Berlin:"Palästina-Kongress": Veranstalter erheben Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte

Lesezeit: 3 min

Wieland Hoban, einer der Organisatoren des Berliner "Palästina-Kongresses", kritisiert nach dem Abbruch der Veranstaltung auch die Bundesregierung. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Die Polizei löst die umstrittene und auf drei Tage angesetzte Veranstaltung zwei Stunden nach Beginn auf. Die Organisatoren sprechen von "Mafiamethoden".

Von Peter Laudenbach

Nach dem Abbruch des sogenannten Berliner "Palästina-Kongresses" durch die Polizei am Freitag erheben die Veranstalter schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und die Sicherheitskräfte. Wieland Hoban, Vorstand der propalästinensischen "Jüdischen Stimme" und einer der Organisatoren des Kongresses, sieht im polizeilich angeordneten Verbot der Fortführung der auf drei Tage angesetzten Veranstaltung "Polizeiwillkür" und "Mafiamethoden".

Auf einer Pressekonferenz unterstellte Hoban am Samstag eine Intervention der Bundesregierung: "Die Repressionen zeigen, dass der deutsche Staat nicht will, dass wir seine Mitschuld am Genozid anklagen." Mit "Genozid" ist im martialischen Sprachgebrauch der Kongress-Veranstalter das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen als Reaktion auf den Terrorakt der Hamas am 7. Oktober gemeint. Vor Kongress-Beginn hatten sie sich in einer ersten Pressekonferenz geweigert, die Frage zu beantworten, ob sie sich von den Terrorakten der Hamas distanzieren.

Die Polizei löst die Veranstaltung nach zwei Stunden auf

Die Polizei hatte die Veranstaltung am Freitag etwa zwei Stunden nach Beginn aufgelöst. Die bis zu 250 Kongressteilnehmer wurden am frühen Abend aufgefordert, den Saal zu verlassen. Die Polizei schritt mit etlichen Beamten ein, kappte die Übertragung und schaltete den Strom zeitweise ab.

Die Sprecherin des zehnköpfigen Anwaltsteams der Kongress-Veranstalter, Nadija Samour, betonte, dass diese bis zum Abbruch zu jedem Zeitpunkt bereitwillig und umfänglich mit den Sicherheitsorganen kooperiert hätten, die üblichen Absprachen im Vorfeld seien konstruktiv und professionell verlaufen. Nach ihrer Einschätzung hat die Polizei "völlig unverhältnismäßig" reagiert, als sie die Fortsetzung der Veranstaltung untersagt hat. Die Anwältin unterstellt, die Polizei hätte auf politischen Druck "wissentlich unrechtlich" gehandelt und spekuliert, "vielleicht" sei dabei auch "die Bundesebene", also das Innenministerium, aktiv geworden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser lobte den Einsatz der Polizei auf der Plattform X, vormals Twitter. "Es ist richtig und notwendig, dass die Berliner Polizei hart durchgreift beim sogenannten Palästina-Kongress. Wir dulden keine islamistische Propaganda und keinen Hass gegen Jüdinnen und Juden", schrieb sie. Auch die Gewerkschaft der Polizei nannte das Durchgreifen der Beamten ein "starkes Zeichen in Richtung derer, die unsere Demokratie ausnutzen oder an der Durchsetzungskraft der Hauptstadtpolizei zweifeln". "Wer unsere demokratischen Möglichkeiten nutzen möchte, der muss sich auch an Auflagen und Gesetze halten", sagte Landeschef Stephan Weh laut Mitteilung.

Ein Video ist der Auslöser für den Abbruch

Auslöser der Intervention der Sicherheitskräfte war ein auf dem Kongress abgespieltes und im Stream übertragenes Video des palästinensischen Aktivisten und Geografen Salma Abu Sitta. Ihm war, unter anderem weil er den Terroranschlag vom 7. Oktober und die "Entschlossenheit und den Mut" der Hamas-Mörder öffentlich gefeiert hatte, ein Einreiseverbot und ein Verbot der politischen Betätigung in der Bundesrepublik erteilt worden.

Nach Samours Einschätzung verstößt das Abspielen seines Videos nicht gegen das Betätigungsverbot, da er nicht körperlich anwesend war. Die Polizei kannte laut Samour die Rednerliste, sie hätte bei den Absprachen mit den Veranstaltern den Videobeitrag bereits im Vorfeld untersagen können. Samour argumentiert weiter, das Video enthalte "keine strafbaren Äußerungen". Allerdings behauptet Salma Abu Sitta dort, was im Gazastreifen geschehe, sei "einzigartig in der Weltgeschichte". Er verweist dabei auch auf den Holocaust, was sich zumindest als Relativierung des Holocausts verstehen lässt.

Kongressteilnehmer wird nach eigenen Angaben an der Einreise gehindert

Ein anderer Kongressteilnehmer, der Chirurg Ghassan Abu-Sittah, wurde nach eigenen Angaben am Berliner Flughafen an der Einreise gehindert. Der britisch-palästinensische Arzt hatte nach der Intervention der israelischen Armee 43 Tage in einem Krankenhaus im Gazastreifen gearbeitet und wollte in Berlin von den dortigen Verhältnissen berichten. Laut der Anwältin Samour hat der Arzt bis Samstag keine schriftliche Begründung des Einreiseverbots erhalten. Auch für den Abbruch und das Verbot der Fortführung des Kongresses hat die Anwältin nach ihren Angaben bis Samstag keine schriftliche Begründung der Staatsanwaltschaft erhalten.

Die mündliche Begründung des Einsatzleiters, die Polizei wolle potenzielle strafbare Äußerungen ausschließen, hält Samour nicht für stichhaltig: Weder sei es bei der Veranstaltung zu strafbaren Äußerungen gekommen, noch sei von ihm eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben oder die öffentliche Ordnung ausgegangen.

Gegen den Abbruch des Kongresses gab es am Samstag Proteste. Zahlreiche Menschen gingen gegen die Auflösung des Kongresses auf die Straße. Es waren Parolen zu hören wie "Viva, viva Palästina", "Palästina will never die" oder "Israel bombardiert - Deutschland finanziert". Unweit der Demo protestierte eine kleine Gruppe von Menschen mit Israel-Flaggen. Die Polizei war mit rund 900 Kräften in der Stadt im Einsatz, überwiegend bei der Demonstration.

© SZ/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in Nahost
:"Militärischer Druck tötet die Geiseln"

Gerschon Baskin war als geheimer Verhandler maßgeblich daran beteiligt, den 2006 von der Hamas entführten Soldaten Gilad Schalit aus Gaza heimzuholen. Warum er Israels Bemühungen um die Freilassung der Geiseln heute für ein Desaster hält.

Von Peter Münch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: