Opfer rechtsextremer Gewalt:Tod eines Punks

der tote Punk

Mike B. trug ein Hakenkreuz am Hinterkopf. Der Punk Falko Lüdtke sprach ihn darauf an - das war sein Todesurteil.

(Foto: Illustration: Yinfinity)
  • Vor 15 Jahren starb in Eberswalde der Punk Falko Lüdtke - sein Tod wird von den Forschern als eindeutig politisch motiviert bewertet.
  • Es gibt eine große Diskrepanz zwischen offizieller Statistik von Todesopfern rechtsextremer Gewalt und Recherchen von Journalisten und Stiftungen.
  • Als erstes Bundesland hat Brandenburg eine externe Forschungsstelle damit beauftragt, Altfälle zu überprüfen: Die Forscher kommen in neun Fällen zu dem Ergebnis, dass die Taten politisch motiviert waren.

Von Antonie Rietzschel

Der Taxifahrer kann nicht mehr bremsen. Der Körper von Falko Lüdtke knallt gegen die Motorhaube des Autos, zerschlägt die Windschutzscheibe, wird hochgeschleudert und bleibt leblos auf der Straße liegen. Zwei Stunden später stirbt Falko Lüdtke im Krankenhaus an einem Lungenriss. Was am 30. Mai 2000 an der Bushaltestelle Spechthausenerstraße in der brandenburgischen Stadt Eberswalde geschah, war jedoch kein einfacher Verkehrsunfall.

Falko Lüdtke, ein Punk mit roten Rastalocken, hatte sich vor dem Aufprall mit Mike B. geprügelt. Der, vorbestraft und damals stadtbekannter Rechtsextremist, versetzte Lüdtke einen Schlag gegen den Brustkorb. Lüdtke verlor das Gleichgewicht und stolperte rückwärts auf die Straße, wo er von dem Auto erfasst wurde.

B. wurde daraufhin unter anderem wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe verurteilt. Doch entgegen der Forderung von Opferverbänden hat das Land Brandenburg den Fall Falko Lüdtke bisher nicht als rechtsextrem motivierte Tat anerkannt. 15 Jahre nach seinem Tod könnte sich das nun ändern.

Forscher überprüfen 24 weitere Verdachtsfälle

Seit Jahren gibt es in Deutschland eine große Diskrepanz zwischen den offiziellen Opferzahlen und Recherchen von Journalisten sowie Verbänden. Die Bundesregierung erkennt zwischen 1990 und 2013 insgesamt 64 Taten als rechtsextrem motiviert an. Zeit und Tagesspiegel zählen jedoch 152 Fälle, die Amadeu-Antonio-Stiftung sogar 184. (Siehe Grafik: Die grünen Fälle sind offiziell als Fälle rechtsextrem motivierter Gewalt anerkannt, die roten nicht. Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung)

Nach Entdeckung des NSU ordnete das Bundesinnenministerium an, unaufgeklärte Tötungen und Tötungsversuche auf rechtsextreme Motive hin zu untersuchen. 746 Fälle aus den vergangenen 23 Jahren mit entsprechenden Anhaltspunkten wurden herausgefiltert. Das Ergebnis sollte eigentlich im zweiten Quartal 2014 vorliegen. Jetzt, Ende Juni 2015, ist immer noch unklar, ob die offizielle Opferstatistik korrigiert werden muss.

In Zugzwang könnte die Bundesregierung jetzt ein Forschungsbericht des Moses Mendelssohn Zentrums der Uni Potsdam bringen, der diesen Montag erscheint und der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Zum ersten Mal hat mit Brandenburg ein Bundesland eine unabhängige Stelle damit beauftragt, die Diskrepanz der Opferstatistiken aufzuarbeiten - und damit das Versagen von Polizei, Justiz und auch Politik zu dokumentieren.

Laut offizieller Statistik starben in Brandenburg seit der Wiedervereinigung neun Menschen aus politischen Gründen. Die Forscher haben 24 weitere Verdachtsfälle neu überprüft. "Wir haben uns jede Tat einzeln angeschaut, ohne feste Kriterien festzulegen", sagt Forschungsleiter Christoph Kopke zur SZ. Das Vorgehen unterscheidet sich damit von dem der Polizei. Diese beurteilt politisch motivierte Straftaten nach Kategorien wie Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft.

Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt verdoppelt sich

Nach Durchsicht der Prozessakten kommen die Forscher zu einem erschreckenden Ergebnis: Nur vier der insgesamt dokumentierten 24 Fälle sind weder politisch motiviert noch von einem rechtsextremen Täter begangen worden. In neun Fällen ist aus Sicht der Forscher eindeutig bewiesen, dass Menschen aufgrund der rechtsextremen Weltanschauung der Täter starben. Damit würde sich die Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Brandenburg fast verdoppeln.

Der Fall Falko Lüdtke sticht heraus. Der damals 22-Jährige hatte keine andere Hautfarbe, sprach keine fremde Sprache. Er war Punk, einer, der Menschen zur Rede stellte - und sich wehrte. Nach seinem Tod fiel es vielen schwer ihn als bloßes Opfer zu sehen. Die Polizei und sogar das Gericht gaben ihm eine gewisse Mitschuld. Dennoch war sein Tod so eindeutig politisch motiviert, dass sich Forschungsgruppenleiter Christoph Kopke fragt, warum er nicht schon längst in der offiziellen Statistik auftaucht. Da bestehe Klärungsbedarf.

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