Am Tag danach rätselt das Land über einen Mann: Was hat sich Pieter Omtzigt gedacht, als er am Dienstagabend plötzlich aus den Sondierungsgesprächen zur Bildung einer neuen niederländischen Regierung ausstieg? Der frühere Christdemokrat und Chef der frisch gegründeten Partei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC) hat das Rechtsbündnis, das nach dem Ergebnis der Parlamentswahl im November auf der Hand liegt, damit vorerst unmöglich gemacht.
Die Politiker, mit denen Omtzigt am Tisch saß - der klare Wahlsieger Geert Wilders von der rechtspopulistischen Freiheitspartei (PVV), Caroline van der Plas (Bauer-Bürger-Bewegung BBB) sowie Dilan Yeşilgöz von der rechtsliberalen VVD -, gaben sich nach mehr als zweimonatigen Gesprächen überrascht und konsterniert. "Unglaublich enttäuschend", schrieb Wilders, der Premier werden möchte, auf X. "Die Niederlande wollen diese Regierung, und jetzt wirft Pieter Omtzigt das Handtuch in den Ring, während wir bis heute noch im Gespräch waren. Das verstehe ich überhaupt nicht." Van der Plas und Yeşilgöz äußerten sich ähnlich.
Schuld soll der "Sondierer" sein
Omtzigt schob die Schuld in einem Brief an seine Partei auf Ronald Plasterk, den Moderator der Gespräche, der Wilders nahesteht. Dieser "Sondierer" habe erst am Morgen vertrauliche Informationen über drohende Finanzlücken in mehreren Ministerien weitergereicht, obwohl sie ihm schon seit ein oder zwei Wochen bekannt gewesen seien. Darüber sei man "erschrocken", so hätten die Gespräche keinen Sinn mehr.
In Den Haag wird bezweifelt, dass dies Omtzigts wahres Motiv ist. Möglich wäre es zwar. Omtzigt ist dafür bekannt, sich über mangelhafte Unterrichtung zu echauffieren. Seine parlamentarische Arbeit in den vergangenen Jahren war ein einziger Klageruf über fehlende Transparenz vonseiten der Behörden. Dahinter steckt seine Überzeugung, dass Demokratien nur funktionieren können, wenn die Volksvertreter überhaupt die Chance erhalten, die Exekutive zu kontrollieren.
Die Frage ist aber, ob dies der geeignete Moment war, ein solches Exempel zu statuieren. Zumal die Finanzrisiken nicht überraschend kommen. Der Präsident der niederländischen Zentralbank hatte kürzlich gewarnt, wegen steigender Zinskosten müssten im nächsten Haushalt 17 Milliarden Euro zusätzlich eingespart werden. Vermutet wird daher, dass Omtzigt das Bündnis mit dem Islamkritiker und extremen Nationalisten Wilders von vornherein nicht wünschte, dies nicht offen sagen wollte, um dem Wählerwillen zu genügen, und nun eine Gelegenheit ergriff, sich aus der Affäre zu ziehen.
Die Regierungsbildung muss nun von vorne beginnen
Ende November war ein erster Sondierungsversuch Plasterks ebenfalls an Omtzigt gescheitert, dessen NSC bei der Wahl viertstärkste Kraft wurde. Damals hatte Omtzigt Zweifel an Wilders' Verfassungstreue angeführt. Wilders hatte in der Folge drei besonders umstrittene Gesetzesvorschläge der PVV zurückgezogen, unter anderem den Plan, den Koran zu verbieten und Moscheen zu schließen. Die möglichen Koalitionspartner hatten anschließend über das Thema Rechtsstaatlichkeit diskutiert. Omtzigt deutete am Dienstagabend an, dass man sich in dieser Hinsicht nähergekommen sei, "sonst hätte ich die Gespräche schon früher verlassen".
In einem Brief an Plasterk hatte Omtzigt im November weitere Bedingungen für eine Kooperation mit Wilders genannt. Dieser müsse sich an internationale Verträge und Richtersprüche halten. Auch bestehe der NSC darauf, die Ukraine weiterhin militärisch zu unterstützen. Wilders will das Geld lieber den eigenen Bürgern zukommen lassen. Am Dienstag beklagte ein PVV-Politiker im Parlament die "anhaltende Provokation der Russischen Föderation durch die niederländische Regierung". Solche Auftritte haben Omtzigt vielleicht verdeutlicht, wie weit er und Wilders inhaltlich auseinanderliegen. Berührungspunkte gibt es nur bei der Asyl- und der Sozialpolitik.
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Die Regierungsbildung muss nun von vorn beginnen, kommende Woche debattiert das Parlament. Eine Koalition unter Einbezug der Grünen/Sozialdemokraten ist technisch möglich, wird in Den Haag aber genauso wenig gewünscht wie Neuwahlen, die Wilders laut Umfragen noch stärker werden ließen. Omtzigt zeigte sich bereit, ein Minderheitskabinett zu dulden oder ein Expertenkabinett zu bilden. Schon im Wahlprogramm hatte er sich für solche Experimente ausgesprochen, weil so die politische Kultur erneuert werden könne.
Omtzigts Vorgehen ist riskant, es kostet ihn nicht nur bei möglichen Partnern Sympathie, sondern auch bei den eigenen Wählern, die eine Zusammenarbeit mit Wilders laut Umfragen überwiegend befürworten. Andererseits bleibt er damit seinen Prinzipien treu, was sich langfristig positiv für ihn auswirken könnte.