Aus der Distanz sieht Baschiqa friedlich aus. Niemand ist auf den Straßen zwischen den grauen Häusern, davor Olivenhaine und Obstgärten. Die Ruhe trügt. Vom Ausguck hinter Sandsäcken sind durch das Fernglas die schwarzen Flaggen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu erkennen. In dem Ort im Nordirak, 15 Kilometer vor den östlichen Vororten von Mossul, haben sich Dutzende Dschihadisten verschanzt. Nur etwa zwei Kilometer sind die letzten Häuser entfernt, in denen die Peschmerga hier am Frontabschnitt bei Nawaran die IS-Kämpfer vermuten.
30 000 Menschen haben einst in Baschiqa gelebt, die meisten von ihnen Jesiden und Schabak, Kurden schiitischen Glaubens, aber auch sunnitische Araber und assyrische Christen. Die Stadt war so etwas wie der Irak in klein mit all seinen Ethnien und Religionsgruppen, beliebt als Ausflugsziel bei den Bewohnern von Mossul und in den Kurdengebieten, auch weil man dort guten Arak trinken konnte. Die Schreine der Jesiden hat der Islamische Staat zerstört, die meisten der Menschen vertrieben, wie in der gesamten Ninive-Ebene.
Die Soldaten der kurdischen Regionalregierung in Erbil schießen Mörser- und Artilleriegranaten in die Ränder der Stadt. Sie sollen verhindern, dass die Dschihadisten ihre Deckung verlassen. Meterhohe Erdwälle, aufgeschoben mit gepanzerten Bulldozern, versperren den Scharfschützen den Blick. Um von Nawaran in das Feldlager in den Bergen hinter der Stadt zu kommen, braucht man eine Eskorte der Peschmerga. Den Weg hat ein Bulldozer freigeschoben. Streckenweise führt er durch die nicht bestellten, ausgedörrten Felder. Blaue und rote Blinklichter blitzen hinter der Heckscheibe des Jeeps, der vorweg fährt, wie in einem amerikanischen Polizeiauto. Sie dienen als Orientierungspunkt, wenn der Staub aufquillt, fein wie Mehl.
Rote Fähnchen stecken neben dem Pfad in der Erde; sie warnen vor Sprengfallen und Minen, die der Islamische Staat vergraben hat, um die Peschmerga aufzuhalten. Es geht teilweise nur im Schritttempo voran. Ein bizarr verbogenes Wrack eines Lieferwagens ist Warnung, die Fahrspur auf keinen Fall zu verlassen.
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Wo Autoreifen brennen, wartet ein Inferno hinter dem schwarzen Rauch
Im Feldlager dann stehen Tieflader herum, Bagger schaufeln neue Stellungen aus, dazwischen Panzer und ganz normale Autos, mit denen viele der Peschmerga an die Front fahren. Und überall die rot-weiß-grüne Flagge der Kurden mit der gelben Sonne in der Mitte. An einem der Erdwälle sitzt im Schneidersitz Generalmajor Bahram Doski, umringt von seinen Leuten, etwa 2000 Peschmerga kommandiert er hier. Er trägt ein einfaches, beiges Uniformhemd mit Tarnmuster - ohne ein Rangabzeichen. "Wir haben Baschiqa umstellt", sagte er. "Im militärischen Sinn kontrollieren wir den Ort." Bis sie ihn wirklich einnehmen können, wird es aber noch dauern. "Wir gehen langsam vor, um Verluste zu vermeiden", sagt Doski.
In den ersten Tagen der Offensive hatten sie noch versucht, auf Baschiqa vorzustoßen. Die IS-Kämpfer zündeten Reifen an. Und sobald die Peschmerga in die schwarze Rauchwand fuhren, schickten sie ihre gefürchtetste Waffe: Selbstmordattentäter in mit Sprengstoff vollgeladenen Autos. Es sind Pick-ups oder Lastwagen, die mit aufgeschweißten Stahlplatten gepanzert sind und in Tarnfarben angepinselt. Nur ein kleiner Schlitz vor der Windschutzscheibe bleibt frei. Auch das Feldlager haben die IS-Leute versucht anzugreifen.
