Süddeutsche Zeitung

Offizieller Wahlkampfauftakt von US-Präsident Obama:Vorwärts in den Kampf um Amerikas Zukunft

Lesezeit: 6 Min.

An der Seite von Ehefrau Michelle eröffnet Barack Obama den Wahlkampf. Selbstbewusst zieht der Präsident Bilanz: Irak-Krieg beendet, Bin Laden tot, die Wirtschaft wächst. Dennoch brauche er vier weitere Jahre.

Matthias Kolb, Richmond, Virginia

Er hat es nicht verlernt. Im hellblauen Hemd, mit hochgekrempelten Ärmeln, steht Barack Obama in der Sporthalle der Virginia Commonwealth University in Richmond und begeistert die Menge. "Virginia, vor vier Jahren haben wir eine Reise begonnen. Dabei ging es nicht nur um einen Wahlsieg", ruft er den 8000 Zuschauern zu. Was ihn und seine Anhänger verbindet, so Obama, das sei die Überzeugung, dass sich jeder in Amerika nach oben arbeiten könne: "Erfolg ist nicht davon abhängig, wer du bist, woher du kommst, wie dein Nachname lautet oder wie du aussiehst."

Der Mythos vom amerikanischen Traum, vom Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär, ohne ihn kommt kein US-Politiker aus - und vor allem kein Demokrat, der für seine Wiederwahl die Stimmen von Studenten, Frauen, Latinos und Afroamerikanern braucht.

Die Menge klatscht, Obama genießt den Applaus. Der 50-Jährige blickt zurück auf die dramatische Situation, in der sich das Land befand, als er ins Weiße Haus einzog. Das "Kartenhaus" der Politik von George W. Bush mit Steuersenkungen für die Reichen war kollabiert, Banken taumelten, Amerika war in zwei teure Kriege verwickelt, und befand sich in der größten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren.

"Wir werden dieses Land nach vorne bringen"

Heute sieht die Lage anders aus, betont Obama: "Der Irak-Krieg ist beendet, Bin Laden stellt keine Gefahr für unser Land mehr dar und der Abzug aus Afghanistan hat begonnen." Dank der Gesundheitsreform seien Millionen Amerikaner besser abgesichert und im letzten halben Jahr seien mehr als eine Million neue Jobs entstanden. Auf einem Banner an der Wand steht in Großbuchstaben Obamas neues Wahlkampf-Motto: "Forward." Dem Publikum ruft er zu: "Ich garantiere Euch, wir werden dieses Land nach vorne bringen. Wir werden zu Ende bringen, was wir angefangen haben." Als Dank erntet er donnernden Applaus und laute "Four more years, four more years"-Rufe, viele Fans recken ihm vier Finger entgegen.

Obama klingt selbstbewusst, als er im Stuart C. Siegel Center in Richmond Bilanz zieht. Bilanz zu ziehen, darum geht es an diesem Samstagnachmittag beim offiziellen Beginn seines Wahlkampfs. Der 44. US-Präsident stellt die Erfolge heraus und macht deutlich, dass auch er nicht rundum zufrieden ist. Obama weiß: Der Aufschwung ist fragil, noch immer ist die Arbeitslosenquote mit 8,1 Prozent viel zu hoch, und auf diesem Feld wird ihn Herausforderer Mitt Romney bis zum 6. November ständig attackieren.

Doch ebenso wichtig wie der Rückblick sind die anderen Themen, die Obama und seine Berater in den Mittelpunkt der Rede gestellt haben, um das heikle Wirtschaftsthema zu vermeiden. Viel dreht sich um Gerechtigkeit und Fairness.

Darüber spricht auch First Lady Michelle, die in einem türkisfarbenen Kleid ihren Mann vorstellt. Ausführlich erzählt sie von ihrem Vater: Dieser sei ein einfacher Arbeiter gewesen, der kein College besuchen konnte. Doch ihre Eltern sparten so viel wie möglich, um ihr und ihrem Bruder eine gute Ausbildung zu ermöglichen. "Ich konnte dank Stipendien studieren, doch mein Vater hat geschuftet, um seinen Anteil stets pünktlich überweisen zu können." Sie glaube daran, dass Amerika das Land sei, in dem sich jeder mit Fleiß nach oben arbeiten könne.

