Es gehört zum Wesen der britischen Politik, dass sich ihre Dramen oft an Orten abspielen, die aussehen, als seien sie dafür von einem Filmteam gebucht worden. Seit Montagnacht ist auch das Larchfield Estate einer dieser Orte, ein georgianisches Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert im nordirischen Nirgendwo, gut 25 Kilometer südlich von Belfast.
Am Montagabend trafen sich hier etwa 130 Mitglieder der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), der Ort war bis zuletzt geheim gehalten worden: Selbst die eingeladenen Teilnehmer erfuhren erst drei Stunden vorher, wo das Treffen stattfinden sollte, aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Die Zeiten aber, in denen es Geheimnisse gab, sind längst vorbei. Als die Teilnehmer am Larchfield Estate eintrafen, erwarteten sie Demonstranten, mit Schildern und Plakaten.
Republikaner und Unionisten müssen an der Regierung beteiligt sein
Die Demonstranten seien sichtlich wütend gewesen, beschrieben die natürlich ebenfalls anwesenden Reporter verschiedener britischer Medien. Die Lage ist, wie immer in Nordirland, komplex, jedenfalls kamen DUP-Chef Jeffrey Donaldson und seine Kollegen erst gegen ein Uhr nachts wieder heraus und verkündeten: Es gebe eine Einigung. Man werde mit der Regierung in London einen Deal schließen und nach Stormont zurückkehren, in den Regierungssitz in Belfast also. Nordirland bekommt damit endlich wieder eine Regionalregierung - nach mehr als zwei Jahren.
Um zu verstehen, welche Bedeutung das hat, für die Demonstranten am Larchfield Estate, aber auch für weniger wütende Nordiren anderswo, muss man die nordirische Geschichte kennen. Vor 25 Jahren wurde das Karfreitagsabkommen geschlossen, das Jahrzehnte der blutigen Unruhen in Nordirland beendete.
Dabei einigten sich die katholischen Republikaner - die gerne eine Wiedervereinigung von Nordirland und Irland sähen - und die protestantischen Unionisten - für die Nordirland ein Teil des Vereinigten Königreichs bleiben muss - unter anderem darauf, dass die nordirische Regionalregierung künftig zu gleichen Teilen aus Vertretern beider Lager bestehen soll.
Die Partei des Wahlsiegers stellt dabei den First Minister, die Partei des Zweiten stellt den gleichberechtigten Stellvertreter - aber die Regierungsbildung kommt eben nur zustande, wenn beide Parteien beteiligt sind. Und das war in den vergangenen beiden Jahren das Problem.
Die Bedingungen der Einigung sind noch nicht bekannt
Im Februar 2022 trat der damalige First Minister, der DUP-Mann Paul Givan, aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll zurück. Dieses war als Folge des Brexit ausgehandelt worden und sollte den Warenverkehr zwischen der EU, Nordirland und Großbritannien regeln, funktionierte aber nie zur Zufriedenheit aller Parteien.
Nordirland stimmte mehrheitlich gegen den Brexit. Und weil es mit Blick auf die Historie keine spürbare Grenze zwischen Nordirland und Irland geben darf, nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs aber irgendwo eine Grenze existieren muss, wurde sie de facto in die Irische See verlegt. Also zwischen Nordirland und Großbritannien - und innerhalb des Vereinigten Königreichs.

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Im Mai 2022 wurde gewählt in Nordirland, und erstmals gewann mit Sinn Féin eine republikanische Partei. Die DUP, Zweite bei den Wahlen, weigert sich seitdem, eine Regierung mit dem Sieger zu bilden. Daran änderte auch das von der britischen Regierung so hochgelobte "Windsor-Framework" nichts, mit dem vergangenes Jahr das Nordirland-Protkoll ergänzt wurde und das, grob gesagt, wesentliche Streitfragen in der Grenzthematik ausräumen soll.
Erst jetzt, in der Nacht von Montag auf Dienstag, gelang es Jeffrey Donaldson, seine Partei davon zu überzeugen, eben doch zurückzukehren nach Stormont, unter bestimmten Bedingungen. Diese Bedingungen wurden fünf Stunden lang diskutiert, wie sie genau lauten, wird erst in den kommenden Tagen dargelegt werden, wenn das Unterhaus in London darüber abstimmt. Schon kommende Woche, heißt es, soll die neue Regierung, die die Nordiren vor fast zwei Jahren gewählt haben, ihre Arbeit aufnehmen.