Deutschlands größter Besitzer von radioaktivem Müll kann bald oberster Bauherr der geplanten Atom-Endlager Gorleben und Konrad werden. Das geht aus neuen Entwürfen für das Atomgesetz hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Demnach soll das Bundesumweltministerium demnächst "die Wahrnehmung seiner Aufgaben mit den dafür erforderlichen hoheitlichen Befugnissen ganz oder teilweise auf Dritte übertragen" können.
Dadurch könnte der Bund einen Dritten mit den Hoheitsrechten beleihen, vergleichbar mit der Verkehrssicherheit: Dort nehmen auch Firmen die technische Überprüfung von Fahrzeugen wahr. Theoretisch könnten privatwirtschaftliche Unternehmen damit selbst die maroden Endlager Asse und Morsleben übernehmen. Faktisch läuft der Plan auf eine Privatisierung der Endlagerung hinaus.
Nutznießer könnte auch ein Unternehmen in Staatsbesitz sein, ein spezieller Passus widmet sich diesem Fall. Sollte der Staat ein Unternehmen beleihen, das in alleinigem Besitz des Bundes ist, könnte er dem Entwurf zufolge weitgehend autonom wirtschaften, der Bund würde dann nur noch die Einhaltung der Gesetze kontrollieren. Eine fachliche Aufsicht sei in diesem Fall "nicht erforderlich", heißt es zur Begründung. "Die Interessen des Bundes können effektiver über seine Unternehmensbeteiligung durchgesetzt werden." Nur ein Unternehmen käme dafür in Frage: die Energiewerke Nord.
Die Energiewerke Nord (EWN) gingen nach der Wende aus der Abwicklung der DDR-Kernkraftwerke hervor, ihr einziger Gesellschafter ist das Bundesfinanzministerium. Das Unternehmen mit Sitz nahe dem ehemaligen DDR-Atomkomplex "Bruno Leuschner" bei Greifswald baut seit den neunziger Jahren die ostdeutschen AKWs zurück, es verantwortet auch den Rückbau von Atom-Forschungsanlagen in Karlsruhe und Jülich. Damit ist es der derzeit größte Eigentümer von Atommüll in Deutschland.
Entsprechend hat die Firma auch Interesse an einer zügigen Lösung der Endlagerung. Vor allem für Schacht Konrad in Salzgitter, das als Endlager für schwach- und mittelaktive Abfälle dienen soll, hätten die EWN reichlich Abfälle. An der Endlager-Baufirma der Energiewirtschaft, der DBE, sind die EWN mit 25 Prozent beteiligt. Erfahrungen mit der Endlagerung allerdings haben die Energiewerke bisher nicht - was sie vom derzeit zuständigen Bundesamt für Strahlenschutz unterscheidet.
Aber genau dieses Bundesamt, seine eigene Behörde, will Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nun offenbar entmachten. Bislang tritt das Bundesamt für Strahlenschutz als Betreiber von Gorleben und Schacht Konrad auf. Über einen nahezu unkündbaren Vertrag ist die DBE mit dem Ausbau beauftragt - allerdings stets unter der fachlichen Kontrolle der Strahlenschutz-Behörde. Nach den Plänen des Bundes ließe sie sich etwa bei der Erkundung von Gorleben künftig komplett umgehen.
Das Bundesumweltministerium betonte, es handle sich bei der Novelle nur um "langfristige Pläne". Der Bund wolle in dem Gesetz lediglich die Möglichkeit für eine andere Struktur verankern. "Es gibt noch keine konkreten Pläne für eine Beleihung", sagte eine Sprecherin. Dem Bundesamt für Strahlenschutz ist der Passus im Gesetz nach eigenem Bekunden neu. "Wir kennen diese Überlegungen nicht", sagte ein Sprecher.
Im Wendland wurde das Vorhaben mit Fassungslosigkeit aufgenommen. "Das wäre eine Katastrophe", sagte Wolfgang Ehmke von der örtlichen Anti-Endlager-Bürgerinitiative. "Damit führt die Atomwirtschaft in Gorleben direkt Regie." Das Bundesamt gilt vielen Initiativen vor Ort bislang als vergleichsweise glaubwürdiger Ansprechpartner. Parallel teilte Niedersachsens Umweltministerium am Dienstag mit, rechtlich stehe der weiteren Erkundung nichts mehr im Wege. Nächste Woche soll sie beginnen.
Die Opposition kritisierte die Pläne scharf. "Frau Merkel verkauft Schritt für Schritt die Sicherheit der Bevölkerung an die Atomwirtschaft", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel der SZ. So sei EWN-Geschäftsführer Dieter Rittscher "an maßgeblicher Stelle der Atomindustrie für die skandalösen Einlagerungen in der Asse mitverantwortlich", so Gabriel. "Das ist Resozialisierung à la Merkel: Jene, die die Asse verbockt haben, dürfen in Gorleben weitermachen." Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, sprach vom "ersten Schritt in die Vollprivatisierung der Atommüll-Endlagerung". Staatliche Verantwortung werde "abgewickelt".