Nahost-Konflikt:Wo die Meinungsfreiheit endet

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Eine Aussage wie "Free Palestine" (Befreit Palästina) fällt in Deutschland unter die Meinungsfreiheit. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Slogans wie "Free Palestine" oder "From the river to the sea" sind auf vielen propalästinensischen Kundgebungen zu hören. Ist das schon Antisemitismus? Was auf Demonstrationen erlaubt ist - und was nicht.

Von Ronen Steinke

Demonstrationen, die offiziell Solidarität mit den Menschen im abgeriegelten Gazastreifen und Kritik an der israelischen Besatzung ausdrücken sollen, lösen derzeit hitzige Diskussionen aus. Angesichts der dort gezeigten und gerufenen Slogans sprechen Kritiker teilweise von Antisemitismus. Doch wie ist die Rechtslage? Welche Äußerungen sind von der Meinungsfreiheit gedeckt und wo zieht das Strafrecht in Deutschland derzeit rote Linien?

"Free Palestine"

Meinungen sind frei, erst bei der Aufstachelung zu Gewalt ist im deutschen Recht Schluss. Für eine sehr allgemeine Aussage wie "Free Palestine" (Befreit Palästina) oder auch "End occupation" (Beendet die Besatzung) gilt deshalb die Meinungsfreiheit. In diesen Tagen versuchen einige Politiker gegenzusteuern und schlagen Verschärfungen vor. So will Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) die "Leugnung des Existenzrechts Israels" zu einem eigenständigen Strafparagrafen machen, analog zur Leugnung des Holocaust - weil damit quasi automatisch eine Gefahr für das "friedliche Zusammenleben" in Deutschland entstehe. Die Resonanz in der Bundespolitik, die hierfür zuständig wäre, ist aber kühl.

Auch der Vorwurf an die Adresse Israels, dort herrsche "Apartheid" - also eine systematische Rassentrennung wie einst in Südafrika -, ist nicht justiziabel. Ruud Koopmans, Migrationsforscher an der Berliner Humboldt-Universität, hat jüngst in der Bild-Zeitung vorgeschlagen, die Worte "Allahu Akbar" unter Strafe zu stellen, "wenn sie im nichtreligiösen Kontext benutzt" werden. Das wäre aber in dieser Pauschalität in einem Rechtsstaat undenkbar.

"From the river to the sea"

Bei diesem Satz probiert die deutsche Justiz gerade eine neue Strenge aus. In Berlin sind eine Reihe von Ermittlungsverfahren wegen möglicher Volksverhetzung eingeleitet worden - stets auf der Grundlage der Vermutung, dass mit dieser Parole im konkreten Fall zu Gewalt aufgestachelt worden sei. Der Satz "From the river to the sea, Palestine will be free" - der auf Demonstrationen oft im Sprechchor vorgetragen wird - bedeutet übersetzt eigentlich bloß, Palästina solle vom Fluss bis zum Meer frei sein. Gemeint ist: vom Fluss Jordan bis hin zum Mittelmeer, also auf dem gesamten Gebiet, auf dem sich heute auch der Staat Israel befindet. "Das kann man grundsätzlich mehrdeutig interpretieren", sagt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner.

"Frei sein", das könne auch bloß den friedlichen Wunsch nach einer politischen Reform hin zu einer gleichberechtigt freien Existenz von Palästinensern ausdrücken, sagt er. Auf den Kontext kommt es an. Verfahren wegen Volksverhetzung werden nur dort eingeleitet, wo sich aus dem Zusammenhang - zum Beispiel aus dem Bezug zu den Hamas-Massakern vom 7. Oktober - ergebe, dass Gewalt gegen Juden oder gar eine Auslöschung jüdischen Lebens in Nahost befürwortet werde. Und sich die Interpretation der Parole also "zu einer Eindeutigkeit verengt", wie der Oberstaatsanwalt sagt.

Der entsprechende Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs besagt: Wer einen "ausgedehnten" Angriff auf die Zivilbevölkerung öffentlich billigt, wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe belangt. Gerichtsurteile zu "From the river to the sea" gibt es indes noch nicht.

Verbrennung israelischer Flaggen

Von der Tat in Augsburg gibt es ein Video, die Täter selbst haben sich stolz gefilmt: Am 13. Oktober kletterte ein 18-Jähriger den Mast auf dem Rathausplatz hinauf, riss eine dort hängende große Flagge des Staates Israel herunter. Dann versuchte er, sie anzuzünden. Sein ebenfalls 18-jähriger Freund feuerte ihn an und hielt mit der Kamera drauf. Die beiden Täter wurden rasch identifiziert, die Ermittlungen hat der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Justiz übernommen, Oberstaatsanwalt Andreas Franck.

Er weist darauf hin, dass das Strafrecht hier erst im Jahr 2020 verschärft worden sei. Wer "öffentlich die Flagge eines ausländischen Staates zerstört oder beschädigt und dadurch verunglimpft", kann nach Paragraf 104 des Strafgesetzbuchs belangt werden. Früher galt diese klare gesetzliche Ansage nur für Flaggen, die an offiziellen staatlichen Gebäuden hingen. 2020 wurde das ausgeweitet. Auch wer eine selbstgebastelte Israel-Flagge (oder die eines anderen Staates) anzündet, wird verfolgt.

"Kindermörder Israel"

Das Motiv der "Kindermörder knüpft an übelste Lügen und Legenden aus dem Mittelalter an", sagt Andreas Franck. Deshalb müsse der Rechtsstaat wachsam sein. Ein Plakat mit der Aufschrift "Juden = Kindermörder" überschreite definitiv eine Grenze und sei als Volksverhetzung strafbar, weil damit zu Hass und Gewalt gegen einen Teil der Bevölkerung "aufgestachelt" werde, wie es im entsprechenden Paragrafen 130 des Strafgesetzbuchs heißt. So hat es zuletzt 2022 das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg klargestellt.

Aber: Ganz pauschal lässt sich das Wort "Kindermörder" nicht verbieten. Wieder kommt es auf den Kontext an. Wenn im Zusammenhang mit der Bombardierung des Gazastreifens von "Kindermörder Israel" die Rede ist - dann geht es speziell um ein Kriegsgeschehen, bei dem unbestreitbar Kinder zu Schaden kommen. Die Meinungsfreiheit in Deutschland reicht weit. Das Recht, Soldaten als "Mörder" zu bezeichnen, wird vom Bundesverfassungsgericht seit Langem geschützt.

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