Er hat es nicht verlernt. Im hellblauen Hemd, mit hochgekrempelten Ärmeln, steht Barack Obama in der Sporthalle der Virginia Commonwealth University in Richmond und begeistert die Menge. "Virginia, vor vier Jahren haben wir eine Reise begonnen. Dabei ging es nicht nur um einen Wahlsieg", ruft er den 8000 Zuschauern zu. Was ihn und seine Anhänger verbindet, so Obama, das sei die Überzeugung, dass sich jeder in Amerika nach oben arbeiten könne: "Erfolg ist nicht davon abhängig, wer du bist, woher du kommst, wie dein Nachname lautet oder wie du aussiehst."
Unterstützte ihren Mann beim offiziellen Wahlkampfauftakt: Amerikas First Lady Michelle Obama
(Foto: REUTERS)Der Mythos vom amerikanischen Traum, vom Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär, ohne ihn kommt kein US-Politiker aus - und vor allem kein Demokrat, der für seine Wiederwahl die Stimmen von Studenten, Frauen, Latinos und Afroamerikanern braucht.
Die Menge klatscht, Obama genießt den Applaus. Der 50-Jährige blickt zurück auf die dramatische Situation, in der sich das Land befand, als er ins Weiße Haus einzog. Das "Kartenhaus" der Politik von George W. Bush mit Steuersenkungen für die Reichen war kollabiert, Banken taumelten, Amerika war in zwei teure Kriege verwickelt, und befand sich in der größten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren.
"Wir werden dieses Land nach vorne bringen"
Heute sieht die Lage anders aus, betont Obama: "Der Irak-Krieg ist beendet, Bin Laden stellt keine Gefahr für unser Land mehr dar und der Abzug aus Afghanistan hat begonnen." Dank der Gesundheitsreform seien Millionen Amerikaner besser abgesichert und im letzten halben Jahr seien mehr als eine Million neue Jobs entstanden. Auf einem Banner an der Wand steht in Großbuchstaben Obamas neues Wahlkampf-Motto: "Forward." Dem Publikum ruft er zu: "Ich garantiere Euch, wir werden dieses Land nach vorne bringen. Wir werden zu Ende bringen, was wir angefangen haben." Als Dank erntet er donnernden Applaus und laute "Four more years, four more years"-Rufe, viele Fans recken ihm vier Finger entgegen.
Obama klingt selbstbewusst, als er im Stuart C. Siegel Center in Richmond Bilanz zieht. Bilanz zu ziehen, darum geht es an diesem Samstagnachmittag beim offiziellen Beginn seines Wahlkampfs. Der 44. US-Präsident stellt die Erfolge heraus und macht deutlich, dass auch er nicht rundum zufrieden ist. Obama weiß: Der Aufschwung ist fragil, noch immer ist die Arbeitslosenquote mit 8,1 Prozent viel zu hoch, und auf diesem Feld wird ihn Herausforderer Mitt Romney bis zum 6. November ständig attackieren.
Doch ebenso wichtig wie der Rückblick sind die anderen Themen, die Obama und seine Berater in den Mittelpunkt der Rede gestellt haben, um das heikle Wirtschaftsthema zu vermeiden. Viel dreht sich um Gerechtigkeit und Fairness.
Darüber spricht auch First Lady Michelle, die in einem türkisfarbenen Kleid ihren Mann vorstellt. Ausführlich erzählt sie von ihrem Vater: Dieser sei ein einfacher Arbeiter gewesen, der kein College besuchen konnte. Doch ihre Eltern sparten so viel wie möglich, um ihr und ihrem Bruder eine gute Ausbildung zu ermöglichen. "Ich konnte dank Stipendien studieren, doch mein Vater hat geschuftet, um seinen Anteil stets pünktlich überweisen zu können." Sie glaube daran, dass Amerika das Land sei, in dem sich jeder mit Fleiß nach oben arbeiten könne.