Österreich-Kolumne:Wohltuend anders

Lesezeit: 3 min

Der 17. Bundeskanzler von Österreich: Karl Nehammer von der ÖVP. (Foto: Lisa Leutner/AP)

Österreich hat in Karl Nehammer schon wieder einen neuen Bundeskanzler. Plötzlich sind auch kritische Stimmen erlaubt. Was ist mit der von Sebastian Kurz verordneten Message Control passiert?

Von Alexandra Föderl-Schmid

Es geht auch anders. Der neue Bundeskanzler Karl Nehammer pflegt zumindest bei seinen ersten Auftritten in dieser Woche einen wohltuend anderen Stil als sein Vorvorgänger Sebastian Kurz. Er setzt sich mit seiner nüchtern-pragmatischen Art auch von dessen kurzzeitigem Platzhalter Alexander Schallenberg ab, der zum Auftakt mit Honneurs in Richtung Kurz und rüdem Verhalten gegenüber der Opposition Aufsehen erregte.

Statt egozentrischen "Ich habe dieses und jenes veranlasst und erreicht"-Ankündigungen mit wohl gesetzten Botschaften, die vorab auf Marketing-Tauglichkeit geprüft wurden, steht nicht mehr die beste Darstellung im Mittelpunkt. Von den "Die Pandemie ist gemeistert"-Lügen seines Vorvorgängers distanzierte sich Nehammer deutlich. Es geht um Inhalte und vor allem: um das Gemeinsame.

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Bei seinen ersten Auftritten als Kanzler bei den Pressekonferenzen und im Nationalrat hat der ÖVP-Politiker dieses Wort nicht nur mindestens zwanzig Mal gebraucht und betont, das Vorgehen in der Corona-Pandemie passiere "eng abgestimmt mit der Wissenschaft und der Opposition".

Der ehemalige Berufssoldat zeigt sich in seiner Rolle fast locker

Explizit bedankte sich Nehammer nicht nur beim grünen Koalitionspartner, sondern auch bei den Chefinnen der Oppositionsparteien Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (Neos). Das ist wohltuend, das ist anders. Der als Innenminister eher hölzern und gestelzt auftretende ehemalige Berufssoldat zeigt sich in seiner neuen Rolle als Regierungschef fast locker.

Es waren nicht nur neue Töne, in denen Nehammer das "Aufeinanderzugehen" beschwor, dem sich nur der als Impftroll gebärdende FPÖ-Chef Herbert Kickl verschließt. Er ließ den Worten Taten folgen: Dass bei der Pressekonferenz, bei der es um die weitere Vorgangsweise nach dem am 22. November verhängten allgemeinen Lockdown ging, nicht nur Michael Ludwig und Günther Platter als Vertreter der Bundesländer Wien und Tirol präsent waren, sondern in Eva Schernhammer auch eine Epidemiologin ihre durchaus abweichende Sicht vortragen konnte, zeigt: Hier gibt jemand sogar Kritik Raum. Und siehe da: Das von Kurz verordnete Message Control gilt nicht mehr.

Neu ist auch, dass die Zuständigkeit für die Medien seit der jüngsten Regierungsumbildung nicht mehr im Kanzleramt angesiedelt ist, sondern nun zum in das von Susanne Raab (ÖVP) geführte Ministerium für Frauen, Integration und Familie gehört.

Dem neuen Bundeskanzler fehlt der bei Kurz - wie auch bei Donald Trump oder Benjamin Netanjahu - ausgeprägte Narzissmus, der auf Wirkung setzt und auch Einfluss auf seinen populistischen Regierungsstil hatte. Es gibt das Sprichwort: Erst wenn man etwas verliert, weiß man, was man daran hat. Im Falle Kurz ist es umgekehrt, da merkt man, was alles nicht vorhanden war. Durch den Kontrast zu seinem Nachfolger wird noch deutlicher, welch politischer Phrasendrescher und Blender Kurz war.

Nehammer ist eine Art österreichischer Olaf Scholz

Nehammer ist eine Art österreichischer Olaf Scholz, beide können nicht gerade als Charismatiker gelten. Während sich in Deutschland, das diese Woche den Machtwechsel von Angela Merkel zu Scholz in nüchterner Unaufgeregtheit durchzog, vom Stil her wenig ändern dürfte, zeigt sich in Österreich: Eine andere Person an der Spitze kann sehr viel verändern.

Nehammer will die Bühne auch nicht alleine beanspruchen. Bei der Vorstellung der Details der Impfpflicht überließ er Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein von den Grünen und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Präsentation. Auch das zeigt: Hier nimmt sich jemand nicht so wichtig.

Dieser neue Stil scheint sogar abzufärben: Denn Edtstadler, die sich mit ihrer oft verbissenen Verteidigung von Kurz wie eine ÖVP-Domina gerierte, versuchte plötzlich, mit einschmeichelnden, gut gewählten Worten Impfgegner zu überzeugen, und überschlug sich fast vor Freude, dass auch Neos-Chefin Meinl-Reisinger bei der gemeinsamen Pressekonferenz anwesend war. Die Oppositionspolitikerin wiederum nutzte das Podium für Kritik an den Versäumnissen der Regierung bei der Pandemiebekämpfung, gab aber gleichzeitig eine Unterstützungserklärung für die Umsetzung der allgemeinen Impfpflicht von Februar an ab.

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Ab Februar gilt in Österreich die Impfpflicht für alle über 14 Jahre. Wer sich entzieht, muss mit einer Geldstrafe rechnen, allerdings besteht die Möglichkeit, sich aus einer Strafe "herauszuimpfen".

Von Alexandra Föderl-Schmid

Es wird sich zeigen, ob der neue Stil nachhaltig ist

Meinl-Reisinger konnte überzeugend darlegen, warum sie selbst ihre Meinung zur Impfpflicht geändert hat. Sie hat damit demonstriert, dass eine Oppositionspartei bereit ist, in schwierigen Zeiten Verantwortung zu übernehmen - ohne eigene kritische Positionen der Regierung gegenüber aufzugeben.

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner, die ihr Fernbleiben bei der Pressekonferenz trotz Unterstützung der Impfpflicht damit begründete, dass es der SPÖ um Inhalte, "nicht um irgendeine Inszenierung" gehe, vergab eine Chance - wieder einmal. Sie hätte ihre Expertise als Epidemiologin einbringen und der Öffentlichkeit darstellen können.

Friede, Freude, Adventsstimmung ist in Wien dennoch nicht eingezogen - was nicht nur an den nicht geöffneten Punschständen in diesem Jahr liegt. Aber die ÖVP unter Bundeskanzler Nehammer scheint willens zu sein, eine Koalition der Willigen und Vernünftigen zum Zwecke der Pandemiebekämpfung zu schmieden. Erst wenn die Bewältigung dieser Krise nicht mehr alle Kräfte braucht, wird sich zeigen, ob dieser neue Stil tatsächlich nachhaltig ist.

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