Oppositionsparteien kommen gemeinsam auf 248 Sitze im Sejm, zur Mehrheit sind 231 Sitze nötig, es ist also recht komfortabel. Die Mehrheit der PiS im Sejm war nach einigen Abgängen aus der Fraktion zuletzt hauchdünn. Nach der Wahl fehlen ihr nun 18 Sitze zur Mehrheit, kaum vorstellbar, dass die PiS so viele Abgeordnete auf ihre Seite bringt - es sei denn, mit unlauteren Mitteln.

Wie das aussehen könnte, weiß die Nation, seitdem am Wochenende ein früherer Chef der Antikorruptionsbehörde CBA im Fernsehen darüber gesprochen hatte, dass die PiS kurz vor der Wahl möglicherweise eine Abhöraktion gegen die Opposition angeordnet hatte. Diese sollte sich offenbar vor allem gegen die PSL-Leute richten. Womöglich, um Material zu beschaffen, um diese zu einer Zusammenarbeit zu erpressen. Schon früher hatte die Regierung Oppositionelle mit dem Abhörsystem Pegasus ausspioniert.

Belastendes Material sammeln gegen andere, Dokumente über die eigene Regierungszeit verschwinden lassen, so stellt sich derzeit das Handeln der PiS dar. Bald nach dem Wahlsieg wurde bekannt, dass etwa das Innenministerium Dutzende Aktenschredder bestellt hatte - ordentlich per öffentlicher Ausschreibung. Zudem werfen verschiedene Oppositionspolitiker der PiS-Regierung vor, es würden vor allem im Justizministerium sowie in den Ermittlungsbehörden Akten vernichtet.

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Aus vielen Ecken ist auch deshalb Kritik an Präsident Duda zu hören - er verschaffe der PiS nur Zeit, aufzuräumen und Spuren zu beseitigen: sei es über nicht ganz rechtskonforme Auftragsvergaben, Immobilienkäufe aus der Staatskasse für letztlich privatwirtschaftliche Zwecke oder Spähprogramme gegen Oppositionelle. Die Opposition ist entschlossen, die achtjährige Amtszeit der PiS juristisch aufzuarbeiten und Strafermittlungen einzuleiten.

Dabei ist sie derzeit auch auf Whistleblower angewiesen, so beschreibt es Michał Szczerba, Abgeordneter der Bürgerplattform, mehreren polnischen Medien. "Wir erhalten Berichte über Hunderte von Säcken mit geschredderten Dokumenten, die in der Nacht weggefahren werden", Festplatten würden zerstört, Laptops lasse man verschwinden, schreibt er auf X. Der Gazeta Wyborcza sagt er, es gebe Leute, die solche Dokumente aufbewahren und digitalisieren. "Es ist alles wiederherstellbar."

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