Nordmazedonien:Künftig regieren die Nationalisten

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Wahlsieger Hristijan Mickoski (rechts), neben Gordana Siljanovska-Davkova, die die Wahl um das Präsidentenamt gewann. (Foto: Boris Grdanoski/AP)

Die europafreundlichen, aber korrupten Sozialdemokraten sind deutlich abgewählt worden. Nordmazedonien steht vor einem gewaltigen Kurswechsel - mit Folgen für einen möglichen EU-Beitritt.

Von Florian Hassel, Belgrad

Nach einem Erdrutsch-Doppelsieg der Opposition steht EU-Kandidat Nordmazedonien vor einem Regierungs- und möglichen Kurswechsel. Sieben Jahre, nachdem die europafreundlichen Sozialdemokraten (SDSM) das autoritär-korrupte Regime des langjährigen Regierungschefs Nikola Gruevski beendeten, stimmten bei der Parlamentswahl nur noch 15 Prozent der Wähler für die Sozialdemokraten. Die klare Abwahl ist eine Folge von massiven Korruptionsskandalen und dem Stillstand sowohl auf dem Weg in die EU wie bei der Förderung der Wirtschaft.

Der große Gewinner der Wahl ist die schon bis 2017 regierende, rechtsnationalistische VMRO-DPMNE (die Abkürzung für Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit). Diese kam auf 43 Prozent der Stimmen und 58 von 120 Parlamentsabgeordneten und könnte nun etwa mit der VLEN-Partei der albanischen Minderheit und möglicherweise auch einer Splitterpartei der Sozialdemokraten (ZNAM) regieren. Bei der gleichzeitig stattfindenden Präsidentenwahl ging die von der VMRO-DPMNE unterstützte Oppositionskandidatin und Juristin Gordana Siljanovska-Davkova als Gewinnerin hervor. Sie gewann die Stichwahl gegen Amtsinhaber Stevo Pendarovski mit etwa zwei Drittel der Stimmen.

Gründe für das epochale Scheitern der Sozialdemokraten

Wie eine neue, rechtsnationalistische Regierung agieren wird, ist zunächst unklar, das VMRO-DPMNE-Wahlprogramm blieb meist vage. Fest stehen dagegen die Gründe für das epochale Scheitern der bisherigen Regierung - und damit auch etliche Probleme für die kommende Spitze.

Groß waren die Erwartungen, als die Sozialdemokraten im Sommer 2017 das Regime Gruevski ablösten. Der gestürzte Regierungschef wurde später wegen Amtsmissbrauch zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, trat seine Haft aber nie an, da ihm der ebenfalls autoritär regierende Viktor Orbán Zuflucht in Ungarn gewährte.

Der Start der Sozialdemokraten war noch mehr als gut: Sie veröffentlichten alle Regierungsausgaben und Stenogramme der Regierungssitzungen und erlaubten, in einem Zentralregister verfolgen zu können, welche öffentlichen Gelder an welche Firmen gingen. Auch der Weg in die EU schien offen, nachdem Mazedonien 2018 mit Griechenland übereingekommen war, sich in Nordmazedonien umzubenennen und sich so sichtbar von Griechenlands eigener Region Mazedonien abzuheben. Athen hob dafür sein Veto für einen EU-Beitritt des 1,8 Millionen Einwohner kleinen Nachbarlandes auf. 2020 wurde das zuvor unter Gruevski oft russische Interessen aufgreifende Nordmazedonien gar in die Nato aufgenommen.

2023 wuchs die Wirtschaft gerade um ein Prozent

Die vergangenen Jahre aber waren ein mehrfacher Stillstand. 2020 legte Bulgarien sein Veto gegen einen EU-Beitritt Nordmazedoniens ein: Sofia verlangt etwa, dass in der nordmazedonischen Verfassung der Status einer bulgarischen Minderheit festgeschrieben wird - eine Forderung, die mit der bald regierenden VMRO-DPMNE und ihrem Parteichef sowie kommenden Regierungschef Hristijan Mickoski keine Chance auf Umsetzung hat.

Die Sozialdemokraten schaufelten sich indes auch aus eigener Kraft ihr politisches Grab: Ein Milliardenvertrag zum Autobahnbau mit dem türkisch-amerikanischen Bechtel-Konzern wurde mit einem Sondergesetz unter Verzicht auf eine echte Ausschreibung geschlossen und unter fadenscheinigen Vorwänden nicht veröffentlicht. 2023 beschloss die Regierungsmehrheit zudem Änderungen im Strafrecht, die der Korruption beschuldigte frühere Staatsbeamte und Geschäftsleute faktisch amnestierten.

Dazu kamen wirtschaftlicher Stillstand und Inkompetenz. 2023 wuchs die Wirtschaft gerade mal um ein Prozent, vor allem junge Nordmazedonier ziehen oft ins Ausland. Selbst im kriselnden Gesundheitssektor gab es satte Skandale, zuletzt um mehrere ehemalige Führungskräfte der Krebsklinik der Hauptstadt Skopje. Dort sollen Führungskräfte über Jahre Einkauf und Verteilung von Krebsmedikamenten manipuliert und der Staatsanwaltschaft zufolge einen Schaden von 30 Millionen Euro verursacht haben.

Die Unfähigkeit der Regierung trat auch bei theoretisch einfachen Verwaltungsarbeiten zutage: Nach dem Vertrag mit Griechenland über die Umbenennung in Nordmazedonien musste das Land neue Personalausweise und Pässe, Führerscheine oder Fahrzeugscheine ausgeben. Die Vorbereitungen durch das Innenministerium wurden indes jahrelang verschlampt; erst 2021 begann die Ausgabe neuer Dokumente - und dies viel zu langsam. Die Folge: Als am 12. Februar die Frist ablief, standen an die 600 000 Bürger immer noch ohne neue Dokumente dar. Berichte über geplatzte Reisen, Studienaufenthalte oder Auslandsgeschäfte sind seitdem Legion.

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