Polen:Der neue Warschauer Pakt

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Gemeinsam wollen sie stark in Polen sein: Die Spitzen der Bürgerplattform und der Partei Die Moderne gehen vereinigt in die Kommunalwahl. (Foto: Agencja Gazeta/Reuters)
  • In Polen sagen konservative, liberale und linke Parteien der regierenden Pis gemeinsam den Kampf an.
  • In den kommenden eineinhalb Jahren wird erst auf lokaler Ebene gewählt, dann stehen die europäischen und polnischen Parlamentswahlen an. Im Frühjahr 2020 stimmen die Polen dann über einen neuen Präsidenten ab.
  • Von einer Einheitsfront gegen Pis ist die Opposition aber noch weit entfernt.

Von Florian Hassel, Warschau

Das Bild wäre in Polens zersplitterter Parteienlandschaft vor Kurzem noch undenkbar gewesen: Der Chef der Konservativen eröffnete seine Parteiversammlung nicht nur mit einer Liberalen, sondern auch noch mit einer der bekanntesten linken Politikerinnen des Landes als Gast. Grzegorz Schetyna, Vorsitzender der konservativen Bürgerplattform (PO), tat sich in einem Warschauer Hotel mit Katarzyna Lubnauer von der liberalen Partei Die Moderne (Novoczesna) und Barbara Nowacka von der linken Polnischen Initiative zusammen, um der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis) den Kampf anzusagen.

Nur gemeinsam, so die Botschaft der drei, habe die Opposition eine Chance im beginnenden Dauerwahlkampf: Erst werden am 21. Oktober Bürgermeister, Stadträte und die Vertretungen der regionalen Wojewodschaften gewählt, im Frühjahr dann die Europaparlamentarier, im Herbst 2019 Polens neues Parlament und im Frühjahr 2020 ein neuer Präsident.

Die Programme der drei Parteien für die Lokalwahlen unterscheiden sich trotz ideologischer Differenzen eigentlich nur wenig: Alle versprechen die Modernisierung vernachlässigter Regionen, schlagen etwa vor, Lehrmaterialien an Schulen durch E-Book-Reader zu ersetzen, die oft armseligen Straßen zu sanieren und den kümmerlichen öffentlichen Nahverkehrs auszubauen. Doch nun, so sieht es nicht nur die Opposition, bekommen die Lokalwahlen angesichts der zunehmend autoritären Politik der Pis unter Jarosław Kaczyński erhöhte Bedeutung - deshalb die Kooperation.

"Wir sind zusammen, weil wir in diesen Wahlen zum ersten Mal seit den Neunzigerjahren nicht darum kämpfen, welche Partei in den Lokalwahlen die Mehrheit erringt - heute kämpfen wir in Polen um das Überleben demokratischer Selbstverwaltung", begründete PO-Chef und Ex-Außenminister Scheytna, den Zusammengang mit Liberalen und Linken. "Jetzt ist wichtig, Polen vor der Pis zu verteidigen", stimmt die Linke Nowacka zu, die etwa durch ihren Einsatz für ein liberaleres Abtreibungsrecht bekannt ist.

Polens Rathäuser sind die letzte Bastion der Opposition

Für derlei markige Worte gibt es durchaus Anlass: Polens Rathäuser sind dem Pis-Chef Kaczyński als letzte politische Bastion der Opposition ein Dorn im Auge. Schon hat die Regierung lokalen Behörden die Verfügung über einige Fördergelder genommen, werden die Pis begünstigende Änderungen im Wahlrecht diskutiert. Kaczyński und sein Ministerpräsident Mateusz Morawiecki drohen, Städte, die weiter von der Opposition kontrolliert werden, würden künftig weniger Geld aus Warschau bekommen. Es gehe darum, ob weiter eine Nachbarin im Stadtrat über einen neuen Kindergarten entscheide, "oder die Parteizentrale", sagte PO-Chef Schetyna unter Anspielung auf das in Pis-regierten Gemeinden oft in Detailfragen involvierte Warschauer Hauptquartier der Pis, dem eigentlichen Regierungssitz Polens.

Die Opposition will nicht nur weiter die Bürgermeister der führenden Städte stellen und in etlichen Rathäusern und Wojewodschaften bestimmen, sondern auch die politische Dynamik umdrehen: Trotz ihrer Angriffe auf den Rechtsstaat und zunehmender Skandale kommt die Pis in Umfragen beharrlich auf etwa 40 Prozent, Schetynas PO als Zweite bestenfalls auf gut 20 Prozent. Höchste Zeit also für Gemeinsamkeit - so sahen es zuerst Schetyna und Lubnauer. Das Zusammengehen zur "Bürgerkoalition" ist freilich vor allem bei den Liberalen Ausdruck von Schwäche: 2015 als neue Partei ins Parlament gewählt, verloren die Liberalen durch einiges Ungeschick stark in der Wählergunst.

Der bekannteste homosexuelle Politiker Polens will eine neue linke Bewegung aufbauen

Noch schlechter steht es um Polens Linke: Zersplittert verfehlten sie 2015 den Einzug ins Parlament knapp und machten durch die so aus der Rechnung fallenden Stimmen erst die absolute Mehrheit der Pis möglich. Diese Lektion ließ Nowacka nun als Dritte zum Bündnis stoßen. Wenn sich Konservative und Liberale zumindest einigen linken Ideen öffneten, "nehmen wir Polen der regierenden nationalen Rechten ab", begründete Nowacka ihren zunächst nur für die Lokalwahl geltenden Eintritt in die Bürgerkoalition.

Freilich ist die Opposition noch weit von einer Anti-Pis-Einheitsfront entfernt. Polens Bauernpartei fährt ihren eigenen Kurs, auf der Linken gibt es die postkommunistische, stark reformierte SLD (in Umfragen zwischen vier und acht Prozent), die Kleinpartei Zusammen bei ein paar Prozent - und demnächst auch noch Robert Biedroń. Der Ex-Parlamentarier und heutige Bürgermeister von Słupsk (Stolp) ist der bekannteste offen homosexuell lebende polnische Politiker und tritt im Oktober nicht mehr als Bürgermeisterkandidat an. Stattdessen will Biedroń eine neue linke Partei aufbauen und vor allem um jene Hälfte der polnischen Bevölkerung werben, die überhaupt nicht wählen geht, weil sie von Politikern allgemein desillusioniert ist. Dafür will Biedroń zunächst Dutzende weiterer Treffen abhalten und Mitstreiter anwerben. Details über die neue Partei will Biedroń frühestens im Februar 2019 bekanntgeben.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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