Serie: "Wir sind Europa":"Unsere letzte Hoffnung ist Europa"

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"Verfassung" steht auf seinem T-Shirt: Der Richter Waldemar Żurek hat sich neun Anwälte genommen, um sich gegen den Druck der Behörden zu wehren. (Foto: OH)

Der Richter Waldemar Żurek kämpft gegen den Abbau des Rechtsstaats in Polen - und gegen seine Versetzung.

Reportage von Florian Hassel, Rzeplin

Der Richter Waldemar Żurek hat in diesen Wochen mehr Zeit als sonst. Statt Prozessakten zu studieren, erholt sich Żurek von einer Operation am linken Knie. In seinem kleinen Holzhaus im Dorf Rzeplin nördlich von Krakau hat er es hochgelegt auf dem Sofa neben dem mächtigen Kamin, der die Bücherstapel vom Spielzeug seiner beiden kleinen Töchter trennt.

Die letzten Nachrichten aus der Justizwelt haben Żureks Laune selten aufgeheitert. Da wurde die Richterin Alina Czubieniak von einer neuen, politisch kontrollierten Disziplinarkammer gemaßregelt, weil sie entgegen der Regierungsmeinung darauf bestand, dass ein Verdächtiger in jedem Stadium einer Ermittlung das Recht auf einen Anwalt habe. Da verglich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in New York polnische Gesetze, die Experten aus Europa, Amerika und der Vereinten Nationen als Beseitigung des Rechtsstaats einschätzen, mit dem Vorgehen im Nachkriegsfrankreich gegen faschistische Richter des Vichy-Regimes. "Mit einem Rechtsstaat hat dies nichts mehr zu tun", sagt Richter Żurek und schüttelt den Kopf. "Unsere letzte Hoffnung ist Europa."

Früher war Żurek nicht nur Sprecher des Berufungsgerichts in Krakau, sondern auch acht Jahre lang Mitglied und Sprecher des Landesjustizrats (KRS), der mit der Auswahl von Richtern und der Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz betraut ist. Nach dem Amtsantritt der von der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) geführten Regierung Ende 2015 machten Żurek und seine KRS-Kollegen klar, dass Gesetze, die die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und anderer Gerichte beseitigten, verfassungswidrig seien.

Widerstand gegen Regierende ist für den 59 Jahren alten Żurek nichts Neues. Als junger Mann nahm er im Polen der 1980er-Jahre an Protesten von Bergleuten gegen das kommunistische Regime teil und schmuggelte Untergrundpresse. "Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir Polen drei Jahrzehnte nach dem Ende des kommunistischen Regimes wieder um unsere Freiheit und um unsere Rechte kämpfen müssen." Die heutigen Schritte der Regierung gegen die Unabhängigkeit der Justiz "erinnern mich an den Machtaufbau der Kommunisten - und an ihre Propaganda gegen ihre Gegner", sagt Żurek.

Kaum begannen Żurek und seine Kollegen 2016, rechtswidrige Gesetze der Regierung zu kritisieren, wurden sie von der Regierung und PiS-Abgeordneten angegriffen. Etwa von Stanisław Piotrowicz, der zu kommunistischer Zeit an der Verfolgung von Dissidenten beteiligt war und heute ein Hauptarchitekt mehrerer rechtswidriger Gesetze zur Justiz ist. Als Żurek und der KRS westlichen Experten die Rechtsbrüche der Regierung erläuterten, beschimpfte sie die ebenfalls am Vorgehen gegen die Justiz beteiligte PiS-Parlamentarierin Krystyna Pawłowicz als "Verräter" und forderten für polnische Richter die Einweisung in ein "Umerziehungslager". Es war nur der Anfang.

Polens Anti-Korruptionsbüro, das die PiS gern gegen politische Gegner einsetzt, durchleuchtete mit Rechtsverletzungen Żureks Steuererklärungen. Details der Scheidung von seiner ersten Frau wurden an regierungsnahe Boulevardmedien weitergegeben, vertrauliche Dokumente rechtswidrig veröffentlicht. Żureks Eltern wurden verhört, seine schwangere, zweite Frau unter Druck gesetzt. 2017 wurde der KRS aufgelöst, Anfang 2018 ein von der Regierung kontrollierter KRS gebildet.

Der schickte seitdem Hunderte von Partei und Regierung ausgewählte Richter an Polens Gerichte - bis ans Oberste Gericht des Landes. Dort wurde eine regierungskontrollierte Disziplinarkammer gebildet und eine neue Kontrollkammer, die jedes ergangene Gerichtsurteil der letzten zehn Jahre nachträglich aufheben kann. Sämtliche Schritte brechen Polens Verfassung oder internationale Rechtsmaßstäbe, wie die EU-Kommission und die Venedig-Kommission feststellten, das weltweit führende Fachorgan für Rechtsfragen.

