Österreich-Kolumne:Mehr als ein Ersatzkaiser

Lesezeit: 3 min

Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist mehr gefordert wie keiner seiner Vorgänger. (Foto: Helmut Fohringer/dpa)

Seit Auffliegen der Ibiza-Affäre zeigt sich immer wieder, wie wichtig das Amt des Bundespräsidenten ist. Diese Woche wurde Alexander Van Der Bellen sogar zum Exekutor.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Es tut sich etwas im ehemaligen Schlafgemach von Maria Theresia, der Herrscherin aus dem Hause Habsburg, die 40 Jahre lang weite Teile Europas regierte. Denn dort, wohin sich einst in der Wiener Hofburg die Regentin mit ihrem Mann Franz Stephan - mit dem sie 16 Kinder hatte - zurückzog, ist nun das Zeremonienzimmer der Republik. 75 Meter ist der rote Teppich lang, über den jeder schreiten muss, ehe man in diesem imposanten Raum landet. Hier werden Staatsgäste empfangen, Pressekonferenzen abgehalten und Bundesregierungen angelobt, wie das in Österreich heißt. Eine Regierung startet also mit Vorschusslorbeeren, schließlich steckt das Wort Lob in diesem Begriff.

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Ob die im Fall der aktuellen Regierung gerechtfertigt waren, daran dürfte zumindest der derzeitige Hausherr zweifeln. Es gab noch keinen Bundespräsidenten, der im Amt so gefordert war wie Alexander Van der Bellen ( Lesen Sie hier ein Porträt.) Es gab noch nie ein Staatsoberhaupt, das so oft verkünden musste, hier werde "Neuland betreten" - juristisch und politisch. Es passiert tatsächlich Historisches seit dem Auffliegen der Ibiza-Affäre, und das in kurzen zeitlichen Abständen: zum ersten Mal ein geglücktes Misstrauensvotum gegen eine Regierung, dann die Nominierung eines Expertenkabinetts mit der ersten Bundeskanzlerin an der Spitze und nun die Weigerung eines Regierungsmitglieds, Akten an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss auszuliefern.

"Es steht Aussage gegen Aussage", sagt der Bundespräsident

In dieser Woche wurde der Bundespräsident zum Exekutor. Denn Exekution heißt im österreichischen Beamtendeutsch das, was Alexander Van der Bellen anordnen musste: dass ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zwangsweise umgesetzt wird. Es richtet sich gegen Finanzminister Gernot Blümel, der sich monatelang weigerte, dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Ibiza-Affäre Dokumente zur Verfügung zu stellen. Auch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs dazu ignorierte der Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Erst nach einer öffentlichen Aufforderung durch den Bundespräsidenten ist der ÖVP-Politiker Anfang Mai der Lieferung nachgekommen - binnen wenigen Stunden wurden Papiere in 204 Ordnern in 30 Kartons dem Parlament zugestellt.

Aber ob die Akten vollständig sind, wie Blümel erklärt, oder nicht, wie die Opposition behauptet, müsste nun der Bundespräsident klären: "Es steht Aussage gegen Aussage", sagt Van der Bellen und hat nun - auch das ein Novum - das Wiener Straflandesgericht mit der Klärung beauftragt. Ein Zufallsgenerator bestimmte eine Richterin, die nun einen Wettlauf gegen die Zeit startet: Denn am 15. Juli läuft die Frist für die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuss ab. Eigentlich eine mission impossible, in diesem Zeitraum festzustellen, ob tatsächlich alle Akten geliefert wurden. Lesen Sie hier mehr dazu.

Die Grünen jedoch, die sich im Ausschuss als Aufklärer positionieren, aber dem Koalitionspartner ÖVP die Treue halten wollen, stemmen sich gegen eine Verlängerung. Und so werden wohl Akten, die mühevoll unter Beiziehung der Verfassung herbeigeschafft wurden, wie vorgeschrieben vernichtet werden, wenn der Ausschuss seine Arbeit im Herbst einstellen muss. Um dann im nächsten Jahr, wenn die Opposition, wie angekündigt, den Untersuchungsausschuss wieder einsetzen will, erneut angefordert zu werden - womit alles wieder von vorne beginnen dürfte.

Nächstes Jahr läuft die Amtsperiode ab

Langweilig wird es in der Hofburg nicht. Und Alexander Van der Bellen wird sich vermutlich überlegen, ob er sich das weiter antut, auch wenn der ehemalige Grünen-Chef und seine Frau Doris Schmidauer erkennbar Spaß an der Aufgabe - auch am Repräsentieren - gefunden haben. Im nächsten Jahr läuft die Amtsperiode des 77-Jährigen ab. In Österreich gibt es eine Direktwahl und davor einen Wahlkampf, der hart und lang werden kann, wie die Auseinandersetzungen 2016 gezeigt haben.

Eines wurde jedenfalls in den vergangenen Monaten deutlich: wie wichtig es ist, einen Bundespräsidenten zu haben. Immer wieder wurde die Abschaffung des höchsten Staatsamtes gefordert - etwa von FPÖ-Chef Jörg Haider oder dem damaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll. Die ÖVP ist für eine Entmachtung des Bundespräsidenten eingetreten, auch SPÖ und Grüne wollten seine Kompetenzen schmälern. Selbst Juristen waren sich weitgehend einig, dass eine Verfassungsbestimmung wie jene der Exekutionsmöglichkeit, die dem Bundespräsidenten zusteht, nie zum Einsatz kommen wird - sie wurden am Donnerstag eines Besseren belehrt.

Der Bundespräsident ist also mehr als ein Ersatzkaiser. Immer wenn er die berühmte Tapetentür öffnet, die direkt von seinem Büro ins Maria-Theresien-Zimmer führt, weiß jeder: Jetzt wird es ernst, es gibt Entscheidendes zu verkünden, oder es werden neue Regierungsmitglieder angelobt. Und vielleicht gibt es auch einmal eine Bundespräsidentin, auf die dann Maria Theresia von ihrem Ölgemälde im Zeremoniensaal huldvoll herabschauen kann. Maria Theresia selbst blieb in der mehr als 600 Jahre währenden Habsburger-Ära die einzige Regentin.

Diese Kolumne erscheint am 25. Juni 2021 auch im Österreich-Newsletter , der die Berichterstattung zu Österreich in der SZ bündelt. Gleich kostenlos anmelden .

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