Pakistan:Der wahre Sieger sitzt im Gefängnis

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Etwa 130 Millionen Wahlberechtigte in Pakistan waren am Donnerstag dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die Ergebnisse ließen auf sich warten. (Foto: Rebecca Conway/Getty Images)

Die unabhängigen Kandidaten von Imran Khans gesperrter Partei liegen nach den bisherigen Auszählungen überraschend weit vorn. Eine Regierungsbildung dürfte schwierig werden - nicht nur, weil der Ex-Premier in Haft ist.

Von David Pfeifer, Islamabad

Kurz nachdem die Wahllokale in Islamabad geschlossen hatten, knallte es. Schuld daran waren dann aber doch nur acht junge Männer, die zusammengequetscht auf drei kleinen Motorrädern saßen und ihre Auspuffrohre auf der Fazal-e-haq Road knattern ließen, während sie "PTI"-Fahnen schwenkten. PTI steht für die "Pakistan Tehreek-e-Insaf"-Partei des inhaftierten Imran Khan. Der ehemalige Premierminister wurde vor der Wahl mit einer Reihe von Anklagen überhäuft und sitzt im Gefängnis. Von dort aus machte er Wahlkampf. Mithilfe künstlicher Intelligenz erstellten seine Anhänger Videos, in denen ein Avatar von Khan die von ihm verfassten Reden hielt. Auch seine Partei war von der Teilnahme ausgeschlossen worden. PTI-Mitglieder konnten nur als unabhängige Kandidaten antreten.

Als am Freitagnachmittag dann, mehr als 24 Stunden nach dem Ende der Wahl, endlich die Ergebnisse von mehr als der Hälfte der Wahlbezirke bekannt gegeben wurden, sah es plötzlich so aus, als hätten die Männer mit den PTI-Fahnen guten Grund zum Feiern. Die von Khan unterstützten Kandidaten hatten nach den ersten Auszählungen die meisten Sitze gewonnen. Von 136 Mandaten, die bis zur Mittagszeit ausgezählt waren, gingen bislang 49 an sie, wie die pakistanische Wahlkommission der Nachrichtenagentur Reuters mitteilte.

Dass diese Meldung gemacht wurde, könnte man als gutes Zeichen dafür werten, dass die Auszählung einigermaßen sauber verläuft. Denn das Ergebnis stellt den eigentlich vorab gesetzten Wahlsieger Nawaz Sharif, 74, und das ihn stützende Militär vor Probleme. Sharifs "Pakistan Muslim League" hatte bis zum Mittag nur 42 Sitze gewonnen. Die "Pakistan Peoples Party" mit ihrem Spitzenkandidaten Bilawal Bhutto Zardari, dem Sohn der ermordeten ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto, kam auf 34 Sitze. Gleichzeitig kursierten auf der Plattform "X", früher Twitter, Clips von Betrugs- und Einschüchterungsversuchen im ganzen Land.

Der ehemalige Hoffnungsträger Khan hat sich mit dem mächtigen Militär überworfen

Das pakistanische Wahlsystem ist ausgesprochen kompliziert. Unabhängige Kandidaten dürfen keine Regierung bilden. Sie können sich aber nach der Wahl aussuchen, wen sie unterstützen wollen. Nach den heftigen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate dürften es schwierige Verhandlungen werden. Imran Khan, einst als Hoffnungsträger gestartet, hat sich mit dem mächtigen Militär des Landes überworfen. In einer beispiellosen Auseinandersetzung beschuldigte Khan die Generäle, einen Anschlag auf ihn in Auftrag gegeben zu haben. Er trieb die Regierung von Shebaz Sharif, dem Bruder des nun angetretenen Nawaz, mit populistischen Attacken vor sich her.

Immer größer wurden die Menschenmassen, die sich um Khan versammelten, wenn er gegen die Herrschenden wetterte - gegen die Familien Sharif und Bhutto, die sich in den vergangenen Jahrzehnten, im Wechsel mit dem Militär, die Macht im Land immer wieder gesichert und das Land in den heutigen Zustand manövriert hatten. Die Wirtschaft Pakistans strauchelt, die Inflation liegt derzeit bei etwa 30 Prozent.

In drei Wochen muss ein neues Paket mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandelt werden. Die vergangenen Verhandlungsrunden unter der Führung von Shebaz Sharif, und die notwendigen Zugeständnisse an den IWF, hatten zu heftigen Preissteigerungen geführt, die vor allem die vielen Armen im Land getroffen haben. Khan hatte es in seiner Amtszeit hingegen abgelehnt, Subventionen auf Treibstoff zu streichen. Wie und in welcher Konstellation es nun weitergeht, wird direkte Auswirkungen auf die kommende Verhandlungsrunde haben. Dort sitzen dann wieder die Politiker, während das Militär sich vorwiegend mit dem zweiten großen Problem des Landes wird auseinandersetzen müssen. Dem Terrorismus.

Am Wahltag wurde der Mobilfunk abgeschaltet, um Ausschreitungen zu verhindern

Dass die Wahlergebnisse so verzögert bekannt gegeben wurden, begründete Zafar Iqbal, Sekretär der Wahlkommission, mit "Internetproblemen". Tatsächlich waren am Wahltag die Mobilfunksysteme im Land abgeschaltet worden, "um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und möglichen Bedrohungen zu begegnen", wie das Innenministerium mitteilte. Trotzdem gab es Anschläge von militanten Gruppen, vor allem in den Grenzregionen zu Iran und Afghanistan. 28 Menschen starben, darunter zwei Kinder.

Etwa 130 Millionen Wahlberechtigte in Pakistan waren am Donnerstag dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. (Foto: ABDUL MAJEED/AFP)

Amnesty International bezeichnete die Aussetzung der Mobilfunkdienste als "einen unverblümten Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung". Vedant Patel, stellvertretender Sprecher des US-Außenministeriums, sagte gegenüber Reportern in Washington, man sei besorgt über "Schritte, die unternommen wurden, um die Meinungsfreiheit einzuschränken, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung des Internets und von Mobiltelefonen".

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Am Abend reklamierte Nawaz Sharif den Sieg für sich und erklärte, dass seine Partei aus der Abstimmung als stärkste Kraft hervorgegangen sei. Er wolle mit der Bildung einer Koalitionsregierung beginnen. Er gab allerdings nicht bekannt, wie viele Sitze seine Partei gewonnen hatte und endgültig ausgezählt war da noch nicht. Seine PML-N lag mit 61 weit von der erforderlichen Mehrheit von 133 Sitzen entfernt. Sharif sagte, seine Stellvertreter würden sich mit Führern anderer Parteien treffen. Khan hingegen wies die Ansprüche seines Rivalen am Abend zurück und rief seine Anhänger dazu auf, den Sieg zu feiern.

Die USA, die EU und Großbritannien meldeten am Freitagabend Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf der Parlamentswahl an und forderten eine Untersuchung.

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