In Krakau wurde die alte Gerichtspräsidentin entlassen und durch Dagmara Pawełczyk-Woicka ersetzt, eine Schulkameradin von Justizminister Zbigniew Ziobro, der unter der PiS-Regierung auch Generalstaatsanwalt ist. Die neue Gerichtspräsidentin entließ Żurek als Sprecher des Krakauer Gerichts - sechs von acht Richtern des Rates traten aus Protest zurück. Ende August 2018 versetzte die Gerichtspräsidentin Żurek an ein untergeordnetes Gericht - dem Richter zufolge "ohne die vorgeschriebene Zustimmung von Kollegen und ohne die gesetzlich vorgeschriebene Frist bis zur Entscheidung über meinen Einspruch abzuwarten". Pawełczyk-Woicka wurde auch Mitglied des neuen, politisch kontrollierten KRS, der eine Beschwerde Żureks ablehnte.

Żurek ließ sich nicht einschüchtern: Mit anderen Richtern engagiert er sich gegen die Justizgesetze, veröffentlicht Artikel oder spricht vor Bürgergruppen über das Vorgehen der Regierung. Neue, vom Justizminister-Generalstaatsanwalt eingerichtete Disziplinarbeauftragte eröffneten gegen Żurek vier Disziplinarverfahren. Die Vorwürfe reichen vom angeblichen Nichtzahlen einer Steuer auf einen Kleintraktor zum Schneeräumen auf seiner Datscha über angebliches Vortäuschen einer Straftat und angebliche Arbeitsverweigerung bis hin zum angeblich verbotenen politischen Engagement als Richter.

"Ich habe mittlerweile neun Anwälte, die mich gegenüber den Behörden vertreten", sagt Żurek, der bei Auftritten gern ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift "Konstitucja" (Verfassung) trägt. Und der Krakauer ist nicht der einzige Richter im Visier der Regierung. Amnesty International, die Batory-Stiftung oder das Komitee zur Verteidigung der Justiz haben Dutzende Fälle dokumentiert, in denen für eine unabhängige Justiz eintretende Staatsanwälte und Richter wie Żurek unter Vorwänden versetzt, abgeschoben oder mit Disziplinarverfahren überzogen wurden - etwa, weil sie sich an die EU gewendet haben.

Żureks Warschauer Anwalt Michał Wawrykiewicz kandidiert nun bei der Wahl zum EU-Parlament. "Ich will die Instrumente, die Europaparlamentarier haben, nutzen, um mehr für den Rechtsstaat in Polen zu tun", sagte Wawrykiewicz der Gazeta Wyborcza. Żurek wiederum hat bereits dreimal Frans Timmermans getroffen, den Vizepräsidenten der EU-Kommission.

Żureks Botschaft an Timmermans: "Polen ist auf der entscheidenden Etappe auf dem Weg zum autoritären Staat. Wenn die EU unsere Regierung nicht stoppt, kann Polen nach Ungarn und England die Bombe sein, welche die EU zum Platzen bringt." Der Wahl zum Europäischen Parlament folgt im Herbst die Wahl zum polnischen Parlament. "Wird die PiS wiedergewählt, wird sie die Repression verstärken und auch den Rest unabhängiger Justiz in Polen eliminieren", glaubt Żurek. "Dann kann nur noch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Regierung stoppen. Zumindest, solange die Regierung Polen nicht aus der EU führt."

Die EU-Kommission verklagte Polen wegen seines Vorgehens gegen unabhängige Richter bereits vor dem EuGH. Hier urteilen die Luxemburger Richter im Sommer - es wird nicht die letzte EuGH-Entscheidung in Sachen polnischer Rechtsstaat sein. Denn Richter Żurek hat gegen seine Versetzung vor Polens Oberstem Gericht (SN) geklagt: Am Dienstag schickte das SN im Fall Żurek eine Eilanfrage nach Luxemburg: Der EuGH soll entscheiden, ob 37 neue, unter dem neuen Regime ernannte SN-Richter im Widerspruch zu EU-Recht berufen wurden - und so alle ihre Urteile ungültig sind. "Freiwillig geben wir alten Richter den Kampf nicht auf", sagt Żurek. "Sie müssen uns schon mit Gewalt vertreiben."

© SZ vom 24.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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