Geert Wilders, wirklich? Als am Wochenende bekannt wurde, dass ein Umfrageinstitut die Partei des notorischen Islam- und Migrationskritikers gleichauf mit der rechtsliberalen VVD an erster Stelle sah, ging ein Raunen durch die Niederlande. Das hatte, wenige Tage vor der Parlamentswahl an diesem Mittwoch, dann doch fast niemand erwartet.
SZ-Podcast "Auf den Punkt":Wahlsieg von Geert Wilders: "Ein historisches Erdbeben in den Niederlanden"
Der Rechtspopulist Geert Wilders hat die Wahlen in den Niederlanden triumphal gewonnen. Wieso findet er plötzlich Zustimmung?
Die Erhebung stammt von Maurice de Hond, einem Meinungsforscher, der Wilders' Freiheitspartei (PVV) chronisch überbewertet. Doch inzwischen melden auch andere Institute, dass der rechte Populist in der Wählergunst zum bisher führenden Trio aufgeschlossen hat. Dieses besteht neben der VVD (bis zu 19 Prozent) aus den zusammen antretenden Grünen und Sozialdemokraten (GL/PvdA) unter Frans Timmermans (16 Prozent) sowie dem drei Monate jungen Neuen Sozialvertrag (NSC) von Pieter Omtzigt, der zuletzt auf 15 Prozent absackte.
Fast alle Parteien wollen auf die eine oder andere Weise das Land "wiederherstellen"
Das ist das Paradox dieser Unterhauswahl: Einerseits gibt es ein Tabula-rasa-Gefühl. Nach 13 Jahren, in denen der Pragmatiker Mark Rutte und seine wirtschaftsnahe VVD das Land prägten und gewissermaßen ein Abonnement auf die Macht hatten, scheinen die politischen Karten frisch gemischt zu werden.
Andere Gesichter sind zu sehen; mit Dilan Yeşilgöz, Ruttes Nachfolgerin an der Spitze der VVD, könnte erstmals eine Frau Premier werden. Neue Konstellationen zeichnen sich ab: Neben Omtzigts NSC muss auch die auf dem Land starke Bauer-Bürger-Bewegung (BBB) von Caroline van der Plas einkalkuliert werden. Nach ihrem Triumph bei den Provinzwahlen im Frühling dominiert sie im Oberhaus des Parlaments, der Ersten Kammer.
Keine politische Kraft verteidigt den Status quo. Fast alle wollen auf die eine oder andere Weise ein Land "wiederherstellen", in dem die Beziehung zwischen Obrigkeit und Bürgern gestört ist, dokumentiert unter anderem durch gravierende Skandale. Omtzigt kapriziert sich in allererster Linie auf diese Störung und will zum Wohle der Bürger das politische System reformieren.
Dass er mit diesem sperrigen Anliegen auf Anhieb derart Erfolg hat, zeigt die Tiefe der politischen Krise, in der sich das Land befindet. Laut dem unabhängigen Forschungsinstitut SCP ist die Stimmung der Niederländer diesbezüglich noch immer sehr düster. 51 Prozent sind demnach pessimistisch, dass das Land in die richtige Richtung geht, 59 Prozent sind mit der Politik in Den Haag unzufrieden.
Wirklich scharfe Kontroversen gab es im Wahlkampf nicht
Andererseits wurde in den vergangenen Tagen deutlich, dass sich in den neuen Schläuchen viel alter Wein befindet. Denn die Themen, um die es hauptsächlich geht, sind dieselben geblieben: die Höhe des Einkommens und was man sich dafür noch leisten kann, eine bezahlbare Gesundheitsversorgung, die ungelösten Probleme in der Migrationspolitik. Und wie üblich wurde der Vorwurf erhoben, der Wahlkampf sei "langweilig" gewesen.
Tatsächlich gab es keine wirklich scharfen Kontroversen, der Ton blieb meist sachlich und höflich. Dass am Montag der Rechtsaußenpolitiker Thierry Baudet in einer Gaststätte mit einer Flasche angegriffen wurde, verurteilten Politiker aller Parteien.
Etwas Spannung kam auf, als Omtzigt sich am Sonntag endlich zu der Frage äußerte, ob er bei einem Wahlsieg das Amt des Ministerpräsidenten übernähme. Dazu wäre er bereit, sagte der Ex-Christdemokrat nach Wochen des Zögerns, allerdings nur im Falle einer Art Expertenregierung, wie sie zu seinem politischen Denken passt. Eine "merkwürdige Idee" sei das, entgegnete Timmermans.
Viele Wähler sind noch unentschlossen
Und so bleibt in der mangels Wahlhürde stark zersplitterten politischen Landschaft die wichtigste Frage die ewig gleiche: Wird nach der Wahl eine eher linke oder eine eher rechte Koalition gebildet? Wer kann mit wem? Ein Linksbündnis unter Einschluss der linksliberalen D66 sowie von kleineren linken Parteien wäre nur möglich, wenn GL/PvdA die meisten Stimmen erhielte. Das ist unwahrscheinlich, aber möglich, viele Wähler sind noch unentschlossen.
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Auch NSC müsste mit an Bord, wobei sich Omtzigt aus inhaltlichen Gründen lieber einer Rechtskoalition anschlösse, die aus VVD, NSC, BBB sowie kleineren Parteien bestehen könnte. Wilders möchte niemand dabeihaben. Nur Yeşilgöz lässt ihm die Tür offen, weil sie "keine Wähler ausschließen" möchte.
Außenpolitik fand kaum statt im Wahlkampf. Das Thema Nahost wurde in Debatten pflichtschuldig abgefragt, woraufhin sich die Teilnehmenden bemühten, nichts zu sagen, was sie Stimmen kosten könnte. Prononcierter äußerten sich nur der unerschütterliche Israel-Verteidiger Wilders sowie Timmermans, der zwar der Hamas eine "Kultur des Todes" bescheinigte, wiederholt aber auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung erwähnte - die PvdA zählt viele Muslime zu ihrer Wählerschaft.