Sicherheitspolitik:Nordkorea zündet das Monster

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Ein Bericht mit Archivmaterial über den neuesten Raketentest des Nachbarlandes im südkoreanischen Fernsehen. (Foto: Anthony Wallace/AFP)

Zum ersten Mal seit 2017 testet das Regime von Kim Jong-un eine ballistische Langstreckenrakete. Die Tauwetterphase in der Region ist damit endgültig zu Ende.

Von Thomas Hahn, Tokio

Wenn Südkoreas scheidender Präsident Moon Jae-in noch einen Beweis brauchte, dass seine Nordkorea-Politik gescheitert ist - am Donnerstagnachmittag bekam er ihn. Da meldete das Militär seines Tigerstaates nämlich den nächsten Abschuss einer Rakete zu Testzwecken vom Flugfeld Sunan in Pjöngjang. Und diesmal den einer besonders großen. 1080 Kilometer weit sei die Rakete geflogen auf einer Höhe von bis zu 6200 Kilometern. Japans Verteidigungsministerium ergänzte, das mächtige Projektil sei nach 71-minütigem Flug um 15.44 Uhr rund 150 Kilometer hinter der Halbinsel Ōshima innerhalb der exklusiven Wirtschaftszone Japans in den Pazifik gestürzt.

Später verkündete der Nationale Sicherheitsrat in Seoul, Nordkoreas Parteidiktatur habe zum ersten Mal seit 2017 eine ballistische Interkontinentalrakete (ICBM) getestet, eine sogenannte Monster-Rakete. Der Test war demnach nicht nur irgendein weiterer nordkoreanischer Waffentest. Sondern das endgültige Ende eines Friedensversuchs zwischen Nordkorea und der westlichen Welt, den Moon Jae-in vor bald fünf Jahren eingeleitet hatte.

Seit April 2018, seit Moons diplomatische Bemühungen zur Entspannung im Verhältnis Nordkoreas zu Südkorea und den USA geführt hatten, hatte Nordkorea sich selbst ein Moratorium für Tests von Atomwaffen und Langstreckenraketen auferlegt. Es war ein Zugeständnis in der Hoffnung, sich damit eine Erleichterung der UN-Sanktionen zu verdienen. Aber die kam nicht. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un beendete die Tauwetterphase bald nach dem gescheiterten Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump im Februar 2019 in Hanoi. Schon im Dezember darauf deutete Kim an, dass er sich an sein Moratorium nicht mehr gebunden fühle. Anfang 2022 wiederholte er den Gedanken etwas deutlicher.

Sieben Tests hatte Nordkorea allein im Januar vollzogen, so viele wie noch nie in einem Monat

Der Abschuss vom Donnerstag war der bittere Höhepunkt einer ganzen Serie von Waffentests, mit denen das Kim-Regime die USA, Japan und Südkorea in einen Zustand erhöhter Abwehrbereitschaft versetzt hat. Sieben Tests hatte Nordkorea allein im Januar vollzogen, so viele wie noch nie in einem Monat. Der Test vom Donnerstag war insgesamt der zwölfte in diesem Jahr. Vier Tage zuvor hatte Nordkorea vier Artillerie-Schüsse ins Gelbe Meer gefeuert und dabei anscheinend einen Mehrfach- Raketenwerfer erprobt. Vergangene Woche notierte Südkoreas Militär einen Abschuss, bei dem die Rakete ihre geplante Höhe nicht erreichte. Die Geheimdienste in Südkorea und den USA hatten Nordkorea vorher schon vorgeworfen, es plane den Test einer Langstreckenrakete.

Wozu das Muskelspiel? Nutzt Kim Jong-un die Ablenkung durch den Krieg in der Ukraine? Bereitet er einen großen Waffentest für den 15. April vor, den Geburtstag des Staatsgründers Kim Il-sung und höchsten Feiertag im Land? Oder will er Zeichen zum Regierungswechsel in Seoul setzen, wo Moon Jae-in von der Demokratischen Partei am 10. Mai dem neu gewählten Konservativen Yoon Suk-yeol weichen muss? "Er will die Amerikaner zurück an den Verhandlungstisch bringen und Zugeständnisse aus ihnen rauspressen", sagte der Nordkorea-Experte Andrei Lankow von der Kookmin-Universität in Seoul vor dem großen Test der SZ. "Missiles sind ein Signal." Aber: "Es funktioniert nicht."

Tatsächlich hat Kim Jong-un vorerst vor allem mehr Misstrauen gestreut. Am Donnerstag konnte selbst der ausgleichende Moon nicht mehr anders, als wütend zu reagieren. Auf einer Notfallsitzung des Nationalen Sicherheitsrats beschuldigte er Kim, die koreanische Halbinsel mit seinen Aktionen einer "großen Bedrohung" auszusetzen. Das Weiße Haus in Washington nannte den Test eine "dreiste Verletzung" gleich mehrerer UN-Resolutionen. Japans Premierminister bezeichnete den Abschuss als "rücksichtslos". So nah sei dem Inselstaat noch kein nordkoreanisches Projektil gekommen, sagte ein Regierungsbeamter in Tokio laut der Nachrichtenagentur Kyodo.

Möglicherweise werden die Waffentests irgendwann sogar zum Risiko für Nordkorea selbst. In Japan denkt man schon seit geraumer Zeit darüber nach, ob nicht die Möglichkeit eines Präventivschlags ein guter Schutz gegen Kims Regime wäre. Den gleichen Gedanken hat Südkoreas designierter Präsident Yoon, und dieser brachte auch nach dem Raketentest am Donnerstag zum Ausdruck, dass er sich eine solche "schwere Provokation" nicht gefallen lassen will. In einem Statement forderte Yoons Übergangsteam den UN-Sicherheitsrat auf, so schnell wie möglich Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Dieser Tage streitet Yoons Team noch viel mit der Moon-Regierung. Es geht dabei auch um die Interpretation des jüngsten Raketenwerfer-Tests. Aber wenn Yoon Suk-yeol erst mal im Amt ist, dürfte der Ton Richtung Pjöngjang strenger werden.

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