Österreich-Kolumne:Verhaberung behindert kritischen Journalismus

Lesezeit: 2 min

Sebastian Kurz im Oktober 2021 bei einem Presse-Statement im Nationalrat, kurz nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler. (Foto: Georges Schneider/imago images/photonews.at)

Durch die Chats von Thomas Schmid wurde in Österreich ein System von "Beziehungspflege" und symbiotischem Verhältnis zwischen Journalismus und Politik öffentlich. Hier wurden rote Linien überschritten.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Im Frühjahr 2013 habe ich im Audimax der Universität Wien vor Publizistikstudierenden eine Vorlesungsreihe in Erinnerung an Theodor Herzl, den österreichisch-ungarischen Journalisten, gehalten. Eines meiner Themen lautete damals: "Wieso sind Österreichs Journalisten und Politiker so verhabert?" Verhaberung beschreibt die typisch österreichische Form der Freunderlwirtschaft. Jeder kennt jeden. Viele Journalistinnen und Journalisten sind mit Politikern per Du. So entsteht eine Nähe mit Beißhemmung.

Das ist nicht neu. Kurt Vorhofer, langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung und Namensgeber eines renommierten Journalistenpreises, beschrieb dieses Verhältnis 1994 so: "Sicherlich gibt es keine allgemein gültige Formel für die Beziehungspflege zwischen Politikern und Journalisten. Die Realität ist hier sehr bunt, und in gewissen Fällen mag es auch so etwas wie eine Symbiose geben."

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Was aber an "Beziehungspflege" in den vergangenen Monaten und vor allem in dieser Woche durch die Chats von Thomas Schmid, dem früheren Vertrauten von Sebastian Kurz, mit Rainer Nowak, dem Chefredakteur der Wiener Tageszeitung Die Presse, öffentlich wurde, geht weiter, als zumindest mir bislang bekannt war. Hier sind rote Linien überschritten worden. Die Veröffentlichungen offenbaren ein System wechselseitiger Begünstigung von Politik und Journalismus, das jegliche professionelle Distanz vermissen lässt und auch mit Eitelkeiten nicht zu entschuldigen ist. Es zeigt, dass ein Teil der führenden Journalisten und Verleger in Österreich nicht anders tickt als viele Spitzenpolitiker.

Eine Systemänderung ist nicht erwünscht

In vielen Ländern würde man das, was in Österreich System hat, Korruption nennen. Die durchaus üppigen Mediensubventionen des Staates, für die Steuerzähler aufkommen und die Politiker verteilen, fördern dies. Daran ändert die Novelle zum Medientransparenzgesetz nichts; auch wenn Verbesserungen wie die Veröffentlichungspflicht von Werbeausgaben ab dem ersten Euro enthält. Medienkorruption - Inserate gegen wohlwollende Berichterstattung - ist weiter möglich. Grundlegende Änderungen werden nicht angestrebt. Und zwar von beiden Seiten nicht. Dazu trägt bei, dass manche Chefredakteure in Österreich gleichzeitig die Geschäftsführer ihrer Zeitungen sind und neben publizistischer auch kommerzielle Verantwortung tragen.

Ein Teil der Journalisten lässt nach wie vor mangelnde Distanz erkennen. Das ist erst kürzlich wieder am Beispiel von Sebastian Kurz deutlich geworden, der auf sämtlichen Kanälen sein mit einer Krone-Journalistin verfasstes Buch "Reden wir über Politik" präsentieren durfte. Mehr noch: Jene handverlesenen Journalisten, die Kurz jüngst zum Vortrag seines heimlich aufgenommenen Telefonats eingeladen hatte, tanzten tatsächlich an und rapportierten brav des Ex-Kanzlers Version der Geschichte.

In österreichischen Medien wird zu Recht kritisiert, dass die ÖVP unter dem aktuellen Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer das Thema Korruption nicht aufarbeitet. Anlass zur Selbstkritik gäbe es aber auch bei Medienvertretern, die ihr Verhältnis zur Macht hinterfragen sollten. "Das System der Verhaberung behindert kritischen Journalismus", sagte ich bei der Herzl-Vorlesung 2013. Diese Beschreibung gilt noch immer.

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