Kurz konnte man am Sonntagmittag den Eindruck gewinnen, Max Otte habe es sich doch noch anders überlegt. Als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Paul-Löbe-Haus zu Beginn der Bundesversammlung die Namen der Kandidaten für das Amt des höchsten Staatsamts verlas, blieb einer der vier vorbereiteten Kandidatenplätze auf der Empore leer. Die Kameras suchten im Bundestag vergeblich nach dem Fondsmanager, der bei der Wahl für die AfD antrat.
Zwar tauchte der Fondsmanager später wieder auf. Sein Fehlen im entscheidenden Moment der Wahl stand jedoch für eine insgesamt pannenreiche Kandidatur. So hatten Enthüllungen über Spenden Ottes an den Kreisverband des AfD-Bundessprechers Tino Chrupalla in Höhe von 20 000 Euro Empörung ausgelöst. Die CDU entzog dem umstrittenen einstigen Chef der Werteunion Ende Januar wegen der Kandidatur für die Rechtspartei alle Mitgliederrechte.
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Nach dem Ende der Auszählung aller mehr als 1400 Stimmen der Bundesversammlung wurde klar: Der Wirbel um Ottes Kandidatur hatte Folgen. Am Ende bekam der Kandidat mit 140 Stimmen nicht mal so viele Stimmen, wie die AfD Wahlmänner und -frauen in der Bundesversammlung hatte (151).
Dabei waren die Hoffnungen auf ein ganz anderes Ergebnis in der AfD-Spitze bis zuletzt groß gewesen. Parteichef Tino Chrupalla hatte noch vor wenigen Tagen an die Basis hoffnungsvoll geschrieben, Ottes Kandidatur biete der AfD die "besondere Gelegenheit", über die eigene Partei hinaus ein Signal zu setzen und in der Bundesversammlung "weitere Stimmen" zu bekommen. Doch aus der Annäherung an die Union und dem Stimmenfang im konservativen Lager wurde nichts.
"Zweifel an strategischen Fähigkeiten" des Parteichefs
Nach Angaben aus Fraktionskreisen wuchs in den vergangenen Tagen wegen der Personalie bereits der Unmut in der AfD über den verbliebenen Parteichef, der zusammen mit Alice Weidel auch die Fraktion führt. Es gebe ernste "Zweifel an seinen strategischen Fähigkeiten", verlautete es aus den Reihen der AfD-Abgeordneten.
Chrupalla hatte Otte im Januar quasi im Alleingang gegen parteiinterne Widerstände durchgesetzt und sich dabei endgültig mit dem bisherigen Co-Chef Jörg Meuthen aus dem für AfD-Verhältnisse gemäßigten Lager überworfen. Meuthen, der Ottes Kandidatur strikt abgelehnt hatte und für eine andere Form der Kandidatenkür eingetreten war, trat nur wenige Tage später düpiert aus der Partei aus. Meuthen bestreitet allerdings einen direkten Zusammenhang. Chrupalla führt die Partei seither allein. Die Wahl galt als erste große Bewährungsprobe. Im Frühjahr steht auf einem Parteitag die Frage an, ob Chrupalla die AfD auch in Zukunft allein führen soll.
Für Unruhe noch kurz vor der Wahl hatte zudem gesorgt, dass Otte im vergangenen Jahr einen Vortrag vor der Thüringer AfD-Landtagsfraktion mit ihrem Vorsitzenden Björn Höcke hielt. Die Thüringer AfD mit ihrem Landespartei- und Fraktionschef Höcke wird als Landesverband vom Landesverfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuft und als Beobachtungsobjekt geführt.
Bundesverfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hatte Höcke im Jahr 2020 als Rechtsextremisten bezeichnet. Otte habe "einen Vortrag zu den makroökonomischen Folgen der Corona-Politik für die deutsche Wirtschaft" gehalten, räumte der Parlamentarische Geschäftsführer der Thüringer AfD-Fraktion, Torben Braga, ein. Otte war damals CDU-Mitglied.
Für Ottes Kampf um die Beibehaltung seiner CDU-Mitgliedschaft gilt das Bekanntwerden des Auftritts als schwerer Rückschlag. Otte erklärte am Sonntag zwar, er werde sich nach der Kandidatur aus der Parteipolitik zurückziehen und strebe kein Amt und Mandat mehr an. Um seine CDU-Mitgliedschaft wolle er jedoch kämpfen. Seine AfD-Kandidatur verteidigte er als Dienst für die CDU. Die habe es versäumt, einen eigenen Gegenkandidaten zu Steinmeier aufzustellen. Daher wollte er ein Zeichen setzen.
In der CDU sieht man das jedoch ganz anders. Der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet sprach sich am Sonntag für ein rasches Verfahren aus. Otte habe mit der Kandidatur eine Schwelle überschritten. "Das ist nun wirklich ein Grund für einen Parteiausschluss", sagte Laschet. Otte solle so bald wie möglich aus der CDU entfernt werden.
Am Sonntag nach der Niederlage in der Bundesversammlung fiel Otte noch einmal auf, als er in ungewöhnlich scharfer Form die Antrittsrede des wiedergewählten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kritisierte. "Die Rede unseres neu gewählten Bundespräsidenten hat mich erschrocken", erklärte Otte. Er bezeichnete die Kritik am Kurs Russlands in der Ukraine als "Konfrontation mit Russland. Da hatte ich anderes erwartet".