Syrien:Hunderte IS-Anhänger offenbar aus Gefangenenlager geflohen

Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien

Ein türkischer Polizeiwagen fährt entlang der Grenze zu Syrien in der Provinz Sanliurfa.

(Foto: Lefteris Pitarakis/dpa)
  • Mehr als 700 IS-Sympathisanten sind nach Angaben von kurdischen Behörden aus einem Gefangenenlager im Norden Syriens geflohen.
  • Ein Großteil des Wachpersonals sei wegen des Einmarschs türkischer Truppen abgezogen worden.
  • Kanzlerin Merkel fordert einen Stopp der türkischen Offensive. US-Präsident Trump verteidigte indessen den Abzug seiner Truppen aus der Region, durch den der Einmarsch erst möglich geworden war.
  • Bei einer Demonstration gegen die türkische Offensive in Stuttgart kommt es zu Ausschreitungen.

Im umkämpften Nordosten Syriens sind nach Angaben von syrischen Kurden mehr als 700 Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus einem Lager geflohen. Die Festgehaltenen hätten die Tore des Camps in Ain Issa am Sonntag angegriffen und seien entkommen, berichteten die syrisch-kurdischen Behörden. Während ihrer Flucht kam es demnach zu Gefechten und türkischen Luftangriffen in der Nähe.

Nach Angaben der Kurden habe die türkische Militäroffensive die Flucht möglich gemacht: Ein Anführer des kurdisch geführten Rebellenbündnisses SDF, gegen das sich die türkische Offensive richtet, sagte, es gebe schlicht nicht genug Wachpersonal, nachdem Kämpfer an die Front beordert worden seien. Weitere Sicherheitskräfte seien nach dem Beschuss durch das türkische Militär weggelaufen. In Ain Issa, das in der Nähe der ebenfalls umkämpften Stadt Tel Abjad liegt, gebe es nur noch 60 bis 70 Sicherheitskräfte, normalerweise seien es etwa 700.

In dem Lager waren zuletzt annähernd 12 000 Menschen untergebracht, darunter nahezu 1000 ausländische Frauen mit Verbindungen zum IS und deren Kinder. Die syrischen Kurden standen im Kampf gegen die Terrormiliz an der Seite der USA. Seit Washington seine Truppen aus der Region abzieht, droht die Lage zu eskalieren. Kurz nach dem Vorstoß türkischer Soldaten nach Nordsyrien hatten die Kurden bereits gewarnt, dass sie die Haftlager möglicherweise nicht länger kontrollieren können.

Die Kämpfe nähern sich der türkischen Grenze auf bis zu 30 Kilometer

Am Mittwoch war die Türkei nach Syrien einmarschiert. Ankaras Ziel ist, die von ihr als Terroristen eingestuften syrischen Kurden aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Luftangriffe und Kämpfe breiten sich mittlerweile auf bis zu 30 Kilometer südlich der türkisch-syrischen Grenze aus. International wird die Offensive größtenteils verurteilt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Stopp der Militäroffensive aufgefordert. Die Kanzlerin habe sich am Sonntag in einem Telefonat mit Erdogan für eine "umgehende Beendigung der Militäroperation" ausgesprochen, teilte eine Regierungssprecherin mit. Ungeachtet berechtigter türkischer Sicherheitsinteressen drohe diese zur Vertreibung größerer Teile der lokalen Bevölkerung, zur Destabilisierung der Region und zum Wiedererstarken des IS zu führen. Erdogan betonte indessen, dass die Türkei ein Nato-Partner sei, die Kurdenmiliz YPG, gegen die sich die Militäroffensive richtet, sei dagegen eine "Terrororganisation". An den Westen gerichtete sagte er: "Seid Ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terrororganisation?"

130 000 Menschen sind aus Nordsyrien geflohen

US-Präsident Donald Trump verteidigte am Samstag noch seine Entscheidung, die amerikanischen Soldaten aus Nordostsyrien abzuziehen. Die Vereinigten Staaten könnten nicht "endlose" Kriege kämpfen, sagte er. Den Nahen Osten stellte er als hoffnungslosen Fall dar, obwohl die USA dort seit Jahren Militär und Geld investieren. "Es ist jetzt weniger sicher, weniger stabil und sie kämpfen. Das ist, was sie machen. Sie kämpfen." Zugleich kündigte Trump Notfallhilfe in Höhe von 50 Millionen Dollar für Syrien an, um Christen und andere religiöse Minderheiten dort zu unterstützen.

Mindestens 130 000 Menschen sind derweil wegen der türkischen Offensive aus Nordostsyrien geflohen, wie die Vereinten Nationen meldeten. In der nach Beschuss beschädigten Stadt Hasaka können demnach Techniker nicht auf eine Wasserpumpstation zugreifen. Damit hätten 400 000 Menschen Probleme, an Wasser zu kommen - 82 000 davon in Flüchtlingslagern. Die kurdisch geleitete Verwaltung in der Region warnte vor einer humanitären Katastrophe. Wegen der Gefechte kämen weniger Hilfsmittel in die Region.

In Deutschland protestierten kurdische Demonstranten am Sonntag in mehreren Städten gegen die türkische Militäroffensive. In Stuttgart kam es dabei zu Ausschreitungen. Mehrere Polizisten seien durch Böller sowie Tritte und Schläge leicht verletzt worden, sagte ein Sprecher des örtlichen Polizeipräsidiums. Ein Beamter, der am Helm durch einen geworfenen Gegenstand - wahrscheinlich ein Stein - getroffen wurde, musste den Angaben zufolge im Krankenhaus behandelt werden.

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