Pingpong der Positionen:Integration - eine Aufgabe schreit nach einem Zuhause

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Flüchtlinge warten im Herbst 2015 vor dem LAGeSo in Berlin. Heute sind die Probleme andere als damals. Aber nicht weniger dringlich. (Foto: AP)

Unser Autor Stefan Braun meint: Wir brauchen dringend ein Integrationsministerium. Lesen Sie hier seine Argumente. Sie sind anderer Meinung? Dann schreiben Sie uns eine Gegenrede!

Die Flüchtlingspolitik bewegt die Deutschen - das hat sich auch beim Democracy Lab der SZ gezeigt, unserem Diskurs-Experiment zur Bundestagswahl. Die Integration der Menschen, die ins Land gekommen sind, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen.

Unser Berliner Online-Chef Stefan Braun hält es für unverzichtbar, ein Migrations- und Integrationsministerium zu gründen. Im Folgenden formuliert er seine Argumente. Sie sind anderer Meinung? Dann machen Sie mit bei unserem "Pingpong der Positionen" - und schreiben Sie eine Gegenrede! Den Text mit der stichhaltigsten Argumentation und den besten Vorschlägen werden wir (neben anderen ausgewählten Leser-Beiträgen, z.T. in Auszügen) auf SZ.de veröffentlichen - und Stefan Braun wird dazu wiederum eine Entgegnung verfassen. Das letzte Wort dieses öffentlichen "Pingpongs der Positionen" hat dann der Leser. Wie Sie mitmachen können, erfahren Sie am Ende des Artikels.

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Von SZ-Autoren

Kommentar: Was für eine umfassende Integrationspolitik jetzt nötig ist

Es ist wichtig. Es ist nicht wichtig. Es ist wieder wichtig. Es ist am Ende vielleicht gar nicht mehr wichtig. Das Thema Flüchtlinge erlebt in diesem Wahlkampf eine besonders wilde Berg- und Talfahrt. Mal hat es enorme Konjunktur, dann kaum mehr eine Bedeutung, um im nächsten Moment in aller Munde zu sein, weil es im TV-Duell eine große Rolle spielte. Ob es auch im Finale bis zur Wahl viele beeinflusst, vermag niemand zu sagen. Zumal die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, im August so gering war wie sehr lange nicht.

Das jedoch kann nicht verdecken, dass schlichtweg alles, was sich mit diesem Thema verbindet, nach der Wahl eine riesige Aufgabe sein wird. Und das über Jahrzehnte. Für jene, die sich vor zu vielen Flüchtlingen fürchten. Für jene, die sich um gut ausgebildete Einwanderer für die Wirtschaft bemühen. Außerdem für jene, die sicher gehen wollen, dass die Menschen, die da sind, klug integriert werden. Und dann auch noch für jene, die sich fragen, wie man verhindern kann, dass sich noch sehr viel mehr Flüchtlinge auf den Weg machen. Ein Berg von Aufgaben, der politisch und strukturell nach einem Zuhause schreit. Anders ausgedrückt: Man wird dafür in der neuen Regierung ein eigenes Ressort brauchen.

Migration, Integration, Einwanderung - das sind keine Themen, die von alleine wieder vergehen. Sie sind in den vergangenen Jahren, ja, Jahrzehnten immer nur noch wichtiger geworden. Es wird in der nächsten Legislaturperiode vielleicht nicht alles, aber verdammt Vieles prägen. Deshalb sollten die zahlreichen Themen, die daraus resultieren, nicht mehr getrennt, sondern gemeinsam betreut werden. Egal, was sonst noch geschieht und wichtig wird im neuen Kabinett: Deutschland wird ein Migrations- und Integrationsministerium brauchen.

Das klingt zunächst vor allem nach mehr Bürokratie. Darum aber geht es nicht. Es geht darum, die bislang auf viele verschiedene Ressorts, Häuser und Minister verteilten Aufgaben zu bündeln. Bisher kümmern sich das Innenministerium, das Auswärtige Amt, das Arbeits- und das Familienministerium und schließlich auch noch das Entwicklungsministerium um Teile des großen Ganzen.