Und ihr Ehemann macht wenige Minuten später deutlich, dass der Republikaner Mitt Romney für ein anderes Amerika stehe. In scharfen Worten attackiert Obama seinen wahrscheinlichen Herausforderer: Dieser sei zwar ein "Patriot" und guter Familienvater, doch aus seinen Erfahrungen als Geschäftsmann und Gouverneur von Massachusetts habe er die falschen Lehren gezogen.

Es sei ein Irrglaube, dass der Reichtum einiger Weniger dem Rest des Landes zugute komme. Aus hohen Profiten entstünden nicht zwangsläufig bessere Jobs. "Die Republikaner im Kongress wollen genau zu jener Politik der Bush-Jahre aus Sozialkürzungen und Steuersenkungen für Millionäre zurückkehren, die uns in die Misere geführt hat", warnt Barack Obama.

Seitenhieb gegen Mitt Romney

Romney sei bereit, diese Vorstellungen ohne Wenn und Aber umzusetzen. "Wir dürfen ihm nicht die Gelegenheit dazu geben, denn dafür steht viel zu viel auf dem Spiel", donnert Obama unter dem Applaus seiner Anhänger. Für Amerikas Mittelschicht gehe es "um alles oder nichts". Er trete für eine zweite Amtszeit an, weil er das Land modernisieren sowie in Bildung und Infrastruktur investieren wolle. Und in Anspielung auf ein Romney-Zitat versetzt er dem Multimillionär noch einen Seitenhieb: "Egal, wie oft sie es euch sagen werden: Unternehmen sind keine Menschen. Nur Menschen sind Menschen."

Spielend gelingt es Obama, während der 35-minütigen Rede sein Publikum zu unterhalten. Natürlich, alle sind ihm wohlgesonnen und haben stundenlang auf seinen Auftritt gewartet, aber sein Charisma und seine rhetorischen Fähigkeiten sind noch immer einzigartig. Ohne Populismus kommt er nicht aus, etwa wenn er Amerikas Reiche auffordert, ihren "fairen Anteil" beizutragen. Immer wieder kommt Obama darauf zurück, dass jeder seine "faire Chance" erhalten müsse: "Wir messen Wohlstand nicht nur nach dem Bruttosozialprodukt oder nach der Zahl von Milliardären, die wir produzieren. Es geht darum, wie gut es der amerikanischen Durchschnittsfamilie geht und wie weit sie deren Träume und harte Arbeit führen kann."

Dass Obama für den "Presidential Campaign Kickoff" ausgerechnet nach Virginia und Ohio gereist ist, kommt wenig überraschend. Am Mittag hatte er vor 14.000 Zuschauern in Columbus (Ohio) eine ähnliche Rede gehalten: In Ohio liegen der US-Präsident und Herausforderer Romney nahezu gleichauf.

Vor vier Jahren hatte der Demokrat den wichtigen Swing State mit 51 Prozent gewonnen. Sollte er das in dem vom industriellen Niedergang geprägten Staat wiederholen können, wäre ihm die Wiederwahl kaum zu nehmen.

Wenn jedoch Romney in Ohio gewinnt, braucht der Amtsinhaber unbedingt einen Sieg in Virginia. Bevor Obama hier 2008 eine Mehrheit gewann, galt der Staat 44 Jahre lang als republikanische Bastion. Einer aktuellen Umfrage der Washington Post zufolge führt Obama mit sieben Punkten vor Mitt Romney. In Virginia hat das Obama-Lager bereits 15 Bürgerbüros eröffnet. "Wenn wir in Virginia gewinnen, gewinnen wir die Wahl", ruft ein Einheizer während des Vorprogramms, durch das Shaka Smart, der überaus populäre Coach des Basketball-Teams der Virginia Commonwealth University führt. Riesige schwarz-gelbe Fahnen an den Wänden erinnern an die Erfolge der Mannschaft.

