Polen nach der Wahl:In der Hand des Präsidenten

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Donald Tusk war schon einmal Polens Ministerpräsident. Jetzt hat der Oppositionschef große Chancen, es wieder zu werden. (Foto: Attila Husejnow/Imago/Sopa Images)

Darf Donald Tusk in Warschau die neue Regierung bilden? Den Auftrag gab Andrzej Duda nun dem bisherigen Premier Mateusz Morawiecki. Eine Mehrheit hat nur das Lager von Donald Tusk.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Donald Tusk war am Montagabend Pizza essen. In jenem Stadtteil von Breslau, in dem am 15. Oktober die Menschen bis 3 Uhr morgens Schlange gestanden hatten, um noch wählen zu dürfen. Eine dort ansässige Pizzeria hatte die in der Kälte Wartenden mit Essen versorgt. Tusk ging sich nun bedanken. Denn die hohe Wahlbeteiligung von mehr als 74 Prozent kam vor allem seinem Bündnis Bürgerkoalition und anderen Oppositionsparteien zugute. Tusk könnte jetzt eigentlich neuer Premierminister Polens werden.

Doch in Warschau hielt Andrzej Duda am Montagabend eine Rede, 20 Uhr, beste Fernsehzeit. Mit strahlendem Lächeln lobte der Präsident erneut die hohe Wahlbeteiligung, die Menschen in Polen hätten gezeigt, wie stark die Demokratie sei. Und dann zeigte Duda wie er das Wahlergebnis versteht. Nach reiflicher Überlegung habe er sich entschieden, den Auftrag zur Regierungsbildung Mateusz Morawiecki zu geben. Dem bisherigen Premier der PiS-Regierung.

Es sei eine "gute parlamentarische Tradition" der Partei den Auftrag zu geben, welche die meisten Stimmen erhalten habe. Die Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, war erneut stärkste Kraft geworden, hat aber ihre Mehrheit deutlich verloren. Ein Koalitionspartner ist nicht in Sicht. Auf eine komfortable Mehrheit kommt hingegen Tusks Bürgerkoalition KO gemeinsam mit dem Wahlbündnis Dritter Weg und der Linken.

"Ich verstehe nicht, warum der Präsident Herrn Morawiecki, Herrn Kaczyński und die gesamte PiS einer solchen Demütigung aussetzt", sagte Donald Tusk am Abend vor Anhängern in Breslau. Zuvor hatten sich die drei oppositionellen Wahlbündnisse, welche unter einem Premierminister Donald Tusk eine neue Regierung bilden wollen, auf eine Koalitionsvereinbarung geeinigt. "Die Koalition ist aufgestellt. Bis ins kleinste Detail", sagte Tusk am Abend.

Das Papier umfasst 24 Punkte, es sieht vor, alle Sozialleistungen, die PiS eingeführt hat, weiterhin zu zahlen. Die Umbauten, die PiS in Medien und Justiz vorgenommen hat, aber sollen rückgängig gemacht werden. Nur so kann Polen auch an etwa 100 Milliarden Euro von der EU kommen, die derzeit wegen des Abbaus der Gewaltenteilung blockiert sind.

Die PiS umwirbt eine Oppositionspartei

Mateusz Morawiecki hatte schon vor der Rede des Präsidenten sehr viel Siegesgewissheit verbreitet. Er appelliere an die Abgeordneten, denen "eine soziale Agenda, die Souveränität Polens und der Kampf gegen die illegale Migration" wichtig seien, mit der PiS zusammenzuarbeiten, schrieb er am Wochenende auf dem Kurznachrichtendienst X. Konkret nannte er die rechtsextreme Partei Konfederacja und die christlich-konservative Polnische Volkspartei PSL. Beide Parteien schließen eine Zusammenarbeit mit der PiS allerdings aus.

In einem Fernsehinterview sagte Morawiecki am Wochenende: "Ich habe noch nicht gepackt." Er könne sich in einem Kabinett der PiS mit der PSL vorstellen, einen Ministerposten zu bekleiden, die PSL dürfe den Premierminister stellen. Seit der Wahl, bei der die PiS ihre Mehrheit verlor, sind die Aussagen aus der noch regierenden Partei erratisch. Sie klingen mal nach Verzweiflung, mal nach Trotz, ganz sicher nach einem Spiel auf Zeit - das Präsident Duda vorerst unterstützt.

Dabei kommt nur das Lager um Donald Tusk auf eine sehr stabile Mehrheit von 248 Sitzen, nötig sind 231. Tusks Bürgerkoalition KO war zweitstärkste Kraft geworden. Unerwartet erfolgreich hatte das Bündnis "Dritter Weg" abgeschnitten. Ihm gehören zum einen die grün, liberal und zugleich christlich orientierte Partei Polska 2050 an, die erst vor drei Jahren gegründet wurde. Zum anderen ist da noch die PSL, die sich auf eine 128-jährige Geschichte beruft - und nun heftig von der PiS umworben wird. Ihr Vorsitzender teilte nach Dudas Rede mit: "Die Mehrheiten sind bekannt. Wir machen ruhig unsere Arbeit."

Die PiS sieht Polens Souveränität bedroht

Unter Tusk kann sich der "Dritte Weg" wegen des guten Wahlergebnisses wohl einige Ministerposten aussuchen. Jedenfalls sind die Liberal-Konservativen dafür verantwortlich, dass es die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Tusks KO und die Linke hatten eine legale Fristenregelung versprochen - und dadurch sehr viele Stimmen von Frauen erhalten. Der "Dritte Weg" will vorerst nur zu dem weniger strengen Gesetz vor der PiS zurück. Auch Morawiecki zeigt sich nun plötzlich als Gegner der von seiner Partei PiS beschlossenen Verschärfung, die Abbrüche fast völlig unmöglich macht.

Viel komplexer ist die Aufgabe, Justiz und Medien des Landes wieder unabhängig machen. Das ist zum einen rechtlich kompliziert. Und schwierig wird es vermutlich auch mit den Richtern, die ja offiziell weiter im Amt sind, sowie mit den Journalistinnen und Journalisten, die weiterhin gegen das Lager Tusks austeilen.

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Die polnische Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz etwa schreibt auf X: "Wann also wird Polen wieder deutsch werden? Wann werden wir wieder Hitlergrüße ... hören?" Die PiS hatte einen stark anti-deutschen Wahlkampf geführt und davor gewarnt, Tusk werde polnische Unternehmen an Deutschland verkaufen.

Am 13. November soll der neue Sejm erstmals zusammentreten. Morawiecki wird dann zwei Wochen Zeit bekommen, eine Regierung zu bilden. Gelingt ihm das nicht, darf der Sejm mit Mehrheit einen Kandidaten ernennen, der es stattdessen versucht. Dann schlägt wohl die Stunde Donald Tusks.

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