Mit Kalaschnikows, selbst mit Maschinengewehren lassen sich die fahrenden Bomben oft nicht rechtzeitig aufhalten, auch die alten russischen Panzerfäuste helfen nicht. Dann detonieren Hunderte Kilogramm Sprengstoff, versetzt mit Baustahl, Schrauben und Metallkugeln, die durch die Luft fliegen und die tödliche Wirkung der Bomben verstärken. Die meisten Toten und Verletzten haben die Peschmerga bei solchen Attacken zu beklagen. Alleine in den ersten Tagen der Offensive um Baschiqa hat der IS mindestens ein Dutzend dieser Autobomben losgeschickt, insgesamt rund um Mossul mehr als 150.
Die Folgen lassen sich noch an dem letzten Checkpoint vor dem Pfad an die Front erahnen. Dort warten drei weiße Rettungswagen. Auf dem Boden liegen Packungen von Schmerzmitteln, verbrauchte Einwegspritzen, weiße Einweghandschuhe und blutige Mullbinden im Staub. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber es heißt, es seien mindestens zwei Dutzend Peschmerga gefallen, auch deutlich höhere Zahlen werden kolportiert. Generalmajor Doski sagt dazu nur, es habe Verluste gegeben.
An seinem Frontabschnitt haben fünf Selbstmordattentäter versucht, sich in die Stellungen der Peschmerga zu rammen oder ihre Konvois zu attackieren. "Drei dieser Autobomben haben wir mit der Milan zerstört", sagt Doski. Er spricht von der Panzerabwehrrakete, die Deutschland den Kurden aus Bundeswehrbeständen geliefert hat. "Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass sich die Peschmerga gegen die Kräfte von IS sehr effektiv verteidigen können", sagt Doski. Sie sei oft besser als Luftschläge durch Kampfjets, die bräuchten zu lange, die Gefahr abzuwehren.
Knapp 40 Lieferungen aus Deutschland mit 2500 Tonnen Material
Die Rakete durchschlägt die improvisierte Panzerung der Autobomben mühelos, sie fliegt dem Selbstmordattentäter mit 150 Meter pro Sekunde entgegen und kann Ziele in 300 bis 2000 Metern Entfernung zerstören. "Es gibt keine Waffe, die den Peschmerga mehr Leben gerettet hat als die Milan", sagt Doski. "Und ich sage das nicht, um den Deutschen Komplimente zu machen." Die Milan-Schützen wurden in Deutschland auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg ausgebildet.
Insgesamt hat die Bundesregierung laut der Deutschen Presse-Agentur bislang 1200 dieser Flugkörper geliefert, von denen die Bundeswehr selbst neuere Versionen einsetzt, dazu Panzerfäuste und Tausende G3- und G36-Sturmgewehre samt Munition. Im Feldlager bei Baschiqa sind etliche davon zu sehen, ebenso gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo, deren Bodenwanne Schutz bietet gegen Minen und Sprengfallen. Knapp 40 Lieferungen aus Deutschland mit 2500 Tonnen Material hat die Bundeswehr seit Beginn der militärischen Unterstützungsmission im September 2014 nach Erbil geflogen.
Zudem bildet sie Infanteristen aus. Das jüngste Kontingent mit 1000 Mann absolvierte den Kurs gerade noch rechtzeitig, um zu Beginn der Offensive an der Front zu sein. Die Bundeswehr hat 140 Soldaten nach Erbil entsandt, die inzwischen aber auch in anderen Teilen der kurdischen Autonomieregion tätig sein können. Sie sollen zur Schulung "näher an die Front heranrücken", wie es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im September bei einem Besuch in Erbil sagte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, unter Beschuss zu kommen. In die Kämpfe einzugreifen erlaubt das Bundestagsmandat nicht.
Die Peschmerga bei Baschiqa kämpfen sich derweil Dorf für Dorf vor; am Freitag befreiten sie Fadiliyah. "Den idealen Moment für den Sturm auf Baschiqa gibt es nicht", sagt Generalmajor Doski. Die Peschmerga rechnen mit sehr harten Gefechten. Sie wollen nicht nochmals in die Falle laufen. Die Milan-Schützen werden nahe genug an der Front sein, wenn die IS-Kämpfer aus ihren Tunneln kommen, um sich und die Peschmerga in den Tod zu stürzen.