Freital in Sachsen, das war einmal ein Symbol. Ein Symbol für das Erstarken der Sozialdemokratie, kein Wallfahrts-, aber ein Wohlfahrtsort. Bald 100 Jahre ist das her. Freital, das war zuletzt ein eher leiser Ort im Randschatten von Dresden, eine große, aber auch graue Kreisstadt.
In diesen Tagen nun sieht es so aus, als würde Freital wieder ein Symbol werden, und das ist für seine Einwohner keine gute Nachricht. Die Stadt ist ein Schauplatz für den Kampf für und wider die Willkommenskultur geworden.
Seit Monaten, immer wieder freitags ziehen ein paar der 40 000 Einwohner vor die Unterkunft für Asylbewerber, die mal das Hotel "Leonardo" war, oft gesehener Gast: Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Seit März macht die selbsternannte Bürgerinitiative "Freital wehrt sich - Nein zum Hotelheim" gegen die Unterbringung von Flüchtlingen mobil, der Pegida-Ableger "Frigida" tut dasselbe, eine Bürgerwehr hat sich formiert.
Seit Montag kommt es täglich zu Auseinandersetzungen zwischen Asylgegnern und den Unterstützern der Flüchtlinge, die nach Freital reisen, um sich schützend vor das Heim zu stellen. Manche verbringen die Nacht dort.
Bis auf einige Scharmützel hat die Polizei die Lager bislang trennen können. Gegendemonstranten berichten jedoch von Jagdszenen mit Baseballschlägern, von platten Autoreifen, von Verletzten durch Flaschenwürfe. In dieser aufgeheizten Atmosphäre nun kam am Donnerstag Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nach Freital, für einen eher kursorischen Rundgang durch die Unterkunft und ein Gespräch mit Kommunalpolitikern. Ergebnis? Sowohl als auch. Der "enorme Zustrom" von Geflüchteten sei eine Herausforderung, ja, "völlig inakzeptabel aber sind Drohungen, Hetze und Gewalt" gegen jene, die sich für Flüchtlinge engagierten. Tillich räumte Fehler in der Kommunikation zuständiger Behörden ein, das solle besser werden. Aber, "was passiert ist, das kann man nicht reparieren". Vielleicht, weil Dresden so nah ist und Pegidas Hochzeit noch nicht so lange her, finden die Proteste in Freital mittlerweile bundesweit Aufmerksamkeit. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) warnte am Donnerstag: "Gewaltaufrufe gegen Flüchtlinge sind völlig inakzeptabel." Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), nannte die Lage in Freital "äußerst besorgniserregend".
Weitere 280 Flüchtlinge könnten kommen
Die Übergriffe auf Asylunterkünfte wie Asylbewerber haben laut sächsischem Innenministerium nicht nur zu-, sondern deutlich zugenommen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat es 31 Straftaten im Zusammenhang mit Asylbewerberheimen gegeben. Das geht aus der Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf eine Anfrage der Linken hervor, wie die Sächsische Zeitung berichtet. Im gesamten Vorjahr seien es 44 Übergriffe gewesen. In den Jahren 2012 und 2013 hingegen nur acht beziehungsweise 15 Straftaten.
Das ehemalige Hotel "Leonardo" war bislang für die Unterbringung von etwa 100 Flüchtlingen durch den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge vorgesehen. Am Montag gab die Landesdirektion bekannt, dass in Freital bis zu 280 weitere Asylbewerber unterkommen sollen. Die Anwohner? Fühlen sich überrumpelt, von der Politik hinters Licht geführt. Die Behörde? Sprach von einer "Interimslösung" für die Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz. Wegen der steigenden Zahl der Flüchtlinge sind die Kapazitäten dort ausgereizt.
Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres hat Sachsen laut Landesdirektion 8012 Asylbewerber aufgenommen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 3036. Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Linken im sächsischen Landtag, sagte, es könne nicht angehen, dass zivilgesellschaftliche Kräfte als Feuerlöscher fungieren, wo die verantwortliche Politik versagt habe.
Am Mittwochabend erst, inmitten der Proteste, war ein weiterer Bus mit 40 Flüchtlingen in Freital angekommen. Der Fahrer musste eine Ausweichroute wählen - die Straße zur Unterkunft war durch Fahrzeuge der Polizei abgeriegelt.