Nigers Ex-Präsident Mohamed Bazoum:Der Putschgefangene

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Mohamed Bazoum lebt streng bewacht mit seiner Frau in seiner ehemaligen Residenz in der nigrischen Hauptstadt Niamey. (Foto: Issouf Sanogo/AFP)

Mehr als sieben Monate nach ihrer Machtübernahme hält die Militärjunta in Niger den gestürzten Präsidenten noch immer als Geisel. Dabei sitzt sie längst fest im Sattel, selbst die Sanktionen der Nachbarn ist sie los. Worauf warten die neuen Herrscher?

Von Paul Munzinger, Niamey

"Ich schreibe dies als Geisel": Wenige Tage nach dem Putsch in Niger am 26. Juli 2023 begann Mohamed Bazoum, der entmachtete Präsident, mit diesen Worten einen Beitrag in der Washington Post. Mehr als sieben Monate ist das nun her. Und im Rückblick wirkt es fast unglaublich, dass Bazoum die Möglichkeit hatte, sich auf diese Art zu Wort zu melden. Denn seitdem ist er verstummt. Und das dürfte auch daran liegen, dass die Weltöffentlichkeit - ganz im Sinne der neuen Machthaber im Land - fast vergessen zu haben scheint, dass Bazoums Gefangenschaft nicht vorbei ist. Der gestürzte Präsident schreibt nicht mehr. Aber eine Geisel ist er bis heute.

Die Frage ist: warum eigentlich?

Die Putschisten um Abdourahamane Tiani, den heutigen Staatschef und einstigen Anführer von Bazoums Präsidentengarde, sahen sich nach ihrer Machtübernahme einem Sturm gegenüber. Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas drohte mit Krieg und überzog Niger mit drastischen Sanktionen, die das bitterarme Land von der Versorgung mit Bargeld, Strom und Medikamenten abschnitten. Europa und die USA strichen Entwicklungs- und Budgethilfe, was Niger fast die Hälfte seines Haushalts kostete. In derart bedrängter Lage war Bazoum ein wertvolles Faustpfand. Im Fall eines Einmarschs sollen die Putschisten gedroht haben, ihn zu töten.

In anderen Putschstaaten kamen die gestürzten Präsidenten schneller frei

Doch dieser Sturm hat sich weitgehend verzogen. Die Kriegsdrohung entpuppte sich als Bluff. Die USA haben sich längst abgefunden mit den neuen Realitäten im Land, die Luftwaffenbasis in Niger war Washington am Ende zu wichtig. Frankreich hat seine Soldaten und seinen Botschafter höchst widerwillig aus Niger abgezogen. Und Ecowas hat - offiziell aus humanitären Gründen - seine Sanktionen Ende Februar fallen lassen, nachdem Niger gemeinsam mit den anderen Putschstaaten Mali und Burkina Faso seinen Austritt aus dem Bündnis verkündet hatte.

Die neuen Herrscher sitzen fest im Sattel und suchen sich neue Freunde in Russland, Peking und Teheran, ohne dass Europa etwas dagegen tun könnte. Was wollen sie noch mit Bazoum?

In Niger regiert seit August 2023 eine Militärjunta, die per Dekret von dem Putschanführer Abdourahamane Tiani eingesetzt wurde. (Foto: AFP)

Wie unüblich dessen fortgesetzte Geiselhaft ist, zeigt ein Blick in die anderen Putschstaaten der Region, von denen es ja einige gibt. Ali Bongo, als Präsident Gabuns im August 2023 abgesetzt, erhielt nach wenigen Tagen im Hausarrest die Erlaubnis, das Land zu verlassen. Bei Ibrahim Boubacar Keïta in Mali dauerte es nach seinem Sturz im August 2020 knapp zwei Wochen. Roch Kaboré, bis Januar 2021 Präsident von Burkina Faso, entließen die Putschisten nach drei Monaten aus dem Hausarrest. Ähnlich lang wie Bazoum wurde allein Guineas Ex-Präsident Alpha Condé festgehalten. Nach acht Monaten durfte er das Land verlassen, er lebt inzwischen im Exil in der Türkei.

Mohamed Bazoum, das vorweg, geht es gut. Das berichten Vertraute seiner Familie, mit denen die Süddeutsche Zeitung in Niamey gesprochen hat. Streng bewacht lebt er demnach mit seiner Frau in seiner ehemaligen Residenz mitten in der Hauptstadt am Ufer des Niger. Sie haben Elektrizität und fließendes Wasser, aber weder Telefon noch Computer. Nur sein Leibarzt darf Bazoum regelmäßig besuchen, er steht im Kontakt mit der Familie. Bazoums 23-jähriger Sohn, der zunächst ebenfalls festgehalten wurde, durfte das Land verlassen, er ist im Togo.

Ein Fluchtversuch von Bazoum scheiterte

Die Bedingungen von Bazoums Gefangenschaft haben sich damit umgekehrt. In den ersten Monaten nach dem Putsch hatte er noch sein Telefon. Er konnte mit seiner Tochter und mit dem US-Außenminister telefonieren - und einen Gastbeitrag in der Washington Post verfassen. Dafür peinigten ihn Hitze, Hunger und Mücken, weil die Junta ihm in der heißfeuchten Regenzeit Wasser und Strom für Klimaanlage und Kühlschrank abgedreht hatte. Der Wendepunkt kam am 20. Oktober, als Bazoum - auch aus Protest gegen diese Schikanen - mit einem Fluchtversuch scheiterte. Bevor ihm sein Handy daraufhin abgenommen werden konnte, soll er es selbst zerstört haben. Strom und Wasser aber fließen wieder. Seitdem ist Bazoum gesund, aber isoliert.

