Interview am Morgen: Bedrohte Demokratie:"Noch ist Polen nicht verloren"

January 12 2017 Gdansk Poland Robert Biedron a mayor of the city of Slupsk during the 37th ann

"Polen wird nie mit einem autoritären Regime einverstanden sein", sagt Robert Biedroń, "Wir werden zu unserer stolzen demokratischen Tradition zurückkehren, da bin ich sicher".

(Foto: imago/ZUMA Press)

Der Oppositionspolitiker Robert Biedroń wehrt sich gegen eine Kürzung der EU-Fördermittel für Polen. Brüssel solle stattdessen PiS-Parteichef Kaczyński und seine Minister isolieren.

Interview von Philipp Saul

Seit die PiS-Partei in Polen regiert, verändert sie das Land durch eine nationalkonservative und europafeindliche Politik. Unter Parteichef Jarosław Kaczyński werden die Institutionen umgekrempelt und Richter entlassen. Die Europäische Union reagiert darauf mit Vertragsverletzungsverfahren und Budgetkürzungen. Dagegen wehrt sich Robert Biedroń. Er ist Bürgermeister der nordpolnischen Stadt Słupsk (Stolp), Mitglied im Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates und einer der beliebtesten Politiker des Landes. Die EU müsse die Lokalpolitik fördern, um die polnische Opposition zu stärken, findet er.

SZ: Herr Biedroń, die PiS-Partei versucht massiv, antieuropäische Stimmungen in Polen zu stärken. Wie wirkt sich das auf die Zivilgesellschaft aus?

Robert Biedroń: Unsere Politiker hatten nie den Mut und die Entschlossenheit, die Grundlage für eine unabhängige Zivilgesellschaft aufzubauen. Dafür zahlen wir nun einen heftigen Preis. Heutzutage werden hauptsächlich regimetreue NGOs unterstützt. Die Zivilgesellschaft wird behandelt wie in den Zeiten von früheren populistischen Regierungen: als antipolnische Verräter. Es gibt aber auch Proteste, die Menschen gehen auf die Straße. Die polnische Gesellschaft ist sehr proeuropäisch. Für PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński ist es eine Herausforderung - aber er versucht es weiter.

Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass Mitgliedsstaaten einen europäischen Haftbefehl aus Polen nicht mehr vollstrecken müssen, wenn die Gefahr besteht, dass der Betroffene kein unabhängiges Verfahren bekommt.

Die Regierung, die PiS-Partei und deren Propagandisten versuchen, die Bedeutung des Urteils herunterzuspielen. Dabei zeigt der Fall klar, dass Polen ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit hat, dass das Land keine stabile Demokratie ist. Das System der EU ist mit Standards ausbalanciert, demokratische eingeschlossen. Diese Standards müssen von allen Mitgliedsstaaten respektiert werden. Wenn sie einer von ihnen nicht respektiert, müssen Restriktionen auf den Weg gebracht werden. Europa ist wie ein Uhrwerk. Wenn ein Zahnrad kaputt geht, versagt das ganze System.

Die EU-Kommission will handeln und die Vergabe von Fördermitteln künftig mit der Einhaltung von Grundwerten verknüpfen.

Das kann man schon jetzt sehen. Polen, Ungarn und andere Staaten, die über viele Jahre mit rechtsradikaler Politik geflirtet haben, haben ihr Geld verloren. Gegenüber dem aktuellen Budget verlieren wir künftig um die 24 Prozent. Das ist der Preis, den Polen für seine politischen Entscheidungen zahlt. Ich unterstütze es nicht, den EU-Fonds zu beschneiden und an die Rechtsstaatlichkeit zu binden. Denn die politische Situation für die PiS-Partei wird dann perfekt sein. Mit populistischer Rhetorik wird Kaczyński sagen: "Seht, die EU ist schlecht. Sie will uns für unsere unabhängigen Entscheidungen bestrafen." Das gibt den antieuropäischen Stimmungen erst recht Auftrieb.

Was kann die EU denn sonst tun, damit Polen nicht zu einem undemokratischen, autoritären Staat wird?

Ich glaube an die individuelle und nicht an die gemeinschaftliche Verantwortung. Ich denke, die EU sollte das Geld nicht abziehen, sondern einen Weg finden, die aktuelle Regierung zu umgehen. Kaczyński und seine Minister sollten isoliert werden, nicht die polnischen Bürger. Zum Beispiel könnte das EU-Geld direkt an Lokalregierungen und NGOs verteilt werden, nicht erst an die Regierung. Das würde der Regierung eine Lehrstunde erteilen und die Gesellschaft nicht schädigen.

Sie sind Bürgermeister im Norden Polens. Wo liegen die Vorteile der Lokalpolitik gegenüber der polnischen Zentralregierung? Warum könnte sie EU-Fördermittel besser nutzen?

Die meisten Bürgermeister in Polen sind unabhängig. Für die PiS ist das gefährlich. Kaczyński hätte die Lokalpolitiker gerne in seiner Abhängigkeit und Einfluss auf lokales Geld. In Polen liegt jeder zweite Złoty in der Hand lokaler Politiker. Über sie hat die EU die Chance, ihre Unterstützung fortzuführen. Lokale, regionale Politik ist die Antwort, wenn die EU gegen autoritäre Regierungen vorgehen will. Wenn wir als Bürgermeister kein Geld haben, hat die EU Probleme. Wir sind die täglichen Fürsprecher der EU.

Wie groß ist die Chance der polnischen Opposition, wieder zu regieren?

Das Problem ist nicht, dass die PiS stark ist, sondern dass die Opposition schwach ist. Die politische Szene ist stark polarisiert und es gibt keine dritte Partei als Alternative. Der Krieg zwischen Kaczyński und EU-Ratspräsident Donald Tusk hat unserer Gesellschaft großen Schaden zugefügt. Wir brauchen eine neue Öffnung, eine Alternative, eine dritte Partei, eine dritte Lösung. Wir brauchen eine Bewegung, die progressiv, proeuropäisch, tolerant und sozial ist. Die Generation von Kaczyński und Tusk darf den Rhythmus des politischen Lebens nicht mehr bestimmen. Sie sind mehr die Vergangenheit als die Zukunft dieses Landes.

Wie kann eine dritte Kraft etabliert werden und welche Rolle spielen Sie dabei? Sie sind einer der beliebtesten polnischen Politiker.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Ich bin auf vielen Veranstaltungen in Städten im ganzen Land und ich sehe die große Energie des polnischen Volkes. Ich weiß, dass es es ein starkes Bedürfnis gibt, dass Werte wie Offenheit, Demokratie und Kooperation im öffentlichen Leben präsent sind. Ich hoffe sehr, dass die kommenden Monate uns den Wechsel bringen, auf den wir alle warten. Ich sehe, dass es einen Raum für eine neue politische Bewegung gibt.

Betrachtet man die Entwicklungen der vergangenen Jahre, blickt Polen einer düsteren Zukunft entgegen. Wo sehen Sie das Land in zehn Jahren?

Unsere Nationalhymne beginnt mit den Worten "Noch ist Polen nicht verloren". Daran glaube ich. Die Macht der PiS ist nur eine Phase, die eines Tages endet. Polen wird nie mit einem autoritären Regime einverstanden sein. Wir werden zu unserer stolzen demokratischen Tradition zurückkehren, da bin ich sicher. Die PiS ist in der Gesellschaft nicht so gut etabliert, wie Sie denken.

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