Wie absurd das sein kann, zeigte sich am stärksten im Bundesinnenministerium. Es sollte in den vergangenen Jahren die Flüchtlingsaufnahme genauso organisieren wie die Terrorabwehr, den Kampf gegen organisierte Kriminalität oder die Sportförderung. Das war ein Spagat, der schief gehen musste, weil ein über Jahre auf Sicherheitspolitik ausgerichtetes Haus in dieser Phase wie ein Ministerium mit einem Doppelleben wirkte. Dabei geht es nicht um eine Entmachtung; es geht um eine kluge Neuorganisation und die Aufhebung inhärenter Widersprüche.

Hinzu kommt, dass dieses Thema nicht länger von anderen Themenkonjunkturen abhängig sein sollte. Wie schnell das geschehen kann, war in den vergangenen vier Jahren im Auswärtigen Amt zu studieren. Dieses Ministerium hatte mit dem Ukraine-Konflikt, den Atom-Verhandlungen mit Iran, dem Syrienkrieg und dem allgemeinen Kampf gegen den IS so viel zu tun, dass die Flüchtlingsbewegungen zwar früh gesehen, aber nicht wirklich behandelt wurden.

Wichtig ist aber auch ein anderer Aspekt: Viele Fragen der Integration drehen sich längst nicht nur um die aktuell ins Land gekommenen Flüchtlinge. Nötig ist ein umfassender Ansatz, mit dem auch für all jene, die schon viel länger im Land sind, neue Chancen und neue Pflichten definiert werden. Familienpolitische, arbeitsmarktpolitische, wirtschaftspolitische, kulturelle und religiöse Fragen - für sie alle einen gemeinsamen Ort zu gründen, ist unverzichtbar. Nur so fühlt sich ein Ministerium endlich für alles verantwortlich; nur so lässt sich dauerhaft Erfahrung und Expertise ansammeln; nur so gibt es am Kabinettstisch einen Minister oder eine Ministerin, die dafür und nur dafür im umfassenden Sinne kämpft, Verantwortung trägt und eigene Mittel verwaltet.

Darauf sollte angesichts der Größe der Aufgabe keine Regierung mehr verzichten. Zumal die Ausstattung eines solchen Ministeriums ebenso wie der laufende Haushalt viel darüber aussagt, ob und wie leidenschaftlich eine Regierung sich dieser Aufgabe annimmt.

Dabei, das gehört zu einer solchen Forderung dazu, geht es nicht um mehr und noch mehr Ministerien. Es geht um eine Prioritätenverschiebung. Also auch um die Frage, welches Ministerium für diese Megaaufgabe weichen könnte. Was machen wir künftig mit Menschen, die auf Zeit Zuflucht suchen? Was machen wir, um den absehbaren Fachkräftemangel mit klugen Köpfen aus der Welt zu lösen? Und: Wie muss eine kluge Bekämpfung von Fluchtursachen aussehen, damit sich nicht immer mehr Menschen aus wirtschaftlichen, sozialen oder klimatischen Gründen auf den Fluchtweg machen? Eine große Aufgabe sucht ein eigenes Zuhause.

Debatte: Machen Sie mit bei diesem Experiment

Es reizt Sie, Stefan Braun Contra zu geben? Dann machen Sie mit bei unserem "Pingpong der Positionen". Im Zentrum dieses neuen Diskussions-Formats soll die Kraft des Arguments stehen - im Sinne eines konstruktiven Diskurses, der die Debatte voranbringt. Damit dies gelingt, bitten wir Sie, folgende Form einzuhalten:

  • Schreiben Sie uns nicht nur, warum Sie das jeweilige Argument von Stefan Braun für falsch halten. Sondern nennen Sie konkrete Gegenvorschläge.
  • Der Text sollte mindestens 2000 und maximal 5000 Zeichen lang sein.
  • Schicken Sie Ihren Beitrag bis spätestens kommenden Montagabend, an democracylab@sz.de, Betreff: Pingpong.
  • Wir veröffentlichen nur Beiträge mit Klarnamen.

Wir würden uns freuen, wenn Sie bei diesem Experiment mitmachen würden!

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