Präsident Obama hatte zuletzt seine Vorstellungen zur Bildungs- und Energiepolitik so häufig in Swing States erläutert und war nach offiziellen Terminen bei Fundraiser-Spendengalas aufgetreten, dass ihm die Republikaner vorwarfen, Wahlkampf auf Kosten der Steuerzahler zu machen.

Im Gegensatz zu den offiziellen Auftritten als Präsident auf einem College-Campus können die Mitarbeiter von "Obama For America" während der Wartezeit versuchen, Freiwillige anzuwerben. Vor der Halle stehen Stände, über die Leinwände flimmern Info-Filmchen und alle paar Minuten wendet sich ein Aktivist mit einer neuen Aktion ans Publikum. Erst sollen alle ihre Mobiltelefone zücken und sofort einen Freund anrufen, um diesen zum Mitmachen zu bewegen, später wird das Publikum aufgefordert, "eine SMS mit eurer Postleitzahl an die 62262" zu schreiben - als Antwort gibt es die Adresse des nächsten Obama-Wahlkampfbüros.

Und auch der Präsident weiß, dass es ähnlich wie vor vier Jahren wieder darauf ankommen wird, möglichst viele Freiwillige zu motivieren und perfekt zu organisieren, um gegen die Republikaner zu siegen. "Wir werden diese Wahl auf altmodische Art gewinnen: Tür um Tür, Straßenzug für Straßenzug, Viertel für Viertel", ruft er dem Publikum zu. Seine Anhänger dürften sich durch die Negativkampagne und der Gegenseite nicht verunsichern lassen - der Vorwahlkampf der Republikaner lasse erahnen, dass der Wettbewerb schmutziger als vor vier Jahren werde.

Die Botschaft von "hope und change we can believe in", die 2008 große Teile der Amerikaner und die halbe Welt verzauberten - völlig möchte Obama nicht auf sie verzichten. "In diesem Wahlkampf geht es noch immer um Hoffnung und um Wandel", versichert er in den letzten Minuten seiner Rede. Nichts sei wirkungsvoller als "Millionen Stimmen, die nach Wechsel" riefen, sagt er, und umwirbt damit wohl vor allem die jungen Wähler, die Umfragen zufolge von diesem Wahlkampf lange nicht so begeistert sind wie vor vier Jahren.

Und mit dem für Amerikaner so typischen Pathos fährt Obama fort: "Ich glaube noch immer an euch und ich bitte euch, weiter an mich zu glauben. 2008 habe ich gesagt, dass ich nie ein perfekter Präsident sein werde." Er habe aber versprochen, immer zu sagen, was er denke und jeden Tag so hart wie möglich für sein Volk zu arbeiten. "Dieses Versprechen habe ich gehalten und ich werde es so lange halten, wie ich Euer Präsident sein darf."

Und bevor Barack Obama mit Michelle Hände schütteln und für Fotos posieren wird, greift er noch mal das Thema auf, mit dem er 2004 landesweit berühmt wurde. Damals, auf dem Nominierungsparteitag in Boston, stahl er John Kerry die Show, als er davon sprach, dass sich die USA nicht aufspalten lassen dürfe: "Es gibt kein liberales Amerika und kein konservatives Amerika, es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika".

Und obwohl das Land 2012 extrem polarisiert, seine politische Elite 2012 völlig zerstritten und er selbst das Feindbild für viele Landsleute ist, scheint Obama diese Botschaft der Versöhnung nicht aufgeben zu wollen. "Ich glaube noch immer, dass wir mehr gemeinsam haben als die Experten sagen und wir nicht so zerstritten sind, wie es die Politik vermuten lässt. Wir sind nicht als erstes Demokraten oder Republikaner, sondern wir sind vor allem Amerikaner."

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