Kirchen:Kommt die Ökumene doch noch in Fahrt?

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Das Denkmal für Martin Luther in Wittenberg. Die beiden Kirchen sind oft mehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie aufeinander zugehen. (Foto: Axel Schmidt/Getty Images)

Das Verhältnis von katholischer und evangelischer Kirche ist kompliziert. Nach der guten Stimmung 2017 war die Ökumene zuletzt erlahmt. Nun gibt es neue Impulse.

Von Annette Zoch

"Es ist kompliziert." So lässt sich wohl das Verhältnis der christlichen Konfessionen in Deutschland zueinander angemessen beschreiben. Von "Gefühlsschwankungen" spricht Miriam Rose, Professorin für Systematische Evangelische Theologie an der Uni Jena. "Doch wir wollen uns von diesen Gefühlsschwankungen nicht mehr so stark bestimmen lassen", sagt sie. Rose ist Mitautorin eines neuen Papiers, das die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Donnerstag gemeinsam vorgestellt haben. Es gehe darum, sich von Rückschlägen im ökumenischen Verhältnis nicht mehr so leicht irritieren zu lassen. "Wir wollen enttäuschungsresistenter werden", sagt Rose.

Das Papier sei keine neue dogmatische Verständigung und kein konkreter Aktionsplan, aber es soll den Stand und die mögliche Zukunft der Ökumene beschreiben. Angesichts von Kirchenaustritten, Krisen und Spardruck soll das Thema Ökumene "nicht unter die Räder geraten", sagt Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau und Mitglied im Rat der EKD.

Uneins bei den Themen assistierter Suizid und Abtreibung

Doch zuletzt war gerade dieser Eindruck entstanden. Jede Kirche war in den vergangenen Jahren vor allem mit sich selbst beschäftigt, und es verfestigte sich zunehmend der Eindruck, dass die Zusammenarbeit ins Stocken geraten war. So hatte die EKD im vergangenen Jahr angekündigt, aus dem Format "Woche für das Leben" auszusteigen, einer gemeinsamen Aktionswoche für den Schutz des menschlichen Lebens. Auch bei wichtigen ethischen Fragen wie dem assistierten Suizid und Abtreibung vertraten katholische und evangelische Spitzenvertreter zuletzt teils unterschiedliche Positionen.

Vor gar nicht so langer Zeit sah die Lage noch ganz anders aus, da herrschte ökumenische Hochstimmung: Unter dem Motto "Erinnerung heilen" hatten Protestanten und Katholiken im Jahr 2017 zum ersten Mal gemeinsam das Reformationsjubiläum gefeiert, 500 Jahre, nachdem Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll.

Der Gottesdienst in St. Michaelis in Hildesheim, einer sogenannten Simultankirche, die von Protestanten und Katholiken gleichermaßen genutzt wird, galt im Reformationsjahr 2017 als wegweisend in der Annäherung zwischen den Konfessionen.

Joachim Gauck sprach von "geistlichem Wunder"

Katholiken und Protestanten erinnerten in dem Gottesdienst daran, was sie einander über die Jahrhunderte hinweg angetan hatten, und baten gegenseitig um Vergebung. In einer gemeinsamen Predigt hatten der damalige EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, die Einheit der Christen beschworen. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck sagte, zu den vielen politischen Wundern, die er erlebt habe, sei nun ein "geistliches Wunder hinzugekommen".

Auch Papst Franziskus hatte bereits ökumenische Maßstäbe gesetzt, als er 2016 im schwedischen Lund am Gottesdienst des Lutherischen Weltbundes teilgenommen und Martin Luther gewürdigt hatte: "Dankbar erkennen wir an, dass die Reformation dazu beigetragen hat, die Heilige Schrift mehr ins Zentrum des Lebens stellen zu wollen", sagte Franziskus damals. Es waren ganz andere Töne als in der ökumenischen Eiszeit, als Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation den Kirchen der Reformation im Papier "Dominus Jesus" abgesprochen hatte, "Kirchen im eigentlichen Sinne" zu sein.

Doch turbulente Beziehungen schlauchen irgendwann beide Partner. Für mehr Gelassenheit, mehr Nüchternheit und mehr Pragmatismus im Umgang miteinander plädieren deshalb nun die katholische und die evangelische Kirche in dem Papier. Vor allem wollen sie bereits jetzt erreichte ökumenische Schritte mehr wertschätzen. "Prozessorientierte Ökumene" heißt das dann etwas technisch.

Vielfalt als Ressource, mit der man wuchern könne

Als Beispiele werden da der an vielen Orten bereits praktizierte konfessionell-kooperative Religionsunterricht genannt oder die gemeinsame Taufliturgie der katholischen Erzbistümer Paderborn und Essen und der evangelischen Landeskirchen Lippe, Westfalen und Rheinland - oder auch die ökumenisch verantwortete Bahnhofsmission. Dies sei eben kein Stückwerk, sondern habe jetzt schon eine theologische Bedeutung, so Rose.

Man werde der Ökumene nicht gerecht, wenn man sich immer nur auf Stolpersteine konzentriere, sagte der Magdeburger katholische Bischof Gerhard Feige. "Trotz Unterschieden in manchen ethischen Einzelfragen gibt es in zentralen Themen der Ethik wie in der Friedensfrage und in den Themen von Umwelt und Bildung eine breite Übereinstimmung", sagt Feige. Der katholische Theologe Thomas Söding, der ebenfalls an dem Text mitgeschrieben hat, verweist auf die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung. Gerade die Kirchen könnten helfen, Vielfalt als Ressource zu entdecken. Sie sei kein Problem, das es zu lösen gelte, sondern ein Pfund, mit dem man wuchern könne.

Ungelöst bleibt weiterhin einer der dicksten Knoten in der Ökumene: Ein gemeinsames Abendmahl wird es vorerst nicht geben. Fünf Jahre ist es her, dass der Ökumenische Arbeitskreis im Papier "Gemeinsam am Tisch des Herrn" versucht hat auszuloten, wie gemeinsame Mahlfeiern möglich sind. Dies scheiterte aber am Ende am Widerstand aus Rom.

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