Niederlande:Wahlsieger Wilders verzichtet

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Der Rechtspopulist Geert Wilders, hier auf einer Aufnahme vom 4. März in Den Haag, sieht nun für sich keine Chance mehr, Ministerpräsident der Niederlande zu werden. (Foto: RAMON VAN FLYMEN/AFP)

In Den Haag kommt es nun wohl zu einer "außerparlamentarischen" Regierung. Was genau das bedeutet, bleibt vorerst offen. Aber Geert Wilders wird nicht an der Spitze stehen.

Von Thomas Kirchner

Knapp vier Monate nach der Parlamentswahl lässt sich nun grob absehen, wie die Niederlande künftig regiert werden. Demnach wird es vermutlich zur erwarteten Zusammenarbeit einiger rechter und Mitte-rechts-Parteien kommen. Allerdings nicht in Form einer "normalen" Regierung, die sich auf die Mehrheit ihrer eigenen Abgeordneten im Parlament stützt und einen detaillierten Koalitionsvertrag ausarbeitet. Vielmehr wollen sich die Parteien offenbar auf ein demokratisches Experiment verständigen, die Bildung eines sogenannten extra- oder außerparlamentarischen Kabinetts. Dessen Konturen sind zwar noch sehr unscharf. Aber fest steht: Der Rechtsaußen-Politiker Geert Wilders wird die Regierung nicht anführen. Der klare Sieger bei der Wahl im November teilte am Mittwochabend über den Kurznachrichtendienst X mit, er strebe das Amt des Ministerpräsidenten nicht mehr an. Er hätte, schrieb Wilders, nur Premier werden können, wenn alle Parteien einer Koalition dies unterstützten. Dies sei nicht der Fall gewesen.

Der Sondierer Kim Putters hatte am Dienstagabend verkündet, dass jetzt der "nächste Schritt" gegangen werden könne. Er hatte zuvor zwei Tage auf einem Landgut bei Hilversum mit Wilders von der islamkritischen, rechtsnationalen PVV sowie mit Caroline van der Plas (Bauer-Bürger-Bewegung), Dilan Yeşilgöz von der rechtsliberalen VVD und dem Zentristen Pieter Omtzigt (Neuer Sozialvertrag, NSC) gesprochen. Sie äußerten sich anschließend nicht oder vage. Auch Putters verwies auf den Bericht, den er an diesem Donnerstag vorstellen werde. In den Medien wurde seine Äußerung dennoch als "Durchbruch" gewertet, nachdem es in wochenlangen Verhandlungen kaum vorangegangen war.

Was "extraparlamentarisch" überhaupt bedeuten soll, ist umstritten

Putters, ein Sozialdemokrat, war vom Parlament explizit mit der Suche nach der "Form" beauftragt worden, die eine künftige Regierung annehmen könne. Der Grund war, dass sich sowohl Omtzigt als auch Yeşilgöz geweigert hatten, ein Mehrheitskabinett unter Führung von Wilders zu unterstützen. Beide hatten zunächst erwogen, ein Minderheitskabinett zu tolerieren, dann aber deutlich gemacht, dass sie eine außerparlamentarische Form favorisierten.

Ihre Motive unterscheiden sich: Yeşilgöz nennt als Grund, dass die seit 2010 regierende VVD im November eindeutig abgewählt wurde. Omtzigt führt gravierende inhaltliche Differenzen mit Wilders ins Feld, vor allem was dessen Haltung zur Rechtsstaatlichkeit betreffe. Gleichzeitig hatte er schon lange vor der Wahl aus grundsätzlichen Erwägungen heraus für ein außerparlamentarisches Kabinett geworben. Die üblichen Mehrheitsregierungen samt vielhundertseitigen Absprachen haben seiner Ansicht nach die Exekutive übermächtig und das Parlament zum bloßen Abnickverein gemacht.

In den Medien und bei Experten ist stark umstritten, was "extraparlamentarisch" überhaupt bedeuten soll. Oft ist die Rede von lediglich "losen Absprachen", einem "lockereren Band" zwischen Parlament und Kabinett als gewöhnlich; die Minister kämen zum Teil von außerhalb des Parlaments. Die Chefs der beteiligten Parteien träten nicht in die Regierung ein, sondern blieben Abgeordnete - genau dies sollen die aktuellen Verhandler, inklusive Wilders, jetzt verabredet haben.

Aus historischen Beispielen, etwa diversen Kabinetten der Zwischenkriegszeit, lässt sich nach allgemeiner Auffassung wenig ableiten. Allenfalls das Kabinett des Sozialdemokraten Joop den Uyl (1973 bis 1977) könnte als Vorbild dienen; dessen linkes Bündnis holte auch Minister anderer Parteien in die Regierung, und dies ohne formalen Akkord der Fraktionen. Allerdings hatte den Uyl im Gegensatz zu den heutigen Protagonisten keine Mehrheit im Parlament. Im Ergebnis kam es zu wechselnden Abstimmungsmehrheiten, wie sie auch nun erwartet würden: Manchmal tun sich jene Parteien zusammen, die Minister stellen, manchmal ergeben sich aus programmatischen Gründen andere Konstellationen.

Wie soll ein solches Kabinett regieren?

Beobachter fragen, wie ein solches Kabinett angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung und der krisenhaften außenpolitischen Lage halbwegs stabil und tatkräftig regieren könne. Als Beispiel erwähnen sie die "Stickstoffkrise", also die Tatsache, dass die Niederlande wegen der übermäßigen Viehhaltung chronisch die EU-Naturschutzregeln verletzen. An einer Lösung des vom amtierenden Kabinett immer wieder verdrängten Problems führt kein Weg vorbei, weil sich die Regierenden sonst einen schweren Konflikt mit der eigenen Justiz einhandeln. Wilders hingegen bestreitet, dass das Problem überhaupt existiert. Tiefe Differenzen sind auch in der EU-Politik und vor allem bei der Militärhilfe für die Ukraine zu erwarten. Ebenso spannend wird die Frage, mit welchem Premierminister sich ein Extrempolitiker wie Wilders arrangieren könnte.

Nach Putters' Bericht wird kommende Woche das Parlament über den nächsten Schritt befinden. In der folgenden Verhandlungsrunde, möglicherweise unter einem neuen Moderator, werden dann die ersten inhaltlichen Punkte auf den Tisch kommen.

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