Auf die Frage, warum er noch immer eingesperrt ist, hört man in Niamey immer wieder eine einfache Antwort: Weil er - anders als etwa die gestürzten und später freigelassenen Präsidenten Keïta oder Kaboré - nie seinen Rücktritt erklärt hat. Tatsächlich scheint Bazoum nach dem Putsch zumindest für gewisse Zeit eine Rückkehr ins Amt für möglich gehalten zu haben. Dass er daran noch heute glaubt, ist allerdings schwer vorstellbar. Selbst seine einstigen Verbündeten in Paris oder Berlin fordern längst nicht mehr seine Wiedereinsetzung, sondern lediglich seine Freilassung. Auch Bazoum selbst, so ist aus seinem Umfeld zu hören, soll sich mit dem Fahrplan der Junta - ein von ihr moderierter "Übergang" von höchstens drei Jahren - einverstanden erklärt haben. Warum er dennoch nicht zurücktritt, ist unklar.

Unklar ist aber auch, ob ihn das der Freiheit wirklich näher brächte. Viele in Niamey, die sich auskennen, bezweifeln das. Die neue Regierung, so lautet eine der Erklärungen, könne Bazoum als Druckmittel weiterhin gut brauchen, um die Beziehungen mit jenen europäischen Staaten zu entschärfen, die nicht Frankreich heißen. Sondern zum Beispiel Deutschland.

Eine weitere Erklärung besagt, dass Nigers neue Machthaber ihren Vorgänger vor Gericht stellen wollen. Eine Anklage wegen Hochverrats und Verschwörung hatten sie bereits im August angekündigt. Doch bislang ist es dazu nicht gekommen. Ein Vertrauter Bazoums begründet dies damit, dass der formal nicht zurückgetretene Ex-Präsident noch immer Immunität genieße und der Oberste Gerichtshof die Anklage deshalb bislang ablehne. Statt in Freiheit könnte ein Rücktritt ihn demnach auf die Anklagebank bringen.

Wird Bazoum festgehalten, damit er nicht die wahren Gründe für den Putsch enthüllt?

Auch Alhassane Intinicar ist überzeugt, dass es der Junta nicht um den Rücktritt Bazoums geht. Intinicar ist Chef der kleinen Partei Akal-Kassa. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020/21 trat er im ersten Durchgang selbst an und schied aus dem Rennen aus. Im zweiten Durchgang unterstützte er Bazoum. Das tut er bis heute auch öffentlich - als einziger Politiker seit dem Putsch, den er als "Kidnapping" eines gewählten Präsidenten bezeichnet. Intinicar sagt: "Die neue Regierung hat Angst, dass es für sie vorbei ist, sobald sie Bazoum freilässt. Weil er dann die wahren Gründe für den Putsch enthüllen wird."

Die Militärs begründeten den Sturz Bazoums mit dem Verfall des Landes und speziell mit der Terrorgefahr, die die Regierung nicht in den Griff bekomme. Unsinn, sagt Intinicar: Die Sicherheitslage habe sich unter Bazoum verbessert. In Wahrheit sei Bazoum sein Kampf gegen die Korruption zum Verhängnis geworden. Als erster Präsident Nigers habe er sich der Ausplünderung des Staates durch Politiker, Militärs und Beamte entschieden entgegengestellt - und sich so mächtige Feinde gemacht. "Vor dem Putsch", sagt Intinicar, "gab es im Land keinerlei politische Spannung und keinen einzigen Nigrer, der gegen Bazoum auf die Straße gegangen wäre."

Nigers Premier Ouhoumoudou Mahamadou ging wegen des Putsches ins Exil nach Paris. Dort sprach er im vergangenen August vor der nigrischen Botschaft zu Anhängern von Mohamed Bazoum. (Foto: Stephanie Lecocq/Reuters)

Namen nennt Intinicar nicht. Doch in Niger ist es ein offenes Geheimnis, dass nicht Staatschef Tiani, sondern Bazoums Vorgänger Mahamadou Issoufou die treibende Kraft hinter dem Putsch war.

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Unter Bazoums Vertrauten kursiert schließlich noch eine letzte Theorie zur Zukunft des Ex-Präsidenten: Demnach ist das Ende seiner Gefangenschaft nahe. Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hatte Bazoums Freilassung stets als Bedingung für das Ende der Sanktionen genannt. Nun wurden diese ohne erkennbare Gegenleistung aufgehoben. Nach der verpufften Kriegsdrohung wurde dies vielfach als nächstes Zeichen der Schwäche von Ecowas gewertet. Doch in Bazoums Umfeld gibt es eine andere Deutung: Demnach hat die Junta in Niamey die Bedingungen akzeptiert. Freilassen will sie Bazoum aber nicht sofort, sondern erst in ein paar Wochen. Damit noch Zeit bleibt, das Ende der Sanktionen als Sieg auf der ganzen Linie verkaufen zu können.

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