NSA-Affäre in Frankreich:Der Präsident ist empört

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Nach den Enthüllungen über den US-Lauschangriff geißelt Frankreichs Präsident Hollande die NSA-Praktiken als "Machenschaften". Doch zugleich will er weitermachen, als sei nichts geschehen.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Präsident macht eine böse Miene, böse Miene zum bösen Spiel. Demonstrativ verärgert blickt François Hollande am Dienstagmorgen in die Runde, als er im Sitzungssaal des Élysée-Palastes den "Conseil de Défense" - sein Sicherheitskabinett - um sich versammelt: Krisensitzung. Das präsidentielle Protokoll hat ein paar Fernsehkameras Zutritt gewährt ins Zentrum der Macht. Die TV-Bilder sollen aller Welt beweisen, wie ernst das Staatsoberhaupt die Lage nimmt.

Ernst, bitter ernst sogar klingen dann auch einige Zeilen, die Frankreichs Präsidentschaft eine knappe Stunde später per E-Mail verbreitet: "Inakzeptabel", so heißt es da, seien jene "Tatsachen", welche die Tageszeitung Libération und andere Medien am Abend zuvor auf der Basis von Wikileaks-Dokumenten ausgebreitet hatten: Dass nämlich Amerikas Auslandsgeheimdienst NSA im Zeitraum von 2006 bis 2012 der Reihe nach drei Präsidenten (und obendrein mehrere Minister und Spitzenbeamte) ausgespäht hat. Der Palast gibt sich indigniert, im Namen der Nation: "Frankreich wird keinerlei Machenschaften tolerieren, die seine Sicherheit oder den Schutz seiner Interessen infrage stellen."

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Das ist die eine, die trotzig-kämpferische Variante, mit der das politische Frankreich auf die Enthüllungen reagiert. Auf "Espionnage Élysée", wie Wikileaks sein neuestes Dossier nennt. Mancher in Paris schäumt gar vor Wut: Yves Pozzo di Borgo zum Beispiel, ein liberaler Senator aus Paris, hat am Morgen in Libération gelesen, dass im obersten Stockwerk der amerikanischen Botschaft gleich neben der Place de la Concorde allerlei Hightech und Spezialmikrophone versteckt seien, mit denen die US-Profis vom Special Collection Service (SCS) in Ministerien hineinhorchen könnten. Für Kenner der Spionageszene ist das keine wirkliche Neuigkeit.

Nun aber will, ja kann Pozzo di Borgo solcherlei Zustände nicht länger ertragen. Er fordert Taten, und zwar drastische: "Wenn Frankreich sich selbst achten würde", twittert der Senator, "würde es jenen Teil der US-Botschaft, in dem abgehört wird, zerstören lassen." Von heiligem Zorn überwältigt ist auch Jean-Pierre Mignard, ein enger persönlicher Freund von François Hollande: Als "angemessene Antwort" auf die Horch&Guck-Aktionen der NSA plädiert der prominente Rechtsanwalt am Mittwochmorgen dafür, Amerikas Staatsfeinden Nummer eins und zwei - dem Whistleblower Edward Snowden und dem Wikileaks-Mitgründer Julian Assange - endlich Asyl in Frankreich zu gewähren.

Nur, es gibt auch andere, leisere Töne. Manchmal sogar aus identischer Quelle, auch aus dem Élysée. Im selben Kommuniqué nämlich, in dem François Hollande "die Machenschaften" der Amerikaner geißelt, steht ebenso, dass Frankreich keineswegs überrascht sei von den neuen Enthüllungen. Schon Ende 2013 war bekannt geworden, dass die NSA binnen eines Monats bis zu 70 Millionen (!) französische Telefondaten gespeichert hatte.

Darüber hatte der französische Präsident seinerzeit beim Besuch in den USA im Februar 2014 mit Barack Obama gesprochen, und der Amerikaner hatte Abhilfe versprochen. "Die amerikanische Seite hatte Zusagen gemacht", erinnert der Élysée-Palast, "diese müssen strikt eingehalten werden." Dasselbe sagt Hollande seinem Amtsbruder noch am Mittwoch persönlich. Unverblümt, in einem verschlüsselten Telefonat. Man hat mithin Routine.

Stéphane Le Foll, Frankreichs Regierungssprecher, wirkt fast gelangweilt, da er am Mittwochmittag die Journalisten jovial belehrt, Amerikas Machenschaften würden "keine Krise" vom Zaun brechen: "Wir sind unter großen Nationen, unter großen Ländern - wir haben Verantwortung in der Welt." Will sagen: Wir sind erwachsen. Und nicht naiv.

Natürlich wussten die Franzosen, dass der Große Bruder in Washington immer mithört. Exakt das steht ja, indirekt zumindest, in einem der jetzt geleakten NSA-Dokumente, die Amerikas Umgangsformen mit seinen engsten Alliierten offenbaren. Mit Datum vom 24. März 2010 schildert eine Lageanalyse ("TOP-SECRET"), wie enttäuscht der damalige Präsident Nicolas Sarkozy über Frankreichs ältesten Verbündeten war. Unmittelbar vor einem Sarkozy-Besuch in Washington hörte die NSA zu, wie Frankreichs damaliger Botschafter Pierre Vimont und Sarkozys diplomatischer Berater Jean-David Levitte die Begegnung ihres Chefs mit Barack Obama besprachen.

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Die Aufregung über den US-Lauschangriff auf Frankreich ist scheinheilig: Das Problem ist nicht, dass Geheimdienste andere Regierungen abhören. Das Problem ist, dass ihnen Ausländer als vogelfrei gelten.

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"Der französische Präsident will seine Frustration zum Ausdruck bringen, dass Washington sich dem Vorschlag für eine bilaterale Zusammenarbeit der Geheimdienste entzieht", heißt es in dem US-Memo. Sarkozy wollte mit der Supermacht einen Nicht-Abhör-Pakt schließen. Warum Obama die Idee ausschlug, wussten die beiden Diplomaten laut NSA sehr genau: "Gemäß der Deutung von Vimont und Levitte ist das Haupthindernis, dass die USA weiterhin in Frankreich spionieren wollen."

Ungewollt gereichen die NSA-Analysen zum Beweis, wie gut Amerikaner und Franzosen sich verstehen - auch und gerade, wenn Paris und Washington unterschiedlicher Meinung sind. Große Staatsgeheimnisse enthüllen die Papiere nicht, vielleicht ein paar kleine. Das gilt auch für das Protokoll einer "abgefangenen Kommunikation", von der die NSA 2008 berichtet. Damals brachen die Börsen ein, Banken drohte die Pleite. Da notierte der Geheimdienst, dass Sarkozy es "als seine Verantwortung gegenüber Europa und der Welt betrachtet, die Weltfinanzkrise zu lösen". Und weiter: Der Franzose halte sich "für den Einzigen", der dies könne. Doch ähnliche Charakterbeschreibungen konnte man damals überall in Frankreichs Presse lesen.

Auch die Enthüllungen über die beiden anderen abgehörten Präsidenten dürften aus Sicht der Regierung in Wahrheit keine großen Dramen sein. Jacques Chirac wird im Dezember 2006 belauscht, wie er mit seinem damaligen Außenminister Philippe Douste-Blazy Pläne ausheckt, um wichtige Posten in der UN-Hierarchie mit Wunschkandidaten zu besetzen. Und sechs Jahre später gerät François Hollande ins Visier, der sich schon damals Sorgen um ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro machte. Nebenbei erfährt man, dass Hollande seinen Antrittsbesuch bei Angela Merkel als "reine Show" und "ohne jede Substanz" empfunden habe.

Und so geht nach all den Protest-Salven gen Washington das politische Paris zum Alltag über: Die Nationalversammlung verabschiedet am Mittwoch ein Gesetz, dass den sechs eigenen Geheimdiensten großzügige Lizenzen zum Abhören einräumt. Ganz nach amerikanischem Vorbild.

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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